Politik: Der Bremer Stadtmusikant
Henning Scherf denkt nun doch nicht ans Aufhören. Er will an der Weser regieren – solange man ihn liebt
Es passierte bei einem Bremer Straßenzirkusfestival: Ein Einradfahrer brauchte einen Zuschauer, der sein Gefährt beim Aufsteigen festhalten sollte. Seine Wahl fiel auf den Zwei-Meter-Mann Henning Scherf. Der Bürgermeister und passionierte Radfahrer packte gekonnt zu, erkannte aber nicht den rechten Zeitpunkt zum Loslassen, sondern lächelte noch weiter in die Menge, als der Akrobat längst aufgestiegen war.
Eine Szene mit Symbolwert. Ähnlich wie einst CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Sachsen oder dessen Stuttgarter Parteifreund Erwin Teufel scheint SPD-Mann Scherf Probleme beim Loslassen zu haben. „Henning der Große“, seit bald zehn Jahren an der Macht, wollte zwar schon in der vergangenen Legislaturperiode einem Jüngeren Platz machen, aber dann trat er doch noch einmal bei der Wahl 2003 an – mit der Zusage, in der neuen Wahlperiode aufs Altenteil zu gehen, wahrscheinlich 2005.
Womöglich hat er seine Meinung wieder geändert. Bei einem Segeltörn zum Nordpolarmeer bestätigte der 65-Jährige am Telefon, dass er ans Weitermachen denke: „Ich will mich nicht zu einem schwierigen, komplizierten Zeitpunkt vom Hofe stehlen.“ Allerdings müsse dies erst noch „in einem großen Ratschlag untereinander“ geklärt werden.
Schwierig ist die Lage in der Tat: Die seit 1995 amtierende große Koalition hat es – trotz 8,5 Milliarden Euro Sanierungsbeihilfe des Bundes – nicht geschafft, Bremens Haushaltsnotlage zu beseitigen. Zudem ist kürzlich ein Garant der Koalition, Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU), wegen Krankheit zurückgetreten – da möchte wohl nicht auch noch der Kapitän das schlingernde Schiff verlassen. Außerdem ist der volksnahe Scherf der einzige Genosse weit und breit, der die SPD bei der Bürgerschaftswahl 2007 erneut zum Sieg führen könnte.
Außer diesen nachvollziehbaren politischen Gründen sehen Scherf-Kenner aber vor allem auch ein persönliches Motiv für sein angedeutetes Weiterregieren: „Das ist sein Lebensinhalt.“ Anders gesagt: Der große Kommunikator scheint Angst vor dem Ruhestand zu haben. Und nachdem es nicht geklappt hat, auf irgendeinen Posten auf Bundesebene zu wechseln, bleibt er jetzt wohl einfach im Rathaus. „Der macht das so lange, wie die Bremer ihn lieben“, glaubt ein Vertrauter.
Die SPD dürfte das zähneknirschend schlucken. Die Nachfolgekandidaten, Bildungssenator Willi Lemke und Bürgerschaftsfraktionschef Jens Böhrnsen, haben sich bereits damit abgefunden, weiter auf der Reservebank zu bleiben – auch wenn Bürgermeister-Vorgänger Klaus Wedemeier schon mahnte, die SPD müsse lernen, auch ohne Scherf Wahlen zu gewinnen. Der neue Landesvorsitzende Carsten Sieling jubelt zwar nicht gerade über Scherfs Schwenk, rechnet aber auch nicht mit einem Aufstand der Partei. Der 45-Jährige machte im Gespräch mit dem Tagesspiegel allerdings klar, dass Scherf dann zumindest Mitte der kommenden Wahlperiode einem Nachfolger weichen müsse. Außerdem dürfe es bei der nächsten Bürgerschaftswahl „keinen Automatismus“ für eine Fortsetzung der großen Koalition in die dann mittlerweile vierte Amtsperiode geben. Denn ein solches Bündnis hätte „auf Dauer Akzeptanzprobleme“.
Obwohl sich Scherf seit dem Koalitionsvertrag vom Rot-Grün-Fan zum Schwarzen-Freund verwandelt hat, hält Parteichef Sieling ihn für „politisch flexibel“ genug, um 2007 eventuell auch wieder auf die Grünen zuzugehen. „Warum soll er nicht auch noch mal mit einem Grünen Arm in Arm durch die Stadt laufen?“ Die Fraktionschefin der Oppositionspartei, Karoline Linnert, scheint von dieser Idee nicht begeistert zu sein. Sie rechnet Scherf zur „alten Garde“ und meint angesichts der scheinbar ewigen Bürgermeister-Regentschaft: „Wir können ja bald die Monarchie ausrufen.“
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