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Immer modisch - zum Ausgehen gab Marko Feingold einst sein Geld aus. Anfang der 30er Jahre wurde das Leben für Juden schwer.
© Ruth Eisenreich

Marko Feingold ist 103 Jahre: Der letzte Zeuge erklärt Schülern den Faschismus

In Österreich kennt ihn jedes Schulkind. Auch wegen seines schwarzen Humors. Marko Feingold ist 103 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt. Nun kämpft er gegen Antisemitismus – und ist selbst nicht frei von Vorurteilen. Unser Blendle-Tipp.

Als Marko Feingold 100 Jahre alt wurde, hat er sich vorgenommen, nur noch einmal am Tag öffentlich aufzutreten. Zu viele Vorträge, zu viele Interviews. Mittags wird er dann oft müde. Aber manchmal hilft es nichts. Die Zeiten sind gerade nicht danach, dass einer wie er ruhen könnte.

Und so steht er an einem eisigen Morgen Anfang Dezember am Milchglasfenster der Salzburger Synagoge und schaut abwechselnd nach draußen in den Vorgarten und auf die von einem Davidstern umrandete Uhr an der Wand. Die Uhr zeigt 9.32 Uhr. Die Schulklasse sollte jetzt da sein, ist sie nicht. In einer Stunde muss Feingold aber schon zum Zug, nach Wien zur Sitzung des antifaschistischen Vereins, in dessen Vorstand er sitzt. Wer sich die Weltlage anschaut, ahnt, dass es viel zu besprechen gibt.

Marko Feingold ist ein kleiner Mann, etwa einssechzig, mit grauweißem Haar, einem Schnurrbart und Händen, die ein bisschen zu groß scheinen für den Rest des Körpers. In seinen Ohren klemmen kaum sichtbar Hörgeräte, er geht langsam, aber ohne Stock oder Rollator.

Marko Feingold ist 103 Jahre alt. Er hat ein Jahrhundert europäischer Geschichte miterlebt, in Österreich, Italien, Tschechien, unfreiwillig in Polen und Deutschland, und wieder in Österreich. Wenn er von seiner Jugend erzählt, dann spricht er von einer längst untergegangenen Welt, in der es nach Bohnerwachs riecht und Jungs nur kurze Hosen tragen dürfen. Aber das ist nicht der Grund, warum Feingold bis heute vor Schülern spricht.

Dass Feingold mit 103 Jahren noch lebt, ist doppelt erstaunlich, denn sein Schicksal schien mit 26 bereits besiegelt zu sein: Konzentrationslager Auschwitz, nach den ersten Wochen wog er 30 Kilogramm, hatte sich schon aufgegeben. „Die meisten Häftlinge im KZ sind stehend gestorben, während der Arbeit“, sagt er. „So bin ich auch dagestanden, auf meine Schaufel gestützt, schon halb tot.“ Doch Feingold überlebte, als Einziger aus seiner Familie. „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“ lautet der Titel seiner Autobiografie, die 2000 erschien.

In Österreich ist Feingold, der älteste KZ-Überlebende des Landes, ein bekannter Mann. Auch seines schwarzen trockenen Humors wegen. Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Menschen um ihn herum noch behaupteten, sie hätten von nichts gewusst, begann er, über den Holocaust und seine Erlebnisse im KZ zu sprechen. Er redete darüber in den 60er, 70er und 80er Jahren, als die Verbrechen der Nazis bekannt waren, die Österreicher sich aber als erste Opfer Hitlers darstellten; er machte weiter in den 90er und 2000er Jahren, als in Österreich die FPÖ in die Regierung aufstieg; und er spricht darüber heute, einer Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit und Autokratie wieder mehrheitsfähig werden. In der sich Millionen Wähler in den USA, in Frankreich, in Ungarn, in Polen und auch in Deutschland und Österreich wieder nach einem „starken Mann“ sehnen. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird auch Probleme mit der Zukunft haben“, hat Feingold einmal gesagt.

Um 9.35 Uhr klingelt es endlich am Tor. Feingold öffnet, 20 Mädchen in Jeans, Parkas und großen Schals strömen in das Gebäude und klappen in der Synagoge die Sitze herunter. Sie kommen aus Braunau, der Geburtsstadt Hitlers ...

Den vollständigen Artikel lesen Sie hier, für 45 Cent im digitalen Kiosk Blendle.

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