Zum Tod von Roman Herzog: Der Bürger als Präsident
Roman Herzog blieb auch als Staatsoberhaupt bodenständig. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren. Ein Nachruf.
Wer ein Leitmotiv für die Selbsteinschätzung Roman Herzogs sucht, für das Bild, das er von sich selbst hatte und vermittelt sehen wollte, wird bei Papst Johannes XXIII. fündig. Der erzählte gerne anekdotenhaft, nach seiner Wahl habe er von einem Engel geträumt, der ihm den Satz auf den Weg gab: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“ Herzog, der jetzt 82-jährig starb, war sich seines klaren Verstandes und seiner intellektuellen Fähigkeiten sehr wohl bewusst. Er litt gewiss nicht unter einem Mangel an Selbstbewusstsein, ganz im Gegenteil, er war machtbewusst, liebte es, ihm übertragene Macht auch auszuüben, und er war, vor allem in seiner aktiven politischen Zeit in Baden-Württemberg, ein kämpferischer Konservativer. Aber Eitelkeit und Selbstverliebtheit waren ihm fremd. Seine bodenständige Lebensart, seine ungespreizte Ausdrucksweise, seine Freude an gutem Essen und Trinken machten ihn in den Jahren als Bundespräsident zu einem ausgesprochen volksnahen Staatsoberhaupt.
In das höchste Staatsamt war er 1994 mit der Wahl als Nachfolger Richard von Weizsäckers (der nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten durfte) durch einen Zufall gekommen. Eigentlich wollten die CDU und vor allem deren Vorsitzender, Bundeskanzler Helmut Kohl, vier Jahre nach der Wiedervereinigung schon als Symbol für das Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands einen Kandidaten aus der ehemaligen DDR nominieren. Aber der von Kohl auserkorene sächsische Kirchenjurist Steffen Heitmann wurde durch Äußerungen über den Holocaust, die als relativierend empfunden wurden, und Anmerkungen über die Rolle von Frauen und Ausländern zur Zielscheibe von Polemiken und Distanzierungen aus dem eigenen politischen Lager, sodass er Ende 1993 von einer Kandidatur Abstand nahm. Roman Herzog, der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, wurde dann mit den Stimmen von Union und FDP 1994 im dritten Wahlgang gewählt.
Reden und Gesten
Zehn Jahre zuvor, da war er gerade ein Jahr Präsident des obersten deutschen Gerichtes, hatte er, als Mitverfasser des bekanntesten deutschen Grundgesetzkommentars, in einer Analyse der Artikel 54 bis 59 und der Rolle des Bundespräsidenten nüchtern-trocken geschrieben: „Der Bundespräsident des GG ist... zwar unter die Staatsoberhäupter, aber nicht (wie etwa der US-Präsident und der Präsident der V. Republik) unter die selbständigen, sondern (wie insbesondere der britische König) unter die unselbständigen Staatsoberhäupter einzuordnen.“ Wie der Bundespräsident dennoch Einfluss ausüben konnte, wusste der Jurist Herzog aber genau. Der sei, analysierte er im erwähnten Grundgesetzkommentar, „fast ausschließlich auf eine geistig-moralische Wirkungsweise angewiesen“. Und in die Öffentlichkeit zu wirken, durch Reden und Gesten, das verstand Roman Herzog. Er war kein guter Redner, aber ein begeisterter Kommunikator, und in seinem Staatssekretär Wilhelm Staudacher hatte er jemand gefunden, der auf der Klaviatur der öffentlichen Meinungsbildung virtuos zu spielen verstand. Roman Herzogs Ruck-Rede vom 26. April 1997, gehalten im ziemlich zementstaubigen Rohbau des Hotels Adlon, hatte Staudacher Wochen zuvor als Konzept an Journalisten und Politiker im ganzen Land – vorgeblich vertraulich – geschickt und um Anregungen und Ergänzungen gebeten. So konnte er sicher sein, dass diese erste „Berliner Rede“, übrigens eine Anregung von Volker Hassemer, überall beachtet werden würde.
Herzogs Analyse, Deutschland leide nicht an einem Erkenntnis-, sondern an einem Umsetzungsproblem, traf ein weitverbreitetes Gefühl, die Deutschen wären ein knappes Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung, völlig gefangen im Hier und Jetzt, beherrscht von der im Ausland bereits als deutsches Nationalphänomen zitierten „German Angst“. Und dagegen helfe eben nur der Ruck, der durch das Land gehen müsse.
Mahnung an die Deutschen
Spätere Kritiker Roman Herzogs merken an, das sei am Ende nicht mehr als eine Mahnung nach der Devise „Gut, dass wir mal drüber geredet haben“ gewesen. Aber die Rede steht immerhin bis heute als Mahnung an die Deutschen, ihre Gesellschaft in einer sich ständig wandelnden Welt nicht als etwas zu betrachten, was man gegen den Wind der Veränderung wie unter einem Schutzschirm bewahren könne. Mahner blieb Roman Herzog auch, als er den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, den 27. Januar 1945, zum Holocaust-Gedenktag erklärte.
Roman Herzog, der unerbittlich konservative Politiker, als der er, baden-württembergischer Kultus- und Innenminister, seine Karriere begonnen hatte, war schon als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes zu einem liberalen Geist geworden, der zum Beispiel auch dem ungestüm ausgeübten Recht auf Demonstrationen Freiraum garantierte. Und geradezu auf der Höhe der Zeit blieb er, der überzeugte Europäer, bis zuletzt mit seinen kritischen Anmerkungen zur ausufernden Macht europäischer Institutionen. Auf der Götzenburg im Jagsthausen, dem Sitz seiner zweiten Frau Alexandra Freifrau von Berlichingen, ist er jetzt in der Nacht zum Dienstag gestorben.
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