Politik: Der Herr der Paragrafen
Richter Manfred Götzl fällt seine Entscheidungen im NSU-Prozess ziemlich einsam.
Seit Monaten schon ist er aus der Öffentlichkeit verschwunden und studiert, so wird vermutet, von morgens bis abends die Akten des NSU-Prozesses: Manfred Götzl, der Vorsitzende Richter am Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München (OLG), wird das Terror-Verfahren gegen Beate Zschäpe und vier ihrer mutmaßlichen Unterstützer leiten. Der 59-Jährige gilt als Mann, der strengstens auf die Paragrafen blickt, der jedes Urteil revisionsfest macht; er gilt auch als pedantisch. Manchmal neigt er zum Jähzorn, zugleich genießt er aber wegen seiner Fairness ein hohes Ansehen.
Im Alleingang hat Manfred Götzl entschieden, die vielfach kritisierte und vom Bundesverfassungsgericht gerügte Presseakkreditierung noch einmal ganz neu auszuschreiben und deshalb das NSU- Mammutverfahren um fast drei Wochen zu verschieben. Eigentlich hätte es am heutigen Mittwoch beginnen sollen, nun ist der erste Verhandlungstag für den 6. Mai angesetzt. Götzl steht dem Gericht vor, Götzl zieht das allein durch – eine Einschätzung, die man in diesen Tagen häufig hört.
Vor dem Eingang des Münchner Justizzentrums steht weiterhin ein großes Zelt, gelbe Absperrgitter lehnen aufgereiht aneinander, Kamerateams filmen ein paar Passanten. Der Platz vor dem Gebäude wirkt wie die Kulisse für einen Film, der dann doch nicht gedreht wird. Die neue, zusätzliche Sprecherin des OLG, Andrea Titz, kommt dennoch für die wenigen Journalisten vorbei und gibt Auskunft. Titz verteidigt das Vorgehen des 6. Strafsenats, den Start der Hauptverhandlung zu verlegen. „Der Strafsenat wollte vermeiden, dass der Prozess unter dem Damoklesschwert beginnt, die Akkreditierung der Journalisten werde noch mal angefochten“, sagt Titz. Der Ton ist freundlich, aber auch fest.
Aufgrund der „Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts“ habe der Senat entschieden, ein neues Akkreditierungsverfahren sei „die einzig faire Lösung“. Die Richter in Karlsruhe hatten vergangene Woche dem Antrag der türkischen Zeitung „Sabah“ auf eine einstweilige Anordnung gegen die Sitzplatzvergabe teilweise stattgegeben. „Sabah“ und andere türkische Medien hatten beim Akkreditierungsverfahren im März keinen reservierten Sitzplatz für den Prozess bekommen.
Den Einwand, die Karlsruher Richter hätten dem OLG nur aufgegeben, mindestens drei Plätze für ausländische Journalisten zu reservieren, deren Landsleute vom NSU ermordet oder verletzt worden sind, lässt Titz nicht gelten. Das Bundesverfassungsgericht habe auch die Möglichkeit genannt, das Akkreditierungsverfahren zu wiederholen und dies dem Ermessen des Strafsenats überlassen. Eine andere Lösung als eine ganz neue Sitzplatzvergabe „hätte auch wieder Konflikte hervorgerufen“.
Auf die Frage, wie das OLG mit der in Medien geäußerten Kritik umgehe, der Fehlstart des Prozesses sei eine Blamage, äußert Titz vorsichtig Verständnis. „Natürlich hat die Sache eine Entwicklung genommen, dass man den Eindruck hat, es geht nur noch um Überlegungen im Vorfeld“, sagt sie. Das Wort Blamage weist sie nicht zurück. Die Sprecherin kann nicht sagen, ob der Senat nun doch darüber nachdenkt, eine Übertragung per Video in einen Nebenraum zuzulassen. Diesen Vorschlag brachten mehrere Anwälte und Politiker erneut ins Spiel. Anwälte der Nebenkläger rechnen aber auch bei der Neuvergabe von Journalistenplätzen mit neuen Klagen. Denn wer in der ersten Vergaberunde einen Platz für den viel zu kleinen Saal ergattert hat, könnte vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn er oder sie in der zweiten Runde dann leer ausgehen sollte.
In den vergangenen Wochen ist deutlich geworden, dass die Gerichts-Pressestelle ihrem Job nicht immer gewachsen war. Richter Götzl ist offenbar verbittert darüber, dass das Akkreditierungsverfahren nach dem Windhund-Prinzip auch wegen zweier Nachlässigkeiten der Pressestelle vom Bundesverfassungsgericht beanstandet wurde. Nicht alle Journalisten hatten die gleichen Chancen, weil manche durch beharrliches Nachfragen bereits wussten, dass die Akkreditierung am Morgen jenes 5. März beginnen sollte – und andere wussten das nicht. Von sich aus hat das Gericht diesen Starttermin nicht vorab bekannt gegeben. Auch musste eine E-Mail-Panne eingestanden werden: Einige Journalisten im Gerichtsverteiler erhielten die Mitteilung erst 20 Minuten später als andere. All das hat der Vorsitzende Richter nicht zu verantworten. Er hat es aber am späten Montagabend seiner Pressestelle öffentlich vorgeworfen.
Verläuft das neue Akkreditierungsverfahren nun ohne Rechtsstreitigkeiten, so ist dennoch nicht gewährleistet, dass vom 6. Mai an zügig verhandelt wird. „Die Verteidigung von Frau Zschäpe wird alles genau prüfen und jeden Strohhalm packen“, sagt der Anwalt Jens Rabe, der die beiden Kinder des ermordeten Enver Simsek als Nebenkläger vertritt. Denkbar wären etwa Befangenheitsanträge gegen das Gericht wegen der Presse-Turbulenzen. Allerdings hätten sie wohl wenig Aussicht auf Erfolg, weil das Akkreditierungsverfahren vom Verfassungsgericht verlangt worden ist. Spekuliert wird seit Neuestem auch, dass am Ende der ganze Prozess dem Münchner OLG von der Bundesanwaltschaft wieder weggenommen und an ein anderes deutsches Gericht gegeben wird. Das aber ist nach der Strafprozessordnung gar nicht möglich. mit dpa
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