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Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
© Marijan Murat/dpa

Kretschmann setzt auf handzahme Koalition: Der kurze Weg vom „Grünen Teufel“ zur CDU

Katholisch und wertegebunden ist der Ländle-Chef – bei weitem nicht links. Mit seiner Koalition setzt er ein Signal für den Bund. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Das hätte man sich ja denken können: Winfried Kretschmann will in Baden-Württemberg weiter mit der CDU koalieren. Einerseits ist das verständlich, weil die CDU, stimmen- und stimmungsmäßig gerupft, wie sie ist, als Koalitionspartner immer handzahmer wird. Jetzt will sie auch beim Klimaschutz auf den Kurs der Grünen gehen, was für die sehr wichtig ist.

Was die CDU – im Übrigen – längst hätte tun sollen; denn das Klima zu schützen gehört zur Bewahrung der Schöpfung, und das ist für christliche, konservative Politiker ein Muss. Eigentlich. Nur hat die CDU das wohl nicht verstanden. Aber der christliche Politiker Kretschmann, der schon, und deshalb ist er Ministerpräsident.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Person Kretschmann, weil sich über sie das meiste erklärt. Er ist der erste Grünen-Ministerpräsident, in diesem Land und überhaupt. In Baden-Württemberg aber, weil es nicht nur das Land der Schaffer ist, das Musterländle, sondern weil dort die christlichen Werte immer noch eine hohe Bedeutung haben und Kretschmann sie wie kein Zweiter verkörpert. Der ländliche und der andere Raum sind sich darin nicht so unähnlich wie in nördlicheren Regionen.

Ob Pietist oder Katholik, Kretschmann ist für viele der ideale Kandidat, und zwar parteiübergreifend. Immer begleitet ihn, dass er in seiner Jugend Oberministrant war und zumindest eine Zeitlang Priester werden sollte und wollte. Das wissen die Leute. Da stört auch seine zeitweilige Hinwendung zum Marxismus-Leninismus nicht. Dass Kretschmann länger gebraucht hat, um als Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik verbeamtet zu werden, weil er dem Maoismus zuneigte, ist lange, lange her. Er bezeichnet diese Zeit selbst heute auch als einen fundamentalen politischen Irrtum.

Links würde ihn heute keiner nennen, bei Weitem nicht. Heute schreibt Kretschmann Bücher über wohlverstandenen Konservativismus liberaler Art. Und bei den Grünen könnte man ihn – der sie 1979 immerhin mitgegründet hat – mit einigem guten Willen noch den Ökolibertären zurechnen. Wenn es die noch gäbe.

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Und so ist der Weg zur CDU nicht weit, inhaltlich, polit-phänomenologisch gewissermaßen. Manchen in der CDU gilt er ja als der „grüne Teufel“, so genannt nach Erwin Teufel, seinem Vorvorvorgänger von der CDU, aus Spaichingen wie er stammend, ebenso katholisch und wertegebunden.

Hinzu kommt: Wie die CDU im Bund ihren großen „Alten“ hatte, Konrad Adenauer, so haben ihn heute die Grünen. Und Kretschmann, 72, mag wie Adenauer keine Experimente. Schon gar nicht für seine dritte Amtszeit.

So, und das alles im Hinterkopf wundert es doch keinen mehr, wie es im Ländle kommen soll, oder? Mögen sich jüngere Parteimitglieder – die Parteijugend in Baden-Württemberg und auch die im Bund – über das Signal ärgern, das von der hart errungenen Entscheidung des Landesvorstands ausgeht: Keiner darf glauben, dass Kretschmann deshalb davon ablässt. Er kann hartnäckig, manche sagen: halsstarrig sein.

 Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
© Christoph Schmidt/dpa

Eher gibt er das Amt als seine Meinung auf. Das werden die Jungen doch wohl nicht riskieren wollen, zumal nicht im Bundestagswahljahr, in dem sich die Grünen insgeheim Hoffnungen machen, vielleicht sogar die Nummer 1 im ganzen Land zu werden und den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen.

Die Alternative einer Ampel mit SPD und FDP kommt für die Grünen-Ikone Kretschmann aber nicht in Betracht – es sei denn, das kommende „abschließende Sondierungsgespräch“ mit der CDU würde anders als erwartet verlaufen. Will sagen: würde scheitern. Damit ist allerdings nicht zu rechnen. Die Christdemokraten wollen die Koalition.

Für Kretschmann sind Worte von der grünen Jugend wie „Diese Entscheidung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die in den letzten Monaten Wahlkampf für den Wechsel gemacht haben“ kein Hinderungsgrund. Auch deshalb nicht, weil Wahlanalysen besonders in ihm als Person den Grund ausgemacht haben, dass seine Partei am 14. März deutlich stärkste Kraft geworden ist.

Kretschmann rechnet mit CDU-Sieg im Bund

Für den Bund geht von alledem natürlich schon ein Signal aus – weil es vermeintlich besagt, dass Kretschmann, der erfahrenste unter den Spitzenpolitikern der Grünen, offenkundig nicht davon ausgeht, dass seine Partei stärker wird als die Union aus CDU und CSU. Dann aber geht es rechnerisch um Schwarz-Grün. Diese Kombination liegt Kretschmann nahe; besonders nahe ist ihm Bayern, nicht nur geografisch. Mit den dortigen Ministerpräsidenten von der Christlich-Sozialen Union arbeitet Kretschmann sehr gut zusammen, erst mit Horst Seehofer, jetzt mit Markus Söder.

Auch diese beiden teilen viele Ansichten, jüngst wieder in der Frage, wie die Corona-Pandemie wirksam zu bekämpfen sei. Und Söder ist auch noch unerklärter Anwärter auf die Kanzlerkandidatur der Union. Im Falle von Schwarz-Grün gäbe es auch die Option für Kretschmann, 2022 als Bundespräsident nach Berlin zu wechseln, wenn Frank-Walter Steinmeiers Amtszeit endet.

Allerdings gilt andererseits: So wie Kretschmann sich ausbedingt, für sein Land das Richtige zu entscheiden, können das im Bund Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Bundesvorsitzenden, auch. Sollte denen eine „Ampel“ als Koalition unter grüner Führung möglich sein – sie werden sich nicht stoppen lassen, ebenso wenig, wie Kretschmann das täte. So weit würden sich diese beiden schon emanzipieren. Aber das kann er sich ja denken.

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