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Syrische Flüchtlinge versuchen, von der türkischen Küste aus die griechische Insel Lesbos zu erreichen.
© dpa

Migration in der Türkei: Der Flüchtlingsstrom an der Ägäis-Küste wächst und wächst

Die türkische Ägäis-Küste erlebt einen noch nie dagewesenen Ansturm von Flüchtlingen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Sie lagern in Parks und breiten ihre Decken im Schatten der Bäume aus. Sie sitzen auf ihren Taschen und Kleidersäcken – und träumen von Europa, während sie warten. Mehrere tausend Flüchtlinge sind in den vergangenen Tagen im westtürkischen Izmir und anderen Regionen an der Ägäisküste aufgetaucht, um die illegale Überfahrt ins nahe Griechenland anzutreten. Türkische Behörden berichten von einem Ansturm, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Nach Einschätzung von Flüchtlingsorganisationen ist keinerlei Besserung in Sicht.

Die meisten der Flüchtlinge sind Syrer. Einige von ihnen haben bereits mehrmals die Überfahrt auf die griechische Insel Chios versucht, die nur wenige Kilometer vom türkischen Badeort Cesme bei Izmir entfernt liegt. Weiter im Norden erlebt auch das griechische Lesbos die Ankunft vieler neuer Flüchtlinge. Neben Syrern sind unter den Flüchtlingen auch Iraker und Afghanen, die in der EU ihr Glück suchen wollen.

In den ersten sieben Monaten des Jahres fasste die Küstenwache 26.000 Menschen

Zwar ist die Ägäis schon seit Jahren ein wichtiger Durchgangspunkt für Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa wollen. Doch seit einiger Zeit schwillt die Zahl der Menschen so stark an wie noch nie. Im Jahr 2013 fischte die türkische Küstenwache knapp 7000 Bootsflüchtlinge aus dem Wasser der Ägäis, hinderte sie an der Überfahrt nach Griechenland und rettete vielen Menschen auf den völlig seeuntüchtigen Booten damit das Leben. Im vergangenen Jahr verdoppelte sich die Zahl der aufgegriffenen Flüchtling fast auf knapp 13.000. Doch das war noch nichts im Vergleich zur Entwicklung in diesem Jahr: In den ersten sieben Monaten fasste die Küstenwache knapp 26.000 Menschen.

Niemand weiß, wie vielen die Überfahrt gelingt und wie viele dabei ums Leben kommen. Die in Izmir versammelten Flüchtlinge denken jedenfalls nicht ans Aufgeben. "Beim ersten Versuch wurden wir von der griechischen Marine geschnappt und zurückgeschickt", berichtete ein Flüchtling der Zeitung "Hürriyet". Doch das ändere nichts an seiner Entschlossenheit und der seiner Freunde: "Wir versuchen es, bis es klappt." Die illegale Fahrt mit den Booten der Schlepper kostet demnach 1100 US-Dollar pro Passagier.

Die Türkei, die fast zwei Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge zu versorgen hat, kann die Menschen kaum daran hindern, sich in irgendeiner Bucht in eines der Schlauchboote der Menschenschmuggler zu setzen. Bei türkischen Hilfsorganisationen heißt es, die Behörden registrierten jene Flüchtlinge, die bei der Überfahrt erwischt würden, und erteilten ihnen die Anweisung, innerhalb von zwei Monaten in ihre Heimat zurückzukehren. Die meisten Menschen tauchen daraufhin unter und versuchen es erneut, wenn sie das Geld auftreiben können.

Menschenschmuggler scheinen jetzt auf kleinere Boote zu setzen

Im gewinnbringenden Geschäft mit den Flüchtlingen verändern die Menschenschmuggler immer wieder ihre Taktik. Anfang des Jahres machten die Fahrten der so genannten Geisterschiffe international Schlagzeilen: ausrangierte Frachter, die von der südtürkischen Hafenstadt Mersin aus Richtung Europa losfahren. Häufig stellt die Mannschaft irgendwann während der Fahrt den Autopiloten ein und macht sich von Bord, daher der Name. Inzwischen scheinen die Schmuggler wieder mehr auf kleine Boote in der Ägäis zu setzen.

Mitten in der Sommersaison wird im Meer zwischen Türkei und Griechenland die heile Welt der Urlauber mit der Verzweiflung der Flüchtlinge konfrontiert. Im Nachrichtensender CNN-Türk berichtete eine türkische Touristin, sie habe bei einem Ausflug auf eine griechische Ägäis-Insel von der Fähre aus die Boote mit den Flüchtlingen im Wasser sehen können. In der Urlauberstadt Bodrum beschweren sich inzwischen die Geschäftsleute über die vielen Flüchtlinge auf den Straßen.

Dabei ist es nicht einmal so, dass jeder syrische Flüchtling in der Türkei gleich nach Europa strebt. "85 Prozent der Leute wollen nahe bei der Heimat bleiben, um schnell wieder nach Hause zurückkehren zu können", sagt Piril Ercoban von der Flüchtlingsorganisation Mülteci-Der in Izmir.

Die Lebensbedingungen für die Hilfesuchenden werden immer schwieriger

Ein Ende des Flüchtlingsstromes gen Westen ist dennoch nicht in Sicht, glaubt Ercoban. "Das zu lösen, ist nicht leicht", sagte sie unserer Zeitung. Die anhaltenden Konflikte in Syrien, im Irak und in Afghanistan lassen viele Menschen daran zweifeln, dass es jemals in ihrem Leben wieder besser wird. Zudem gebe es für die allermeisten keinen legalen Zugang nach Europa, so dass nur der illegale Weg bleibe, sagte Ercoban. Auch würden die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in der Türkei wegen der stetig weiter steigenden Zahl der Neuankömmlinge immer schwieriger.

In Izmir und anderswo könnten Flüchtlingsgruppen in den Parks deshalb bald zum normalen Straßenbild gehören. Hin und wieder kommt die Polizei und scheucht die Menschen in die Seitengassen, doch bald sind sie wieder da. Die meisten bleiben nur ein, zwei Tage, dann sind sie Richtung Griechenland verschwunden, hat Ercoban beobachtet. Doch bald kommen neue – und warten auf ihr Boot.

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