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Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.
© dpa

Ärztepräsident Montgomery: Der Neben-Gesundheitsminister

Beim Ärztetag in Hannover wollen die Mediziner nicht nur über Standespolitik diskutieren. Sie verlangen einen Komplettumbau des Krankenversicherungssystems.

Nun macht er endgültig seine Drohung wahr. „Sehr viel mehr Einmischung“ in die Gesundheitspolitik hatte Frank Ulrich Montgomery all denen versprochen, die ihn vor zwei Jahren zum Ärztepräsidenten wählten. Beim 116. Ärztetag vom morgigen Dienstag bis zum Freitag in Hannover will er es nicht dabei belassen, seine Mediziner gegen die Oppositions-Vision einer Bürgerversicherung wettern zu lassen. Vier Monate vor der Bundestagswahl wird Montgomery auch den Neben-Gesundheitsminister geben und den Delegierten ein fertiges Konzept zum Umbau des Krankenversicherung präsentieren. Deutschlands Ärzte, so das Signal, wissen am besten, wo’s langgehen muss. Und die Politik täte gut daran, sich nach ihrem Expertenurteil zu richten.

Kernpunkt des Medizinerkonzepts ist dabei das, wofür einst FDP und Teile der Union unter dem Namen „Kopfpauschale“ die Werbetrommel gerührt haben. „Der derzeitige Versichertenanteil wird zu einem festen, einkommensunabhängigen Gesundheitsbeitrag weiterentwickelt, der vom Versicherten an seine Krankenkasse gezahlt wird“, heißt es in dem elfseitigen Papier. Das bedeutet: Alle Versicherten innerhalb einer frei zu wählenden Kasse hätten den gleichen Beitrag zu zahlen, unabhängig von ihrem Einkommen. Im Schnitt würde dieser, so schätzen die Verfasser, pro Person zwischen 135 und 170 Euro monatlich betragen. Am bisher geltenden Arbeitgeberanteil von 7,3 Prozent würde festgehalten, auch die Beitragsbemessungsgrenze bliebe unverändert. Und um keinen zu überfordern, würde der beitragspflichtige Anteil auf neun Prozent des Haushaltseinkommens begrenzt. Für Versicherte, die darüber kämen, gäbe es einen Sozialausgleich, der aus Steuern finanziert wird.

Da die gesetzlichen Kassen aus Ärztesicht ihre „Finanzautonomie“ wieder zurückbekommen sollten, würde die Beitragshöhe je nach Versicherer variieren. Keine Rolle spielen dürften dafür allerdings Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen, heißt es in dem Konzept. Zu prüfen sei lediglich, ob „regionale Unterschiede in der Beitragshöhe aufgrund unterschiedlicher Versorgungsangebote“ zweckmäßig seien. Derzeit beträgt der Beitragssatz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer einheitlich 15,5 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens.

Auf große Begeisterung stößt das aufgewärmte Kopfpauschalen-Konzept bisher nicht einmal bei dessen einstigen Befürwortern. Schließlich hatten die das Ganze aus gutem Grund auf die bloße Möglichkeit für die Kassen eingedampft, einkommensunabhängige Zusatzbeiträge zu verlangen. Doch den Funktionären geht es um ein klares Gegenmodell zur Bürgerversicherung. Die nämlich ist aus ihrer Sicht des Teufels. Eine „absolute Fehlentwicklung“ nennt Montgomery das gemeinsame Projekt von SPD, Grünen und Linkspartei. Und prophezeit, dass dieser „Versuch einer Einheitsmedizin“ ganz schnell in eine Zwei-Klassen-Medizin münden würde. Weil den gesetzlichen Kassen ohne private Konkurrenz jeglicher Qualitäts- und Leistungsdruck abhanden komme. Und weil man finanziell Bessergestellten kaum verbieten könne, private Zusatzversicherungen abzuschließen.

Origineller ist da schon eine andere Idee aus dem Bastelkasten der Mediziner. Um dem Demografieproblem zu begegnen, empfehlen sie, allen in Deutschland geborenen Kindern aus Steuermitteln ein „Gesundheits-Sparkonto“ einzurichten. Denkbar sei eine Altersrückstellung von 100 Euro bis zum 18. Lebensjahr. Mit diesem Zuschuss, so lautet die Begründung, könne dann „jede Generation aus sich selbst heraus für ihre Gesundheitskosten aufkommen“. Mit der Überlastung der Jüngeren zur Finanzierung älterer Generationen müsse „Schluss sein“.

Aber wenn schon gesundheitspolitische Einmischung, dann richtig. Es stehe der Ärzteschaft „gut an“, findet Montgomery, sich nicht nur mit der Frage zu befassen, woher das Geld kommt, sondern auch, wofür es ausgegeben wird. Die Delegierten werden in Hannover also nicht nur ihr Wunschsystem proklamieren, sondern auch über die heikle Frage debattieren, wie viel Markt die Medizin verträgt. Und wie der Abhängigkeit von Armut und Krankheit beizukommen ist. Kinder aus der untersten Gesellschaftsschicht kämen hierzulande auf eine um bis zu zehn Jahre geringere Lebenserwartung als Gleichaltrige aus höheren Schichten, sagt Montgomery. Für das Sozialsystem eines hoch entwickelten Industrielandes sei das „eine Schande“.

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