Konflikt mit Syrien: "Der Krieg der AKP" gerät unter Beschuss
Demonstrationen in Istanbul und Ankara, Proteste an der syrischen Grenze – die Syrien-Politik von Ministerpräsident Erdogan ist in der Türkei höchst umstritten. Kriegsangst spielt dabei ebenso eine Rolle wie Anti-Amerikanismus.
Mehmet Yilmaz schüttelt den Kopf. „Wir sollten uns da ganz raushalten“, sagt der Mitt-Fünfziger aus der türkischen Metropole Istanbul. Mehr als 20 Jahre war Yilmaz (Name geändert) bei der türkischen Armee. Als Pilot steuerte er Kampfhubschrauber während der schlimmsten Jahre des Kurdenkrieges in Südostanatolien, er hat mit eigenen Augen gesehen, was ein Krieg anrichten kann. Und jetzt befürchtet er, dass die Türkei in einen neuen Krieg mit dem Nachbarn Syrien hineinschlittert. „Wenn wir nach Syrien reingehen, dann kommen wir so schnell nicht mehr da raus.“
Yilmaz steht mit seiner Sorge nicht allein. „Nein zum Krieg“, skandierten mehrere tausend Demonstranten, die sich in den vergangenen Tagen in Istanbul, Ankara und anderen Städten versammelten. In der Zustimmung des türkischen Parlaments zu einem Mandat für eine Syrien-Intervention der Armee sehen sie den ersten Schritt zum Krieg. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan betont, seine Regierung wolle keine militärische Auseinandersetzung mit Syrien – sehr weit von einem Krieg entfernt sei die Türkei aber auch nicht.
Tatsächlich rückt der Krieg in Syrien immer näher an die Türkei heran. Seit dem Tod von fünf türkischen Zivilisten beim syrischen Beschuss auf die türkische Grenzstadt Akcakale und dem anschließenden Artillerie-Feuer der Türken auf syrisches Gebiet Mitte der vergangenen Woche sind noch vier weitere Geschosse aus Syrien auf türkischem Territorium gelandet. Auch nach diesen Einschlägen schossen die Türkei zurück.
Kritiker der Regierung befürchten, dass die Lage noch weiter eskalieren könnte. Intellektuelle wie der angesehene Historiker Ahmet Insel sprechen von einem „Bankrott“ der türkischen Außenpolitik. Ankara sei nach einer Reihe von Fehlentscheidungen inzwischen Partei im syrischen Bürgerkrieg, schrieb Insel am Sonntag in der Zeitung „Radikal“. Auch viele Normalbürger denken so. In Ankara musste die Polizei Tränengas einsetzen, um Demonstranten an einem Marsch aufs Parlament zu hindern.
„Der Krieg der AKP“ sei das, stand auf einem Transparent bei der Demo in Istanbul. Die machtgewohnte Regierungspartei Erdogans, die in den letzten zehn Jahren drei Parlamentswahlen souverän gewann, hat derzeit in der Öffentlichkeit einen schweren Stand.
Erdogan selbst und andere AKP-Politiker mögen versucht sein, die Proteste als Reaktion einiger vaterlandsloser Gesellen abzutun. Der Premier ließ erkennen, dass er die Angelegenheit tatsächlich so sieht. Die Gegner des Syrien-Mandats hätten vor der Geschichte versagt, erklärte er.
Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Skepsis gegenüber der Syrien-Politik der Regierung geht quer durch die türkische Gesellschaft und betrifft auch die AKP-Wählerschaft selbst. Nach einer kürzlichen Umfrage lehnen zwei Drittel der türkischen Wähler die Linie Erdogans im Syrien-Konflikt ab – und selbst jeder dritte AKP-Wähler ist dagegen, was die Regierung in Sachen Syrien unternimmt.
Ganz besonders groß ist der Widerstand in der Grenzprovinz Hatay im Süden der Türkei. Dort halten sich die meisten syrischen Flüchtlinge in der Türkei auf – ausgerechnet in einer Gegend, in der viele alawitische Muslime leben, deren Glaubensrichtung mit der Religion der syrischen Elite um den Assad-Clan verwandt ist. Der syrische Präsident hat hier etliche Anhänger. Die syrischen Flüchtlinge dagegen sind überwiegend Sunniten, die sich zur Opposition gegen Assad zählen.
Bei Demonstrationen in Hatay machte sich schon in den vergangenen Wochen der Unmut über die Anwesenheit der Syrer Luft. Die Regierung in Ankara reagierte rasch – und leitete eine Umsiedlung von Flüchtlingen in andere Gebiete der Türkei ein.
Auch in Akcakale, dem Brennpunkt der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Türken in den vergangenen Tagen, bekam die Regierung die Wut der Bevölkerung zu spüren. Die Toten des syrischen Angriffs seien im Herzen der Menschen begraben worden – „die Politiker begraben wir an der Wahlurne“, stand auf einem Spruchband, das während eines Beileidsbesuches von Arbeitsminister Faruk Celik in Akcakale entrollt wurde.
Die Menschen in Akcakale fühlen sich von der Politik allein gelassen. Schutzlos seien die Bewohner der Stadt den syrischen Querschlägern ausgesetzt gewesen, die seit Wochen immer mal wieder auf türkischem Gebiet einschlugen, sagen sie. „Wir sind unserem Schicksal überlassen worden“, sagte ein Arbeiter in Akcakale bei der Demonstration gegen den Besuch von Minister Celik.
Die Opposition in Ankara argumentiert ebenfalls, die Regierung habe die Sicherheit der Türkei und ihrer Bürger aufs Spiel gesetzt, indem sie sich im Syrian-Konflikt so glasklar auf die Seite der Assad-Gegner stellte. Bei einigen spielt zudem der traditonelle Anti-Amerikanismus der türkischen Linken eine Rolle. „Stehen Sie auf der Seite der Türkei oder auf der von Obama?“ fragte der linksnationale Oppositionsabgeordnete Muharrem Ince einen Redner der AKP in der Parlamentsdebatte über das Syrien-Mandat für die türkische Armee.
In linksgerichteten türkischen Tageszeitungen wird die Erdogan-Regierung regelmäßig als „Subunternehmer“ Washingtons beschimpft. Erdogan werde von Washington vorgeschickt, um Syrien nach den Wünschen der USA neu zu ordnen, ohne dass sich die Amerikaner dabei die Finger schmutzig machen müssten, lautet der Vorwurf. „Mörder USA“, stand auf Schildern, die von Istanbuler Demonstranten in die Höhe gehalten wurden.
Auch Mehmet Yilmaz, der ehemalige Hubschrauberpilot, ist der Ansicht, dass „imperialistische Mächte“ hinter der Syrien-Krise stehen. Die Türkei solle in einen Krieg hineingeschubst werden, um den weiteren Aufstieg des Landes zur regionalen Führungmacht zu verhindern, sagt er.
Was alle Erdogan-Kritiker verbindet, ist die Befürchtung, dass die Regierung und ein Teil der Medien versuchen, eine Hurra-Stimmung für einen Krieg zu erzeugen. In einem Krieg würden die Entscheidungen immer von jenen getroffen, die selbst nicht befürchten müssten, in diesem Krieg ums Leben zu kommen, schrieb der Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung „Taraf“, Ahmet Altan. Für die Regierung Erdogan hatte er eine Warnung parat, die auch vom Ex-Piloten Mehmet Yilmaz geteilt wird: „Es ist schwerer, einen Krieg zu beenden, als ihn zu beginnen.“