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Der LKW, in dem 71 tote Flüchtlinge gefunden wurden, parkt zur polizeilichen Untersuchung in Nickelsdorf, Österreich.
© AFP

Flüchtlinge: Der Kampf gegen die Schleuser

Das Schicksal der 71 in Österreich tot aufgefundenen Flüchtlinge löst weltweit Entsetzen aus. Wie können rücksichtslose Menschenschlepper besser bekämpft werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Auf ihrem Weg nach Westeuropa sind 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder qualvoll in einem Kühltransporter erstickt, der an einer Autobahn in der Nähe von Wien gefunden wurde. Zumindest einige von ihnen waren vor dem Krieg in Syrien nach Europa geflohen. Die Nachricht vom Tod dieser Flüchtlinge hat international Entsetzen ausgelöst – und eine Debatte darüber, wie es zu der Tragödie kommen konnte und was nun getan werden muss. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres, rief die Staaten Europas zum Kampf gegen kriminelle Schlepperbanden auf.

Die Flüchtlinge, die in dem Lkw starben, waren offenbar über den Balkan in die Europäische Union gereist. Die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute ist in den vergangenen Tagen stark angestiegen. Woran liegt das?

Der Polizeidirektor des Bundeslandes Burgenland glaubt, dass dies die Folge des von Ungarn derzeit errichteten und schwer bewachten Grenzzauns zu Serbien ist. Viele Flüchtlinge fürchteten, dass damit auch diese Hauptroute aus Griechenland nach Deutschland bald unpassierbar werde, sagte Hans Peter Doskozil. So versuchen die Flüchtlinge noch rasch über diese Grenze zu kommen, ab der sie im Schengen-Raum sind. Dass sie dort oft von ihren skrupellosen Schleppern ausgesetzt werden, wissen sie nicht. Oder sie nehmen es in Kauf. Immerhin ist Österreich eines der drei Länder in der EU, die gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Der Großteil der von der Polizei derzeit täglich gut 400 aufgegriffenen Flüchtlinge will weiter nach Deutschland.

Wie reagiert Österreich auf die Tragödie?

Die Flüchtlingstragödie hat dem Thema eine emotionale Wucht verliehen, die bisher fast undenkbar war. Zumindest in den Medien werden keine Stimmen mehr wiedergegeben, die wie früher kritische Distanz zur Not der Flüchtlinge artikulieren. Die Betroffenheit der Österreicher ist offenbar tief. Viele fordern nun verstärkte Anstrengungen, den Flüchtlingen effizient zu helfen und die Schlepper noch konsequenter zu verfolgen. Derzeit sind 278 Schlepper in Österreich in Haft. Sogar der Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, gab sich jetzt betroffen: Er forderte drastische Strafen für Schlepper. Er und seine Partei agitierten bisher strikt gegen jede Ausweitung der Flüchtlingsaufnahme und für eine Aussetzung der Schengen- Regelung. Massive Kritik löste die Veröffentlichung eines Fotos der Leichen aus dem Laderaum des Lkw im Boulevardblatt „Kronenzeitung“ aus. Es hatte heftige, überwiegend ablehnende Reaktionen der Leser und der anderen Medien sowie Beschwerden beim Presserat zur Folge.

Warum wurden nach der Tragödie die mutmaßlichen Schlepper so schnell gefasst?

Die Zusammenarbeit zwischen Österreich und Ungarn, wo die mutmaßlichen Schlepper gefasst wurden, scheint in diesem Falle besonders gut zu sein. Ungarn fürchtet womöglich um seinen Ruf und hat ungewöhnlich viele Beamte abgestellt sowie zwei nach Österreich entsandt. In Österreich selbst wurde eine Sonderkommission mit 20 Ermittlern eingesetzt. Hauptquelle für die Spur zu den Schleppern war offenbar der Lkw, über dessen Kennzeichen ziemlich rasch der Besitzer und seine Fahrer ermittelt wurden. Offen ist derzeit noch, ob die ungarische und die bulgarische Polizei auch die Köpfe der Schlepperbande fassen können. Der Polizeidirektor des Burgenlandes berichtete von intensiven Verhören der drei Festgenommenen. Normalerweise geben die unteren Ebenen der Schlepper ihre Chefs nicht preis, wenn sie diese überhaupt kennen. Der Leitende Staatsanwalt von Eisenstadt will die Auslieferung beantragen und Anklage erheben. Er hält auch eine Anklage wegen vielfachen Mordes für möglich.

Was sagt Deutschland zur Flüchtlingstragödie in Österreich?

Die Bundesregierung sprach sich nach dem Tod der Flüchtlinge in Österreich für verstärkte Anstrengungen gegen Schlepper aus. Man werde mit aller Konsequenz überlegen müssen, wie man noch energischer gegen das Schlepperwesen auch auf der Balkanroute vorgehen könne, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das Flüchtlingsdrama in Österreich zeige, „dass die Not von Menschen zum Geschäftsmodell geworden ist – ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit“, sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Man müsse alles dafür tun, „diese Typen zu erwischen und vor Gericht zu bringen und zu bestrafen und solchen Schleppern das Handwerk zu legen“.

Wie viele Schleuser wurden bisher in Deutschland gefasst?

In Deutschland wurden im Jahr 2014 insgesamt 2149 Schlepper von der Bundespolizei aufgegriffen, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten von ihnen (je 176) kamen aus Deutschland sowie aus Syrien. Schon jetzt ist absehbar, dass die Zahl der von der Polizei gefassten Schlepper in diesem Jahr angesichts der stark steigenden Flüchtlingszahlen deutlich höher sein wird. Im Juli waren es nach Angaben der Bundespolizei jeden Tag durchschnittlich zwölf Schleuser. „Im Zeitraum Januar bis Juli 2015 wurden durch die Bundespolizei 1785 Schleuser festgestellt“, sagte ein Sprecher. Die meisten von ihnen kommen demnach aus Ungarn. Aber auch viele Rumänen, Serben, Syrer und Bulgaren bringen Flüchtlinge über die Grenzen nach Deutschland. Nach der Flüchtlingstragödie bei Wien verstärkte die bayerische Polizei ihre Kontrollen im Grenzgebiet zu Österreich. Dabei achtet sie besonders auf Fahrzeuge, die mehr als 15 Personen befördern könnten.

Wie will die Europäische Union gegen Schlepper vorgehen?

Da Flüchtlingen praktisch keine legale Einreisemöglichkeit nach Europa bleibt, lässt sich mit der Not dieser Menschen viel Geld verdienen. Eine Schleusung kann nach Angaben der Bundespolizei je nach Entfernung bis zu 30 000 Dollar kosten. Angesichts der großen Gewinne sind Schleusungen in vielen Fällen Teil der organisierten Kriminalität. Im Kampf gegen unerlaubte Einreise und gegen Schleuser reichen die Ideen von verstärkten oder wieder einzuführenden Grenzkontrollen bis zur Zerstörung von Schlepperbooten. Bereits im Herbst soll der EU-Einsatz im Mittelmeer, an dem sich auch die Bundeswehr mit zwei Schiffen beteiligt, ausgeweitet werden. Bisher konzentrieren sich die Schiffsbesatzungen darauf, Flüchtlinge von kenternden Booten zu retten und Informationen über das Vorgehen der Schlepper zu sammeln. Bereits ab Oktober könnten nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa Schiffe von Schleuserbanden zerstört und die Schlepper festgenommen werden. Die Ausweitung der bisherigen Mission ist aber noch nicht beschlossen, der Bundestag müsste einem geänderten Mandat ebenfalls zustimmen.

Was kann neben dem Kampf gegen Schleuser noch getan werden?

Solange Flüchtlinge sich auf den gefährlichen Weg nach Europa machen, wird es Menschen geben, die aus ihrer Not Profit schlagen wollen. Nach Recherchen einer internationalen Journalistengruppe im Rahmen des Projekts „The Migrants’ Files“ sind seit dem Jahr 2000 mehr als 30 000 Menschen an Europas Grenzen gestorben. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl warnen nun davor, eine reine Diskussion über die Bekämpfung von Schleppern zu führen. „Schlepper beuten das Elend der Menschen aus, aber sie sind nicht die Ursache. Deshalb ist die Diskussion in der Politik heuchlerisch“, sagte Pro-Asyl-Deutschland-Chef Günter Burkhardt dem Tagesspiegel. „Das Problem ist, dass Schlepper für Flüchtlinge die einzige Möglichkeit sind, nach Deutschland zu kommen.“ Es gebe auch für Flüchtlinge, die gute Chancen auf Anerkennung hätten, keinerlei Möglichkeit auf legalem Weg nach Deutschland zu gelangen. „Legale Fluchtwege würden Schleppern das Geschäft zerstören, aber stattdessen werden neue Zäune hochgezogen“, sagte Burkhardt. „Die aber werden niemanden von der Flucht abhalten.“ Zu hoffen, dass Aufnahmezentren, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande gefordert hatten, das Problem lösten, sei realitätsfremd. „Wir fordern seit Monaten, dass zum Beispiel Syrer, die Familie in Deutschland haben, ein Visum beantragen und legal einreisen können“, sagte Burkhardt. „Das gab es in Deutschland im Rahmen des humanitären Aufnahmeprogramms der Bundesregierung. Das wurde aber bereits vor mehr als einem Jahr beendet.“ Ähnlich äußerte sich auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Schleuser, die für den Tod von Flüchtlingen verantwortlich seien, müssten vor Gericht gestellt werden, erklärte Judith Sunderland von Human Rights Watch. Zugleich sieht sie die EU in der Pflicht: „Statt Zäune zu errichten, wie Ungarn es tut, sollte die EU sichere und legale Alternativen für Einreisewillige ausweiten, besonders für diejenigen, die vor Verfolgung und bewaffneten Konflikten fliehen.“

Welche Vorschläge gibt es noch?

Ein überraschender Vorstoß kam am Freitag vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der Berufsverband, der nach eigenen Angaben die Mehrheit der Kripobeamtinnen und -beamten in Deutschland vertritt, sprach sich für ein Ende der Kriminalisierung von Flüchtlingen aus. Nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz sei die Einreise ohne gültiges Visum „per se eine Straftat, welche eine polizeiliche Bearbeitung nach sich zieht“, schreibt die beim Bundeskriminalamt tätige Kriminalkommissarin Friederike Zigmann in einem vom Bund Deutscher Kriminalbeamter veröffentlichten Positionspapier. Wer nach der Einreise Asyl beantragt und erhält, muss keine strafrechtlichen Folgen fürchten. „Dennoch führt diese Gesetzeslage dazu, dass ein Großteil der Flüchtlinge in Deutschland durch die Straftat der illegalen Einreise polizeilich bearbeitet wird, was auch das Erfassen und Speichern von Lichtbildern und Fingerabdrücken umfasst“, schreibt Zigmann. Wäre die Einreise ohne Visum nur noch eine Ordnungswidrigkeit, könnte das auch die Polizei deutlich entlasten.

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