Zwischen PKK und türkischem Staat: Der Kampf der Mütter um ihre Söhne
In der Türkei protestieren Mütter gegen die Rekrutierung ihrer Söhne durch die PKK. Die Regierung unterstützt sie, ein anderer Mütterprotest wird unterdrückt.
„Ihr lasst doch Diyarbakir keine Jugendlichen mehr, sie sind alle im Gefängnis oder unter der Erde“, schrie die Frau im weißen Kopftuch: „Ich geb euch euren Kampf um Kurdistan!“ Mit einem Sitzstreik vor dem Sitz der Kurdenpartei HDP in Diyarbakir protestieren kurdische Mütter seit zwei Wochen dagegen, dass ihre Söhne von der Terrororganisation PKK rekrutiert werden. Aysel Bozkurt unterstützte dort eine Kusine, deren 17-jähriger Sohn sich den PKK-Kämpfern in den Bergen angeschlossen haben soll.
Ihr Aufschrei hallte durch die Türkei. Regierungsmitglieder und Prominente reisen zu Solidaritätsbesuchen für die Mütter nach Diyarbakir. Doch nicht alle verzweifelten Mütter in der Türkei können auf staatliche Sympathien zählen.
Die Protestaktion in Diyarbakir begann, als die 49-jährige Hacire Akar ihren 21-jährigen Sohn Mehmet bei der Polizei als vermisst meldete und sich auf den Stufen der HDP-Zentrale zum Sitzstreik niederließ. Die PKK habe ihren Sohn angeworben, befürchtete Acar und forderte ihn zurück. Die Kurdenpartei weist eine Verbindung zu der Terrororganisation offiziell zurück, ist aber personell und ideologisch mit ihr verflochten.
Mehmet Akar tauchte bald wieder auf und erklärte, er habe sich nur vor seiner Familie versteckt, weil die ihn zwangsverheiraten wollte. Inzwischen schlossen sich aber vier weitere Mütter der Protestaktion vor dem HDP-Haus an und forderten ihre Söhne zurück, die sie in den Bergen bei den PKK-Kämpfern vermuten.
Süleyman Cetinkaya etwa, der 17-jährige Sohn von Aysel Bozkurts Kusine, wurde zuletzt von Sicherheitskameras gesichtet, als er einen Bus bestieg, der ihn vermutlich zum Treffpunkt mit PKK-Anwerbern bringen sollte. Ungewöhnlich wäre das nicht: Seit Jahrzehnten rekrutiert die PKK ihre Kämpfer aus der arbeitslosen Jugend der Kurdenmetropole, die dort außer Armut und Verzweiflung kaum Perspektiven hat.
Ungewöhnlich ist aber, dass die Angehörigen öffentlich dagegen aufbegehren – inzwischen sitzen 43 kurdische Familien vor dem HDP-Haus. Ermutigt werden sie durch staatliche Unterstützung: Die Teilnehmer werden abends von Polizei-Eskorten nach Hause begleitet, tagsüber bekommen sie wechselnde Besucher bis hinauf zum Innenminister.
Die HDP-Bezirksverwaltung verurteilte die Protestaktion als Komplott, um von den Protesten gegen die staatliche Zwangsverwaltung von Diyarbakir abzulenken und die HDP zu kriminalisieren.
Samstagsmütter von Istanbul dürfen nicht auf dem Galatasaray-Platz demonstrieren
Tatsächlich springt die türkische Regierung mit protestierenden Müttern ganz anders um, wenn deren Anliegen nicht ihren eigenen Zwecken entsprechen. Die Samstagsmütter von Istanbul etwa, die seit Jahrzehnten staatliche Aufklärung über das Schicksal ihrer im Kurdenkrieg der 1990er Jahre verhafteten und verschleppten Söhne fordern, dürfen ihre Mahnwachen seit über einem Jahr nicht mehr auf dem Galatasaray-Platz abhalten, wo sie mehr als 20 Jahre lang allwöchentlich demonstrierten.
Mit Wasserwerfern und Schlagstöcken trieb die Polizei die Mütter im vergangenen Jahr auseinander, polizeiliche Hundertschaften setzen das Verbot seither jede Woche durch.
„Niemand versteht den Schmerz der Familien in Diyarbakir besser als wir“, erklärten die Samstagsmütter jetzt auf ihrer Mahnwache in Istanbul, die sie wegen des Verbots nur noch beim türkischen Menschenrechtsverein abhalten können, und verurteilten die Instrumentalisierung der kurdischen Mütter für politische Interessen: „Wir fordern, dass alle Mütter ihre Kinder zurückbekommen.“
Aus dem Gefängnis meldete sich der frühere HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas zu Wort, der seit drei Jahren inhaftiert ist und die Verbindungen zwischen HDP und PKK verkörpert wie kaum ein anderer: Selbst als Abgeordneter demokratisch gewählt, hat Demirtas einen Bruder beim PKK-Führungskader in den Bergen.
Statt sich das menschliche Leid gegenseitig vorzuhalten, sollten Regierung und Opposition eine Kommission gründen, um gemeinsam alle Fälle von verschwundenen Menschen aufzuklären, schlug Demirtas vor. Als ersten Schritt aber, so forderte der HDP-Politiker, müsse die PKK den Familien von Diyarbakir ihre Kinder wiedergeben.
Susanne Güsten