Massenfestnahme von Oppositionellen in Hongkong: Demokratische Vorwahl als „Umsturzversuch“
Hongkongs Obrigkeit lässt 53 Demokraten festnehmen, weil sie an einer Vorwahl teilgenommen haben. Die Regierung sieht das als Komplott zu ihrem Sturz.
Der Hongkonger Lee Chi-yung hatte eine mehrfach schwerstbehinderte Tochter, die er „Prinzessin“ nannte und die vor mehr als zwei Jahren verstorben ist. Weil der 40-Jährige sich nur zu gut an die großen Mühen erinnert, die es seine Tochter und ihn gekostet hat, die Millionenmetropole im Rollstuhl zu durchqueren, fing er an, sich politisch für eine Verbesserung der Hongkonger Infrastruktur für behinderte Menschen einzusetzen.
Eine seiner Forderungen lautete, Straßen und Fahrradwege auch für Elektrorollstühle freizugeben, wie die Hongkonger Webseite „Transit Jam“ berichtete. Und um Forderungen wie diese besser durchzusetzen, trat er im Juli 2020 als Kandidat bei der inoffiziellen Vorwahl der Demokraten an. Deshalb ist Lee Chi-yung nun am Mittwoch in Hongkong verhaftet worden.
Die Hongkonger Polizei hat am Donnerstag insgesamt 53 Demokraten festgenommen. Die Hongkonger Staatsanwaltschaft wirft allen Verstöße gegen das neue Sicherheitsgesetz vor, weil sie an der inoffiziellen Vorwahl der Demokraten teilgenommen oder diese organisiert hatten. Die „South China Morning Post“ schreibt: „Die Behörden werfen ihnen einen Komplott vor, um die Regierung zu stürzen.“
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Die Vorwahl im Juli 2020 war vom oppositionellen demokratischen Lager abgehalten worden, um diejenigen Kandidaten herauszufiltern, welche die besten Chancen bei der – später wegen Corona abgesagten – Wahl des Legislativrates haben würden. Dieses Vorgehen wird ihnen nun als „Umsturzversuch“ ausgelegt. Staatssekretär John Lee Ka-chiu sagt in der „South China Morning Post“: „Sie haben auf diese Weise versucht, 35 oder mehr Sitze im Legislativrat zu bekommen, um das Haushaltsbudget, egal was es beinhaltet, zu blockieren, und um dadurch eine Situation zu schaffen, in der die Verwaltungschefin zurücktreten muss und die Regierung nicht mehr funktioniert.“
Es waren die ersten Massenfestnahmen seit Einführung des Sicherheitsgesetzes
Die Hongkonger Opposition reagierte empört auf die Festnahmen. Ronny Tong Ka-wah, Mitglied des Hongkonger Exekutivrates sagte, er könne nicht verstehen, warum demokratische Vorwahlen als Umsturzversuch aufgefasst werden können. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen (FDP), bezeichnete die Festnahmen als „eine vollkommen neue Dimension“. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wolle die letzten Reste der Demokratie in Hongkong beseitigen.
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Sie kritisierte die EU und die deutsche Ratspräsidentschaft, „um jeden Preis“ das Investitionsabkommen durchverhandelt zu haben, während Peking in Hongkong „Völkerrecht bricht“. Es habe ein Signal der Gleichgültigkeit gesendet, das Peking gerne angenommen habe. Menschenrechtler in Hongkong zeigten sich geschockt. Amnesty International hob hervor, die Festnahmen zeigten, wie weitreichend das Sicherheitsgesetz angewandt werden könne, auch wenn keine Bedrohung der nationalen Sicherheit vorliege.
Es waren die ersten Massenfestnahmen seit Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes am 30. Juni 2020. Erstmals ist mit dem US-amerikanischen Rechtsanwalt John Clancey auch ein Ausländer festgenommen worden. Die Polizei warnte vor weiteren Festnahmen, die Untersuchungen gingen weiter. (mit dpa)