Kamala Harris wird erste US-Vizepräsidentin: Der amerikanische Traum trägt jetzt ihr Gesicht
An Joe Bidens Seite hat Kamala Harris die Wahl gewonnen. Es ist ihr Moment in der Geschichte. Was ihr Erfolg für Frauen und Mädchen bedeutet. Ein Kommentar.
Sie steht nun bald ganz oben. Höher, als je eine Frau in Amerika gestanden hat. Kamala Harris, die so oft die Erste in ihrem Leben war, hat eine weitere Glasdecke zertrümmert – mit Charme, Eleganz und Hartnäckigkeit.
Die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters hat allen Frauen und Mädchen, und ganz besonders solchen aus Einwandererfamilien, eine neue Welt eröffnet. Eine Welt, in der sie alles werden können: auch Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika. Und auch Präsidentin. Denn dafür ist Harris auf einmal eine große Favoritin.
Der amerikanische Traum trägt damit in diesen hoffnungsfrohen Tagen vor allem ihr Gesicht: das einer strahlenden Frau voller Freude über ihren eigenen Erfolg, was gleichzeitig ein tiefes Selbstbewusstsein und große Entschlossenheit ausdrückt: Und dieses Gesicht sieht so aus, wie immer mehr Gesichter in der sich wandelnden US-amerikanischen Gesellschaft aussehen: etwas weniger hell, etwas weniger europäisch.
„Entschuldigen Sie, jetzt spreche ich.“ Mit diesem Satz, immer wieder lächelnd vorgetragen, hat Harris bei Vizepräsident Mike Pence während des TV-Duells die Luft rausgelassen. Auf Schildern und T-Shirts tragen nun junge Frauen diese Worte, die so symbolisch für das stehen, was Harris’ Erfolg bedeutet: Sie sind jetzt dran. Es ist ihr Moment in der Geschichte. Und das ist völlig selbstverständlich.
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Bei ihrem ersten Auftritt, nachdem Joe Biden und sie zum Wahlsieger ausgerufen wurden, zeigt Harris, dass sie weiß, wem sie diesen Erfolg zu verdanken hat. Frauen wie ihrer verstorbenen Mutter, Shyamala Gopalan Harris, einer Medizinerin.
Ihre Mutter habe sich „vielleicht nicht genau diesen Moment ausgemalt“, sagt Harris. Aber sie habe so fest an ein Amerika geglaubt, in dem solch ein Moment möglich ist. „Und deswegen denke ich an sie und ihre Generation von Frauen, schwarze Frauen, asiatische, weiße, Latinas, Native Americans. Frauen, die so sehr für Gleichberechtigung, Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft haben und dafür so viel geopfert haben.“
Auch ihre Kleidung zeugt von diesem Wissen: Sie trägt einen weißen Hosenanzug, um an die Suffragetten zu erinnern, die ihr Leben für die Gleichberechtigung der Frauen riskiert haben.
Fröhlich zeigen sie: Wir sind die Mehrheit
Viel von der Freude und Begeisterung in den Stunden nach Verkündung des Wahlergebnisses hat damit zu tun, dass die für viele albtraumhafte Ära Trump beendet ist. Dass die Demokratie funktioniert und auch einen Demagogen kleinkriegen kann – wenn denn die Menschen an dem Prozess teilnehmen. Dass die Botschaft von Einheit, Liebe und Versöhnung der von Angst und Wut überlegen war. Darauf hatte Joe Biden gesetzt, und diese Wette ist aufgegangen, zum Erstaunen mancher Beobachter.
Aber auf den Straßen von Washington und vieler anderer Städte dominierten die Jungen, die Frauen und Mädchen, die Eingewanderten, sie tanzten, sangen und schwenkten neben der US-Flagge auch die Regenbogenfahne. Ihr buntes friedliches Treiben demonstrierte besser als jeder Bildschirm voller Zahlen und Prozente: Wir sind die Mehrheit, so sieht Amerika aus – wir sind die Zukunft. Und wir wollen nichts Böses.
Darum sollte das auch keinem Angst einjagen, denn genau das macht die Vereinigten Staaten seit Anbeginn aus: Menschen aus der ganzen Welt wollen hier leben. Und leben hier, wie sie es wollen.
Die vergangenen Monate waren nicht nur wegen der Pandemie bleiern. Auch die Unruhen nach dem Tod des Schwarzen George Floyd lasteten schwer auf dem Zusammenleben der Amerikaner. Die in Teilen abgeriegelte Innenstadt von Washington rund um die „Black Lives Matter“-Plaza unweit des Weißen Hauses erinnerte jeden Tag an diesen Konflikt. Ein Konflikt, den Trump gar nicht lösen wollte. Dieses Gewicht ist jetzt aufgehoben. Ob dauerhaft oder nicht, hängt nun bald auch von Kamala Harris ab.