Donald Trump gewinnt US-Wahl: Der größte anzunehmende Unfall für die deutsche Außenpolitik
Was will Trump? Die Antwort darauf kennt niemand. Deutsche Politiker stehen deshalb vor einer „black box“. Die Reaktionen auf seinen Sieg reichen von Entsetzen bis hin zu Wohlwollen bei der AfD.
Ursula von der Leyen sieht etwas blass aus um die Nase. „Das war schon ein schwerer Schock“, sagt die Bundesverteidigungsministerin. Leyen steht im ARD- Wahlstudio, draußen graut der Morgen. Was niemand glauben wollte und wenige für möglich gehalten haben in Berlin, ist gerade eingetreten: Der nächste Präsident der USA heißt Donald Trump. Im Regierungsviertel geht ein Stöhnen um. „Halleluja!“ ächzt ein führender Unionspolitiker. „Und wir haben geglaubt, der Brexit ist unser Problem“, unkt ein Kabinettsmitglied. „Annus horribilis“, flucht einer aus der Regierungszentrale – ein Jahr des Schreckens. Und der gerne etwas vorlaute Heiko Maas kann sich ausnahmsweise breitester Zustimmung quer durch die Parteien im Bundestag gewiss sein: „Die Welt wird nicht untergehen“, twittert der SPD-Justizminister, „sie wird nur noch verrückter.“
Trumps Sieg schürt Sorge
Trumps Triumph erwischt die deutsche Politik kalt. Der Vergleich mit dem Brexit-Votum der Briten fällt vielen ein. Auch damals, erinnert sich der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs, hat ihm noch eine Woche vorher selbst in London jeder versichert, der Gedanke sei einfach lächerlich, dass die Briten sich aus der EU katapultieren könnten. Ähnliches berichteten Außenpolitiker über ihre jüngsten Visiten in Washington. Aber, sagt Fuchs: „Die Leute wählen, was sie wollen und nicht, was wir wollen.“ Und das gelte besonders für die Wähler von Populisten: Auch die AfD zum Beispiel habe in den Umfragen vor den letzten Landtagswahlen immer schwächer ausgesehen als am Wahlabend.
Trumps Sieg schürt die Sorge, dass das Mutterland der Demokratie, das ewige Vorbild Amerika, sich jetzt wieder als Vorbild erweisen könnte. An die „abschreckende Wirkung“, auf die Linken-Chef Bernd Riexinger hofft, setzt außer ihm keiner. SPD-Chef Sigmar Gabriel lässt düsteren Ahnungen ungebremsten Lauf. Der Neue im Weißen Haus sei Vorreiter einer „autoritären und chauvinistischen Internationale“, in einer Reihe mit Wladimir Putin und dem Türken Tayyip Recep Erdogan, mit der Französin Marine Le Pen, dem Niederländer Geerd Wilders und der AfD: alles Anhänger eines Zurück zu „schlechten alten Zeiten“.
In der Regierung hat man keine Kontakte zu Trump
Aber was hilft’s? Nach dem ersten Schock macht sich im Regierungsviertel die Erkenntnis breit, dass man mit dem Neuen wohl oder übel zusammenarbeiten muss. Wie das aussehen wird, ist allerdings schleierhaft. In der Regierung wird eingeräumt, dass man keinerlei belastbare Kontakte zu Trumps Team hat. Leyen berichtet ganz offen, sie wisse nicht mal, wen sie in Washington jetzt anrufen solle, um sich ein Bild von der künftigen Politik der westlichen Führungsmacht zu machen. Was nutzen selbst bewährte Kontakte zu republikanischen Politikern in Washington, wenn unklar ist, ob der Anti-Eliten-Prediger Trump sich nach der Wahl auf das eigene Establishment überhaupt stützen wird, aus dem viele ihm in der letzten Wahlkampfphase den Rücken zugekehrt hatten?
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Trump zum Wahlsieg und bot ihm eine „enge Zusammenarbeit“ an – unter Bedingungen. "Deutschland und die USA sind durch Werte miteinander verbunden". Merkel zählte unter anderem auf: die Akzeptanz der Menschenrechte sowie der Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig ihrer politischen Einstellung, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung. "Auf der Basis dieser Werte", so Merkel, "biete ich Donald Trump eine enge Zusammenarbeit an."
Zugleich erinnerte sie Trump an dessen künftige Verantwortung. „Wer dieses große Land regiert, mit seiner gewaltigen wirtschaftlichen Stärke, seinem militärischen Potenzial, seiner kulturellen Prägekraft, der trägt Verantwortung, die beinahe überall auf der Welt zu spüren ist“, sagte Merkel im Kanzleramt. Im Wahlkampf hatte Trump Merkels Politik als „totales Desaster“ bezeichnet.
Nur zwei sehen an diesem Morgen Grund zur Befriedigung. Die einen, Vertreter der AfD, tun es sogar vergleichsweise gedämpft. Vizechefin Beatrix von Storch erklärt Trumps Sieg zwar einerseits zum Beweis, dass „die Bürger in der westlichen Welt“ einen Politikwechsel wollten. Ganz geheuer ist der neue Verbündete im Weißen Haus den deutschen Populisten indes nicht: Viele seiner Wahlkampfsprüche müsse man schon kritisch sehen. „Doch nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“
CSU-Politiker Friedrich sendet Glückwünsche
Die zweite Beifallsbekundung stammt aus der CSU. „Langsam begreifen die deutschen Journalisten, dass sie nicht bestimmen, wer amerikanischer Präsident wird“, twittert der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich. Und sendet einen „Glückwunsch an die republikanischen Freunde zu ihrem überzeugenden Sieg bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus.“
US-Außenpolitik wird weniger vorhersehbar
Für die deutsche Außenpolitik ist Trumps Sieg der größte anzunehmende Unfall. Der Kandidat war durch Sympathiekundgebungen für Russlands Präsident Wladimir Putin aufgefallen, verkündete den Slogan „America first“, stellte die Beistandspflicht der Nato infrage und hält wenig von der EU. Die sei nur gegründet worden, um „die USA beim Geldverdienen auszustechen“, ätzte er im Wahlkampf. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier geht davon aus, dass die transatlantischen Beziehungen in schweres Wasser geraten: „Ich will nichts schönreden, vieles wird schwierig", sagte er am Mittwoch. Die deutsche Außenpolitik müsse sich darauf einstellen, „dass amerikanische Außenpolitik für uns weniger vorhersehbar sein wird, und wir müssen uns darauf einstellen, dass Amerika geneigt sein wird, häufiger allein zu entscheiden“.
Deutsche Außenpolitiker stehen vor einer "black box"
Deutsche Diplomaten in Washington hatten Kontakt zu US-Experten aus der außen- und sicherheitspolitischen Community geknüpft, die Trump unterstützen. Sie kamen aber zu dem Schluss, dass deren Einfluss auf den Kandidaten gering war. Ein Gespräch des deutschen Botschafters Peter Wittig mit Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der Geschäftsmann ist und dessen Kampagne in den Digitalmedien leitete, brachte ebenso wenig Aufschluss über die Haltung des Immobilienunternehmers zu wichtigen außenpolitischen Fragen wie weitere Kontakte zu seinem Umfeld. Deutsche Außenpolitiker stehen deshalb vor einer „black box“ – sie wissen schlicht nicht, was der neue US-Präsident mit der Macht seiner Nation in der Welt anfangen will, Trump habe im Wahlkampf klar gemacht, „dass er gar nicht weiß, wer die Freunde und Feinde seines Landes sind“, urteilt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen.
Hoffnung auf Vernunft ist gering
Deshalb hörten deutsche Politiker bei der ersten Rede Trumps nach seinem Sieg sehr genau hin – und ergriffen dankbar jeden kleinen Hinweis, der als Zeichen der Mäßigung und der Verantwortung gedeutet werden konnte. Der Wahlsieger habe „versucht, eine erste Schaufel Erde in den Graben zu werfen, den er im Wahlkampf gerissen habe“, sagte der Transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU) im Deutschlandfunk. Er habe das Interesse der USA an guten Beziehungen zu anderen Ländern betont und signalisiert, dass er als Präsident auf politische Erfahrung setzen wolle. Dies sei „ein positives Signal“, dass er seinen Stil und seine Rhetorik im Vergleich zum Wahlkampf ändern wolle. Die Hoffnung, dass die Verantwortung des Amtes oder der Ratschlag erfahrener amerikanischer Außenpolitiker Trump zur Vernunft kommen lässt, ist in Koalitionskreisen aber nicht weit verbreitet: Dort wird darauf verwiesen, dass er im Wahlkampf alle Berater, die ihm widersprachen, schnell abservierte. „Ich denke, wir müssen darauf hoffen, dass er sich mit einem erfahrenen außenpolitischen Team umgibt, das im Rahmen der traditionellen Ausrichtung der amerikanischen Politik agieren wird", sagte auch Annen. Das sei nicht ausgeschlossen. "Aber wir müssen uns auch mit der Möglichkeit befassen, dass das, was er gesagt hat, tatsächlich seine Meinung ist."
Die Zeiten werden schwieriger
Einig waren sich viele deutsche Außenpolitiker in der Erwartung, dass angesichts der isolationistischen Tendenzen des neuen US-Präsidenten auf Europa neue, schwierige Herausforderungen zukommen beim Versucht, den Westen inklusive der USA zusammenzuhalten und mit weniger Unterstützung der USA auf neue Herausforderungen wie etwa Russlands aggressive Außenpolitik zu reagieren. Der CDU-Mann Hardt und sein SPD-Kollege Annen plädierten für eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Bereits unter Obama, der das US-Engagement in Krisenregionen heruntergefahren habe, "sind wir in den letzten Jahren schon gezwungen und gedrängt worden, mehr Verantwortung zu übernehmen", sagte Annen. Die Zeiten würden nun auf jeden Fall schwieriger werden: "Und Deutschland als das momentan stärkste, politisch stabilste Land in Europa muss deswegen mehr für die europäische Sicherheit tun."