Down-Syndrom: Der Faktor Ethik
Ein neuer pränataler Test zum Erkennen des Down-Syndroms steht kurz vor der Einführung in die Praxis. Die Methode ist umstritten. Was spricht dafür - und was dagegen?
- Dr. Adelheid Müller-Lissner
- Ruth Ciesinger
- Matthias Schlegel
Der gestrige „Welttag Down-Syndrom“ der UN hat den Streit wieder ins Blickfeld gerückt: Sollen werdende Mütter in Deutschland mit einer einfachen, risikofreien Methode Aufschluss darüber bekommen, ob ihr Kind eine Behinderung durch Trisomie 21, bekannter unter dem Begriff Down-Syndrom, aufweist? Das pränatale Diagnoseverfahren, ein einfacher Bluttest, steht kurz vor seiner Einführung in die Praxis. Kritiker befürchten, dass dann mehr Kinder als bisher abgetrieben werden und Behinderung zunehmend stigmatisiert wird. Am heutigen Donnerstag wird sich der Nationale Ethikrat mit diesem Problem befassen, das tief in die Debatte über den Umgang der Gesellschaft mit Behinderung hineinreicht.
Was ist eine Trisomie 21?
Im Begriff steckt die kühle, sachliche Bestandaufnahme eines „Zuviel“: Menschen mit einer Trisomie 21 tragen in ihren Körperzellen aufgrund von Störungen der frühen Zellteilung drei statt der üblichen zwei Exemplare des Chromosoms mit der Nummer 21. Statt 46 befinden sich in den Zellen ihres Körpers also 47 Chromosomen.
Schon bevor der französische Kinderarzt und Genetiker Jérome Lejeune das im Jahr 1958 entdeckte, kannte alle Welt die Auswirkungen der Veränderung, die Lejeunes britischer Kollege John Langdon Down im Jahr 1866 erstmals beschrieben hatte. Vor dem Zeitalter der Pränataldiagnostik war schließlich eines von 700 Kindern vom „Down-Syndrom“ betroffen, heute wäre es, weil das Durchschnittsalter der Mütter gestiegen ist, wahrscheinlich sogar eines von 500.
Wegen ihres auffallend runden Gesichts und des charakteristischen Schnitts von Lidern und Augen wurden die Kinder – das Erwachsenenalter erreichten sie selten – lange Zeit auch als „mongoloid“ bezeichnet. Ein Begriff, der nach der T4-Aktion der Nationalsozialisten gegen „lebensunwertes Leben“ glücklicherweise längst verpönt ist – und gegen den sich die Mongolische Volksrepublik in den 60er Jahren bei der Weltgesundheitsorganisation wegen der rassistischen Anklänge auch ganz offiziell verwahrte.
Während die Lebenserwartung von Menschen mit einer Trisomie 21 Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts noch bei neun Jahren lag, ist sie inzwischen auf 60 Jahre gestiegen. Die Herzfehler, mit denen etwa die Hälfte der Kinder auf die Welt kommt, können heute meist gut operiert werden. Trotz ihrer geistigen Behinderung können sie in Integrationsklassen mitarbeiten, ihre langsamere körperliche Entwicklung, Probleme mit der Sprache, aber auch Hör- und Sehprobleme werden mit vielfältigen Behandlungs- und Unterstützungsangeboten aufgefangen.
Kinder mit einem Down-Syndrom erkranken allerdings auch überdurchschnittlich häufig an Krebs, vor allem an Leukämien. Durch die höhere Lebenserwartung machen sich zudem heute Probleme bemerkbar, die früher gar keine Rolle spielten: So bekommen Menschen mit einer Trisomie 21 schon in jungen Jahren Symptome einer Demenz. Erblich ist eine Trisomie 21 allenfalls, wenn Betroffene selbst Kinder bekommen.
Wie wird Trisomie 21 beim Ungeborenen bisher festgestellt?
Heute ergeben sich erste Hinweise auf eine Trisomie 21 meist beim Ultraschall: Dabei fällt dem Arzt im Nacken des Embryos eine Flüssigkeitsansammlung am Nacken des Kindes auf. Anhand von deren Dicke kann das Risiko für eine Trisomie 21 recht gut eingeschätzt werden. Mit dem sogenannten Triple-Bluttest kann außerdem aus verschiedenen Blutwerten der Mutter die Wahrscheinlichkeit von Trisomie 21 beim Kind berechnet werden. Das ist ungefährlich, aber auch höchst ungenau. Letzte Sicherheit gibt eine humangenetische Untersuchung von Fruchtwasser (Amniozentese) oder Mutterkuchen (Chorionzottenbiopsie). Der Stich durch die Bauchdecke der Mutter, der nötig ist, um eine kleine Menge Fruchtwasser zutage zu fördern, ist allerdings nicht ungefährlich: Er führt in einem halben bis einem Prozent der Fälle zu einer Fehlgeburt. Dass eine Frau über 35 Jahre alt ist und ihr Kind deshalb ein etwas höheres Risiko für diese Chromosomenauffälligkeit hat, reicht deshalb schon heute für die Empfehlung einer Fruchtwasseruntersuchung nicht mehr aus.
Wie funktioniert der neue Test?
Der neue Test der Konstanzer Firma Life Codexx, einer Tochter des Sequenzier-Unternehmens GATC, ist dagegen ein für Schwangere und Kind ungefährlicher Bluttest. Schon länger ist bekannt, dass im Blut der Mutter auch winzige Bruchstücke kindlicher DNS schwimmen. Modernste Sequenziermaschinen machen es aber erst seit kurzem möglich, diese zerhackten, geschredderten Bruchstücke aufzuspüren, sie zu vervielfältigen und zu analysieren, und das schon in der zehnten Schwangerschaftswoche.
Denis Lo, der die Genschnipsel zuerst entdeckte, hat 2011 im „British Medical Journal“ eine Studie veröffentlicht, die in der Botschaft gipfelt: 98 Prozent der riskanten Pränataluntersuchungen könnten vermieden werden, wenn die treffsichere neue Methode zum Einsatz käme. Auf die Probe gestellt haben er und sein Team, zu dem auch Mediziner aus Großbritannien und den Niederlanden gehörten, die Methode bei 753 Schwangeren mit einem besonders hohen Risiko, ein Kind mit einer Trisomie 21 zu bekommen. Tatsächlich lag das Chromosom 21 bei 86 der Föten dreifach vor.
Die Fragmente, die sich im mütterlichen Blut finden, können den einzelnen Chromosomen zugeordnet werden. Die raffinierte molekularbiologische Methode könnte in Zukunft auch für andere Chromosomenstörungen Anwendung finden. Die Trisomie 21 hat aber unter den Chromosomenstörungen die größte Relevanz: Heute werden neun von zehn Schwangerschaften, bei denen sie diagnostiziert wurde, abgebrochen.
Wann wird der Test in der Praxis angewendet werden können?
Die Firma LifeCodexx, die den Bluttest derzeit entwickelt, schreibt auf ihrer Homepage, dass die Untersuchungsmethode noch im zweiten Quartal dieses Jahres unter anderem in Deutschland zur Anwendung kommen wird. Offenbar stehen derzeit noch die Ergebnisse einer letzten Studie aus. Liegt dort die Entdeckungsrate bei 100 Prozent, dürfte tatsächlich einer Einführung nicht mehr viel im Wege stehen.
Warum ist der neue Test so umstritten?
Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass das Bundesforschungsministerium diesen Schwangerschaftsfrühtest mit 230 000 Euro förderte, sah sich Ministerin Annette Schavan (CDU) heftiger Kritik, auch aus den eigenen Reihen, ausgesetzt. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, sprach damals im Tagesspiegel von „Behinderten-Diskriminierung in der schlimmsten Form“. Ähnlich wie bei der zuvor geführten Debatte über die Präimplantationsdiagnostik wandten sich die Gegner strikt gegen eine „Aussortierung“ von behindertem Leben.
Den gestrigen „Welttag Down- Syndrom“ nahmen Kritiker erneut zum Anlass, vor der Einführung des Bluttests zu warnen. Hüppe sagte, damit steige der Druck auf Paare abzutreiben. Dieser Test sei „in hohem Maße diskriminierend, ich halte ihn auch für illegal“. Die Behindertenbeauftragte der SPD, Silvia Schmidt, sagte dem Tagesspiegel, sie sehe die neuen Pränataltests „sehr kritisch“. Einerseits werde dadurch zwar ein medizinischer Fortschritt in der Diagnostik suggeriert, andererseits würden schon heute etwa 90 Prozent aller vorgeburtlich mit Down-Syndrom diagnostizierten Kinder abgetrieben. „Sie verlieren damit ihre Chance auf ein Leben, das so glücklich und erfüllt wie jedes andere sein kann, wenn man die Familien richtig unterstützt.“ Sie sehe in den Tests „die reale Gefahr, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt“, was ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft wäre, die die Würde und das Lebensrecht eines jeden Menschen als ihre Basis betrachtet.
Die Befürworter der Tests verweisen hingegen darauf, dass es ethisch nicht vertretbar wäre, eine Methode zu untersagen, die eine völlig risikofreie Diagnostik ermögliche. Die Entscheidung über die Konsequenzen liege letztlich stets bei den Eltern des noch ungeborenen Kindes. Deren Entscheidung werde auch davon beeinflusst, inwieweit die Gesellschaft behinderte Menschen als Bereicherung und nicht als Last empfinde.
Boris Schulze-König vom Pränatalzentrum Hamburg, das mit LifeCodexx im Gespräch über den Test ist, glaubt aber, dass dessen Bedeutung in der aktuellen Debatte falsch eingeschätzt wird. Die Untersuchungsart werde seiner Ansicht nach „nur für eine eher kleine Gruppe von Schwangeren“ überhaupt interessant werden. Und zwar für diejenigen, die bei vorgeschalteten Ultraschalluntersuchungen keine ganz hohe, aber auch keine ganz niedrige Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Trisomie 21 vorhergesagt bekommen. Für diejenigen mit einem geringen Risiko sei ein voraussichtlich weit über tausend Euro teurer Test vermutlich keine Option. Die Frauen, die ein sehr hohes Risiko aus der Ultraschalluntersuchung prognostiziert bekämen, würden aber kaum zwei Wochen bis zum Ergebnis des Bluttests warten wollen, wenn sie mittels einer Punktion sogar innerhalb eines Tages ein klares Ergebnis erhalten können. Und, gibt Schulze-König zu bedenken, der Test ist rein auf Trisomie 21 beschränkt, Trisomie 13 und 18 werden durch ihn nicht nachgewiesen.
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