Schulden in Zeiten des Niedrigzinses: Der Berg wird ein bisschen kleiner
Und dank der EZB-Politik werden die Anleihekonditionen für Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen immer günstiger.
Die Schuldenlast des deutschen Staates ist im vorigen Jahr leicht gesunken. Gegenüber 2014 nahm die öffentliche Gesamtverschuldung um ein Prozent ab und lag zum Jahresende bei 2,02 Billionen Euro. Die Verringerung machte gut 21 Milliarden Euro aus. Während der Bund seine Verschuldung um 1,9 Prozent zurückgefahren hat, waren es bei den Ländern nur 0,2 Prozent. Die Schuldenlast der Kommunen wuchs um 3,4 Prozent, was jedoch auch an einem statistischen Effekt lag: Wegen EU- Vorgaben, die der Vergleichbarkeit dienen sollen, mussten im vorigen Jahr erstmals auch alle Schulden in Nebenhaushalten wie den kommunalen Holdinggesellschaften berücksichtigt werden. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Montag ist der Hauptschuldner aber nach wie vor der Bund mit einer Schuldenlast von 1,26 Billionen Euro. Die Länderhaushalte sind mit knapp 613 Milliarden Euro belastet, die Kommunen kommen auf einen Schuldenstand von 144 Milliarden Euro. Deutlich verringert – um 12,9 Prozent – haben sich die Schulden der Sozialversicherung, die mit 489 Millionen Euro jedoch nur ein relativ geringes Volumen haben.
Beträchtliche Unterschiede
Die Unterschiede bei den Ländern sind mittlerweile beträchtlich. Während Sachsen und Bayern mit 1600 beziehungsweise 2800 Euro je Einwohner (inklusive der Kommunen) sehr moderat verschuldet sind, sieht es bei den Stadtstaaten deutlich ungünstiger aus. Das überschuldete Bremen steht mittlerweile mit 32700 Euro je Bewohner in der Kreide, in Berlin und Hamburg sind es jeweils deutlich über 16000 Euro. Nur das Saarland, wie Bremen im Haushaltsnotstand, kommt auf einen vergleichbar hohen Schuldenstand von 18000 Euro. Dazu muss noch der Schuldenstand je Einwohner des Bundes gezählt werden – er liegt bei etwa 15500 Euro. Jeder Berliner, vom Säugling bis zum betagten Rentner, trägt somit eine Schuldenlast von 32300 Euro. Zum Vergleich: In Bayern sind es 18300 Euro, in Sachsen 17100 Euro.
Die Schuldenlast sinkt auch wegen des niedrigen Zinsniveaus. Denn die stark gefallenen Zinszahlungen schaffen Luft in den Haushalten, die der Bund und einige Länder zu Tilgungen nutzen konnten. Dies wird sich in diesem Jahr noch fortsetzen. So sanken die Zinszahlungen des Bundes im ersten Halbjahr (gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015) um 27,3 Prozent. Statt 9,7 Milliarden Euro musste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nur noch gut sieben Milliarden Euro an die Gläubiger des Bundes überweisen.
Gewinn dank Draghis Kaufprogramm
Einer der mittlerweile größten Gläubiger sitzt in Frankfurt und heißt Mario Draghi. Das EZB-Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen (darunter nicht zuletzt Bundesanleihen) trägt auch dazu bei, dass Schäuble derzeit an der Ausgabe von Anleihen praktisch Geld verdient. Denn die Banken, die dem Bund seine Anleihen abnehmen, sind aktuell bereit, bei nahezu allen Emissionen (außer denen mit einer Laufzeit von 30 Jahren) mehr zu bieten als den Nennwert des Papiers. Sie nehmen dabei eine negative Rendite auf sich, weil sie erwarten, dass sie beim Weiterverkauf der Anleihen einen Kursgewinn einstreichen, der ihren Kaufverlust mindestens ausgleicht. Und diese Kursgewinne gehen, wenn auch nicht allein, auf Draghis Programm zurück, mit dem er die Kreditvergabe von Banken und damit die Konjunktur ankurbeln will. Schäuble profitiert davon, denn die Verluste der Erstkäufer sind moderate Gewinne in seiner Bilanz. Im ersten Halbjahr ergab das einen Vorteil von 1,5 Milliarden Euro – um diese Summe waren im März, Mai und Juni die Einnahmen aus dem Kaufaufschlag höher als die Zinszahlungen an die Gläubiger (zu denen jetzt im wachsenden Ausmaß auch die EZB gehört). Insgesamt aber überwiegen die Zinslasten die Gewinne aus dem Verkauf von Anleihen noch immer – sie lagen bei netto 7,5 Milliarden Euro.
Negativrenditen werden normal
Das Phänomen, dass der Staat bei der Ausgabe von Anleihen quasi Geld verdient, ist nicht neu. Erstmals konnte die Finanzagentur des Bundes schon 2012 eine negative Rendite vermelden, bei der Auktion einer zweijährigen Anleihe. Mittlerweile reicht das bis zu zehnjährigen Anleihen. Von den 49 Wertpapieren, die der Bund seit Januar ausgegeben hat, ergaben 35 eine negative Rendite. Die Käufer akzeptierten dabei Negativrenditen von bis zu 0,69 Prozent (bei einer Schatzanweisung mit Laufzeit von zwei Jahren im Juni). Bei einer zehnjährigen Anleihe, die während der Laufzeit an die Inflation angepasst wird und damit weniger riskant ist, waren es Anfang Juni sogar 0,81 Prozent. Eine am 27. Juli begebene 30-jährige Anleihe mit einem Nominalzins von 2,5 Prozent wurde mit einer (immerhin noch positiven) Rendite von 0,45 Prozent akzeptiert – ein Zeichen dafür, dass der Anleihenmarkt derzeit weit entfernt ist von jeder Normalität.