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Emmanuel Macron eröffnet am 26. Februar eine Landwirtschafts-Messe in Paris.
© Ludovic Marin/REUTERS

Die Nähe der Radikalen zu Putin: Der Krieg verändert den französischen Wahlkampf

In sechs Wochen wählen die Franzosen. Nach Russlands Angriff sind rechte und linke Kandidaten in Erklärungsnot. Und der Blick auf Emmanuel Macron wandelt sich.

Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, steht am Abend des russischen Angriffs auf die Ukraine auf dem Platz der Republik in Paris, inmitten von dutzenden Parteifreunden, die die Flagge der parti socialiste hochhalten. Hunderte Menschen sind gekommen, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren.

Hidalgo spricht mit einem Demonstranten, der sich die ukrainische Flagge umgehängt hat, sie ist da, um Solidarität zu zeigen. Aber nicht nur das: Als Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei ist sie auch im Wahlkampf. Am Tag danach, nach einer Sondersitzung des Parlaments, wirft ihr eine Abgeordnete der linken Partei „La France insoumise“ vor, die dramatische Situation für ihre eigenen politischen Interessen zu nutzen. So sieht er aus, der Wahlkampf in Kriegszeiten.

Sieht aus wie eine Partei-Veranstaltung, ist aber eine Demonstration gegen den Krieg: Anne Hidalgo, Präsidentschaftskandidatin der parti socialiste, am 24. Februar 2022 in Paris.
Sieht aus wie eine Partei-Veranstaltung, ist aber eine Demonstration gegen den Krieg: Anne Hidalgo, Präsidentschaftskandidatin der parti socialiste, am 24. Februar 2022 in Paris.
© Thomas COEX/AFP

Sechs Wochen vor dem ersten Wahlgang ist in Frankreich dieses Jahr schon aus anderen Gründen vieles anders, als sonst im Vorfeld von Präsidentschaftswahlen. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben bislang die meiste Aufmerksamkeit gebunden, außerdem hat Amtsinhaber Emmanuel Macron immer noch nicht seine Kandidatur erklärt. Der Krieg in der Ukraine verändert nun alles: Zeitpläne, Wahlkampfauftritte, die inhaltliche Debatte, den Blick auf die Kandidaten – auch auf den Favoriten Emmanuel Macron.

Alle Präsidentschaftskandidaten haben zwar den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt – wenn auch mit unterschiedlichen Zwischentönen. Doch insbesondere die rechtsextremen Kandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour werden mit ihren Russland- und Putin-freundlichen Aussagen der Vergangenheit konfrontiert. Für die beiden, die bislang die öffentliche Debatte stark dominierten, wirft das Glaubwürdigkeitsprobleme auf.

Marine Le Pen etwa hat mehrfach ihre Bewunderung für Putin kundgetan, im Wahlkampf 2017 besuchte sie ihn persönlich im Kreml. In einer offiziellen Erklärung am Donnerstag verurteilte sie zwar den Angriff. In einem Fernsehinterview später am Tag sagte sie aber auch, Putin beeindrucke sie.

Erklärungsnöte rechts und links

Der ehemalige Journalist und Autor Éric Zemmour wiederum hatte 2018 in einem Interview gesagt, er träume von einem „französischen Putin“. Zemmour rangiert derzeit in Umfragen zwischen dem dritten und vierten Platz hinter Emmanuel Macron. Französische Medien verbreiteten vergangene Woche einen Text von ihm aus dem Jahr 2014, der den Titel „Die Ukraine existiert nicht“ trug und ziemlich genau die Argumentation beinhaltet, die Putin nun für den Angriff nutzte.

Auch Zemmour versuchte direkt gegenzusteuern, verurteilte den Angriff Russlands und kündigte eine längere Rede zum Thema an. In seiner Erklärung fand er aber auch verständnisvolle Worte für das Handeln Putins. „Wir alle sind für diese Situation verantwortlich“, sagte Zemmour und kritisierte die „Expansion der Nato im Osten des Kontinents“.

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Der linke Jean-Luc Mélenchon, erklärter Gegner der Nato, sah sich ebenfalls Vorwürfen ausgesetzt, in der Vergangenheit zu viel Verständnis für Russland gezeigt zu haben. Sein Team reagierte prompt und verbreitete auf Social Media einen Zusammenschnitt von Aussagen Mélenchons aus den vergangenen Jahren, die das Gegenteil beweisen sollen.

Macron - gescheitert und doch gestärkt?

Für Präsident Emmanuel Macron ist der Angriff auf die Ukraine nach Wochen des Bemühens und einem Besuch im Kreml auch ein persönliches Scheitern. Trotzdem könnte er mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in gewisser Weise davon profitieren. Als Amtsinhaber symbolisiert er in Krisenzeiten Stabilität und Sicherheit.

Die erste Ansprache des Präsidenten nach dem Angriff machte seine Haltung deutlich: Mit den europäischen Partnern und Verbündeten habe man alles getan, um den Angriff zu verhindern, sagte er. Er werde alles tun, um Frankreich und seine Bevölkerung in dieser schweren Zeit zu verteidigen.

Für Macron wird es eine Herausforderung sein, sich diese Woche offiziell zu seiner Präsidentschaftskandidatur zu bekennen – in der Regel gilt der 4. März als letztes Datum dafür. Bis zu diesem Tag müssen alle Kandidaten mindestens 500 Unterschriften gewählter Politiker gesammelt haben.

Macron hatte den Moment lange hinausgezögert mit der Begründung, die aktuellen Krisen müssten zunächst gelöst werden. Nun wird Macron seine Erklärung der dramatischen Lage in der Ukraine anpassen müssen. Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass eine für den 5. März in Marseille angesetzte große Wahlkampfveranstaltung - es wäre die erste für Macron in diesem Jahr gewesen - abgesagt wird.

Debatten unter veränderten Vorzeichen

Auch inwiefern angesichts der internationalen Lage überhaupt die Themen der Kandidaten durchdringen werden, ist unklar. Regierungssprecher Gabriel Attal versicherte am Sonntag: "Wir werden nicht ohne eine demokratische Debatte auskommen. Sie ist unerlässlich". Macron werde sein Programm präsentieren und sich an der Debatte beteiligen.

Inhaltlich wird sich der Krieg wohl vor allem auf zwei Themen auswirken. Die Diskussion um die innere Sicherheit und Migration wird sich voraussichtlich verändern. Bislang betonten alle Kandidaten des rechten Spektrums, die Migration müsse dringend begrenzt werden. Angesichts der zu erwartenden großen Anzahl an Ukrainerinnen und Ukrainern, die Schutz möglicherweise auch in Frankreich suchen werden, wird sich die Argumentation so kaum halten lassen.

Zum anderen wird die Frage nach der Kaufkraft eine noch größere Rolle spielen als ohnehin schon. Kandidatin Le Pen griff diesen Aspekt bereits am vergangenen Freitag auf und sagte, die Franzosen dürften durch die Sanktionen gegen Russland nicht noch stärker wirtschaftlich geschwächt werden. Der Krieg und seine Auswirkungen, sie sind in Frankreich schon mitten im Wahlkampf angekommen.

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