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Die meisten Flüchtlinge, die derzeit in die EU einreisen, wollen nach Deutschland.
© AFP

Flüchtlinge in Europa: Der europäische Geist ist verwirrt

Angela Merkel hat mit ihrem "Wir schaffen das" dazu beigetragen, den europäischen Geist durcheinander zu bringen. Ein Gipfel soll ihn beruhigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Niemand kann sagen, wer die Gefühle und Gedanken der Menschen in Europa eher repräsentiert – ob es Angela Merkel ist mit ihrem "Wir schaffen das", oder ob es Viktor Orban ist mit seinem Grenzsicherungszaun. Nach Merkels Freude am freundlichen Gesicht Deutschlands ist die deutsche Verwaltung sehr schnell bei den Mühen der Ebene angekommen. Kann es sein, dass der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht mehr an Merkels "Wir schaffen das" glaubt? Manfred Schmidt, der Mann, dessen Behörde für hunderttausende Asylverfahren zuständig ist, ist zurückgetreten. So viel zur Zuversicht in der Flüchtlingskrise.

Europa, europäische Politik, ist seit Jahren im Krisenzustand

Europa, europäische Politik, ist seit Jahren im Krisenzustand – die Flüchtlingskrise kann dazu führen, dass sich das Dauerkrisengefühl auf Deutschland überträgt. Das Allensbacher Institut für Demoskopie hat den Deutschen zwar gerade erst eine in Europa seltene Hilfsbereitschaft attestiert. Doch dieselbe Studie lehrt, dass die Gesellschaft in Teile zerfällt, wenn man fragt, wie viele Flüchtlinge aufgenommen werden sollen; ein Drittel will möglichst wenige, ein gutes Drittel möglichst viele Asylbewerber.

Was in Deutschland möglich ist, wird die Zukunft zeigen. Wenn sich in die Freude über eine neue Willkommenskultur Skepsis mischt, liegt das daran, dass längst nicht mehr bloß die deutsche Kanzlerin politisch auf Sicht fährt, wie sie mal sagte, sondern die meisten ihrer europäischen Kollegen ebenso. Die Europäische Union mag sich auf ihren "Geist" und auf erreichte Freiheiten viel zugutehalten – sie ist auch eine durch und durch verrechtlichte und bürokratisierte Veranstaltung. Umso erstaunlicher wirkt da eine Politik des Außerkraftsetzens von Regeln einerseits, des rabiaten Drohens andererseits. Einerseits werden tausende geschundene Syrer am Asylverfahren vorbei in Deutschland aufgenommen; andererseits drohen Politiker aus aufnahmefreudigen Staaten den Kollegen aus asylkritischen Staaten damit, dass Gelder gekürzt würden – als wüssten sie nicht, dass die EU unendlich viel Geld auf Jahre hinaus rechtsverbindlich zusichert.

Ein Gipfel am kommenden Mittwoch soll die Lage verbessern

Der europäische Geist wirkt, kurz gesagt, ziemlich verwirrt, und Angela Merkel hat einiges dazu beigetragen, um ihn durcheinanderzubringen. Ein Gipfel am kommenden Mittwoch soll ihn beruhigen und stabilisieren. Man kann nur hoffen, dass es bei dem Treffen der Regierungschefs nicht allein um mehr Geld für asylbewerberfreundliche Staaten geht, sondern ein ernsthafter Versuch unternommen wird, Regeln einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik neu zu bestimmen.

Fünf Jahre für ein Asylverfahren - das sollte keine Zukunft haben

Ein Konsens zwischen Merkel und Orban, der gerade an einer europäischen Grenze dafür sorgt, dass deutsche Kommunen Entlastung spüren, indem er Flüchtlingen den Weg nach Deutschland erschwert – das setzt enorme politische Fantasie voraus. Erst recht wenn man bedenkt, dass ein gemeinsames europäisches Asyl- und Einwanderungsrecht notwendig wäre, um bei künftigen Krisen weniger durcheinanderzugeraten. Die Bundesregierung könnte sich darauf vorbereiten, indem sie eine Reform des Asylrechts angeht. Vor Kurzem hat die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John in dieser Zeitung beschrieben, wie elend lang Asylverfahren auf deutschen Rechtswegen inzwischen dauern. Fünf Jahre können es werden, fünf Jahre voller Unklarheit und Abhängigkeit. Das sollte in Europa keine Zukunft haben.

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