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Tom Koenigs
© Orlando Sierra/ AFP

Grüner Tom Koenigs über Menschenrechte: "Der deutsche Arm reicht weit, aber tut nichts"

Der Grüne Tom Koenigs sieht die Menschenrechte weltweit unter Druck. Auch die CDU habe in Essen gerade einen Beschluss gefasst, der gegen sie verstößt.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat seinen ersten Bericht über die Menschenrechtslage in Deutschland veröffentlicht. Sind Sie zufrieden?

Sehr. Wir haben im letzten Jahr das Institut auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, die ihm auch die Unabhängigkeit garantiert. Davon hat es mit diesem ersten Bericht klug Gebrauch gemacht, indem es drei Themen aufgriff, die gerade auf der Tagesordnung stehen. Das werden wir auch noch bei einer Menschenrechtsdebatte im Bundestag thematisieren, am Freitag nächster Woche. Und dies nicht nachts, wenn keiner zuschaut. Auch das ist ein Erfolg.

Sie und Ihre Fraktion veröffentlichen jetzt ein Positionspapier zur Menschenrechtspolitik, das eine Menge auflistet, das Deutschland längst international unterschrieben oder in eigene Gesetze gegossen hat. Wozu das?

Wir haben auch schon oft unsere menschenrechtlichen Forderungen aufgeschrieben. Wir haben aber diesmal einen anderen Ansatz gewählt. Staaten haben im Hinblick auf die Menschenrechte unterschiedliche Pflichten, sie müssen sie achten, schützen und fördern. Nehmen Sie Kolumbien, das ich gut kenne: Dort hat der Staat, spricht das Militär, die Menschenrechte lange verletzt. Da hat sich inzwischen etwas getan. Beim Schutz ist nichts passiert, auch dieses Jahr wurden wieder viele Menschenrechtsaktivisten ermordet.

Nun ist Deutschland nicht Kolumbien.

Trotzdem könnte Deutschland in jedem dieser drei Felder – achten, schützen, fördern - mehr tun.

Zum Beispiel?

In einer Zeit, in der Menschenrechte erstmals und weltweit massiv diskreditiert werden, sind Türken, die Deutsche werden wollen, schlechter gestellt als etwa einbürgerungswillige Amerikaner. Allein der Essener Beschluss der CDU zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft ist ein Diskriminierungstatbestand, also eine Verletzung von Menschenrechten.

Das gilt auch für Racial Profiling, also die polizeiliche Kontrolle nach äußeren Merkmalen, die es schwarzen Deutschen fast unmöglich macht, zum Beispiel zwischen Mannheim und Frankfurt zu reisen, ohne vor aller Augen immer wieder ihre Pässe vorzuweisen. Was die Schutzpflicht angeht, genügt der Blick auf Näherinnen in Bangladesh, die für den deutschen Markt arbeiten. Der deutsche Arm reicht weit, aber er tut nichts.

Unsere Landwirtschaftssubventionen verstoßen sehr deutlich gegen das Grundrecht auf Nahrung, weil sie lokale Märkte zerstören. Und was die Förderung der Menschenrechte betrifft: Deutschland hat noch immer nicht alle entsprechenden Konventionen unterschrieben. Etwa die zum Schutz indigener Völker. Das wird mit dem Einwand abgebügelt, in Deutschland gebe es keine Eingeborenen. Es wäre allerdings ein Fortschritt, wenn sich alle unsere diplomatischen Vertretungen anderswo für sie einsetzten.

Ihr Papier will auch die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung stärken. Warum hilft es den Menschenrechten, wenn der Beauftragte Staatsminister wird?

Sie oder er säße dann am Kabinettstisch und könnte zu jedem Thema, bei jedem Ministerium  im Sinne der Menschenrechte intervenieren. Derzeit sind Menschenrechte zwar eine übergeordnete Zuständigkeit, die aber von niemand wahrgenommen wird – angefangen damit, dass es keinen Minister gibt, der regelmäßig im Menschenrechtsausschuss des Bundestags berichtet.

Ein oft gehörter Einwand gegen mehr staatliches Menschenrechtsengagement im Inland ist: Wir sind doch nicht Uganda.

Wer das sagt, sollte zum Beispiel  die Staatenberichte lesen, in denen die Länder sich auf UN-Ebene gegenseitig bewerten. Nehmen Sie das sehr deutsche Phänomen des Anzündens von Flüchtlingsheimen: Aus Jordanien etwa, das unendlich viel mehr Flüchtlinge beherbergt, hat man derlei noch nicht gehört. Und unsere Forderungen sind insgesamt der Versuch, eine Antwort auf den massiven Druck zu geben, unter dem die Menschenrechte inzwischen weltweit stehen. Zum ersten Mal.

Was meinen Sie? 

Ich sehe das im Norden der Welt in den rechten und populistischen Bewegungen, für die Diskriminierung Programm ist. Die Hetze gegen „die“ Muslime, „die“ Mexikaner. Auch im Süden gibt es Bewegungen wie Boko Haram, deren einziges Programm ist: „Weg mit den Menschenrechten“.

Hat der Druck auf die Menschenrechte nicht mit Regierungshandeln begonnen? Auch bei uns wurde über die Berechtigung von Folter ernsthaft diskutiert, es gab die Folterpraktiken der USA, es gibt Guantánamo.

Genau darum geht es, wenn wir fordern, dass der Staat die Menschenrechte unbedingt achten muss, im In- und Ausland. Im Krieg gegen den Terror hat der Westen viel an Legitimation verloren.

Mit zweierlei Maß zu messen führt zu einem Glaubwürdigkeitsproblem. Gerade angesichts des Frontalangriffs auf die Menschenrechte, wie wir ihn jetzt erleben, der ja mit Al Qaida begann. Die schrieben sich das Ende von Menschen- und Bürgerrechten geradezu auf die Fahnen. Ob es gegen die Gleichheit der Geschlechter geht oder Lügenpresse-Vorwürfe gemacht werden. Im Zentrum steht: Wir wollen diese Rechte gar nicht. Auch der Hohn gegen sogenannte Gutmenschen gehört dazu.  

Und was sagen Sie, die Sie seit vielen Jahren Menschenrechtspolitik machen, denen, die das für eine Schönwetterveranstaltung halten?

Jede Diskriminierung, jedes Abschneiden von Chancen trägt den Keim gewaltsamer Auseinandersetzung in sich. Alle Kriege, alle Auseinandersetzungen, auch in Europa, hatten und haben diesen Keim. Es beginnt immer mit sozialer, religiöser, kultureller Diskriminierung. In der Ukraine, in Syrien, aber auch im Wahlkampf in Frankreich.

Menschenrechte sind kein Luxus, sondern die Grundlage friedlichen Zusammenlebens. Und wir müssen uns für sie einsetzen, in zunehmend diversen Gesellschaften wie den europäischen erst recht.

Ich habe meine Großeltern gefragt: Was habt ihr denn getan, als der Weimarer Republik die Demokraten fehlten? Wir sollten nicht warten, bis unsere Enkel uns fragen, was wir denn getan haben, als die Menschenrechte unter die Räder gerieten.

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