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Umgestürzte Bäume und Totholz in einem Wald im Revier Müggelsee.
© Wolfgang Kumm/dpa

Natur im Dauerstress: Dem Wald in Deutschland geht es so schlecht wie noch nie

Trockenheit, Stürme und Schädlinge setzen den Bäumen zu. Wälder müssten widerstandsfähiger gegen den Klimawandel werden, fordern Experten.

Mehrere Dürrejahre, Stürme und dazu noch Schädlinge wie der Borkenkäfer – all das macht dem Wald in Deutschland schwer zu schaffen. Noch nie waren so viele Bäume abgestorben wie im Jahr 2020. Das geht aus dem aktuellen Waldzustandsbericht des Landwirtschaftsministeriums hervor geht. „Viele Teile des Waldes sterben gerade“, sagte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorstellung des Berichts. „Unsere Wälder sind krank.“

Seit 1984 wird jedes Jahr im Sommer erhoben, wie es um die Wälder bestellt ist. Ein wichtiger Indikator ist dabei die Kronenverlichtung. Das bedeutet, dass ein Teil der Blätter oder Nadeln vorzeitig gefallen sind – ein Zeichen dafür, dass ein Baum unter Stress steht. Im Jahr 2020 hatten bereits vier von fünf Bäumen (80 Prozent) lichte Kronen, ebenfalls der höchste Wert seit Beginn der Messungen. Unter die Warnstufe rot (deutliche Kronenverlichtung) fallen 37 Prozent aller untersuchten Bäume, unter Warnstufe gelb 42 Prozent.

Besonders stark sind Buchen betroffen und damit eine Baumart, die viel Wasser benötigt. Nur elf Prozent der in der Stichprobe erfassten Buchen wiesen keine Lichtungen auf. Aber auch bei Eichen, Kiefern und Fichten ist der Anteil der Bäume, die von Kronenlichtungen verschont blieben, mit etwa 20 Prozent eher gering.

Schäden gibt es mittlerweile in allen Bundesländern, etwa in Thüringen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen und auch im Harz. Die Fläche, die potenziell wieder aufgeforstet werden müsste, beträgt nach Angaben von Klöckner 277.000 Hektar und ist damit etwa so groß wie das Saarland. Der Zustand des Waldes mache ihr „große Sorgen“, sagte die Ministerin.

Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut für Waldökosysteme sieht auch für dieses Jahr keine Besserung in Sicht. Seit den 80-er Jahren habe es immer mal Ausreißerjahre gegeben, die den Wäldern zu schaffen machten. Doch die Dürrejahre seit 2018 lassen sich nach Ansicht der Wissenschaftlerin nicht mehr als Ausreißer klassifizieren – sondern sind mit dem Klimawandel zu erklären.

Wälder müssen klimastabil werden

Dadurch gebe es auch mehr Witterungsextreme. Selbst in einem feuchten Jahr sei mit mehr Stürmen oder Hitzeperioden zu rechnen, sagt Wellbrock. Anders als in den 80-er Jahren, als die Wälder unter „saurem Regen“ litten, werde der Klimawandel nicht so einfach zu bewältigen sein. Die Empfehlung der Wissenschaftlerin lautet deshalb, „klimastabile Wälder“ zu etablieren. Konsens in der Forstwirtschaft sei, dass nicht Monokulturen sondern Mischwälder dafür geeignet seien.

Klöckner verwies in dem Zusammenhang auf ein Förderprogramm von Bund und Ländern in Höhe von 800 Millionen Euro, das Mittel zur Bewältigung von Waldschäden, für Wiederaufforstung und zur Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellt. Gemeinsam mit den Waldbesitzern habe man sich „auf einem sehr guten Weg“ befunden, die Wälder „gemischter, naturnäher und älter“ hinzubekommen. Doch diese Bemühungen seien durch Dürre, Trockenheit und Borkenkäfer „massiv“ ausgebremst worden. Von der neu aufgelegten „Bundeswaldprämie“ sind nach Angaben des Ministeriums bis Ende 2020 knapp 57 Millionen Euro ausgezahlt worden – insgesamt sind hierfür 500 Millionen Euro vorgesehen.

Die Millionen zum Waldschutz wirkten nicht, weil die Länder noch immer mit den Extremwetterereignissen zu kämpfen und kaum Kapazitäten hätten, sich mit einem nachhaltigen Waldumbau zu beschäftigen, sagt hingegen der FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Hoffmann, der Förster ist. Es werde noch sieben Jahre brauchen, bis sich der Wald von der Dürreperiode 2018/2019 erholen werde. Die Schäden seien nachlaufend, da die Wurzelmasse der Bäume sich abgebaut habe. „Damit wächst der Wald langsamer, weniger CO2 wird gebunden, weniger Wasser gespeichert und weniger Holz produziert“, sagte Hoffmann dem Tagesspiegel.

Die Hilfen für Waldbesitzer zur Wiederbewaldung müssten erhöht werden und schnell über die Finanzämter laufen und nicht über „komplizierte Förderprogramme“, deren Gelder im Zweifel bei Sägewerken oder Maschinenherstellern landeten, sagte Hoffmann. Der waldpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Harald Ebner, übte ebenfalls Kritik an der Förderpraxis. Klöckner verteile Waldhilfen als Flächenprämie nach Gießkannenprinzip, Bindung an Ökologie und schonende Bewirtschaftung spielten keine Rolle. Nötig seien „klare Vorgaben für mehr Vielfalt, für mehr Naturnähe und eine schonende Bewirtschaftung“, sagte der Grünen-Politiker.

Mehr Naturwälder ohne Holznutzung

Umweltverbände sehen die Bundesregierung ebenfalls in der Pflicht, strengere Vorgaben zu machen. Immer noch würden zu viele Flächen „kahlgeschlagen“, kritisierte Greenpeace. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert eine schonendere Waldbewirtschaftung mit weniger Baumfällungen. Es müsse wieder mehr Naturwälder ohne Holznutzung geben, mindestens auf zehn Prozent der Waldfläche in Deutschland. Für den Dauerstress des Waldes macht der BUND neben der Dürre auch andere Faktoren verantwortlich. So verschlechtere sich der Zustand des Waldbodens unter anderem durch den Stickstoffüberschuss aus der Viehhaltung, sagt Waldexperte Jörg Nitsch.

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Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) fordert die Bundesregierung auf, die Klimaschutzleistung des Waldes zu honorieren. „Der Wald ist der Klimaschützer Nummer eins in Deutschland“, sagte Verbandspräsident Hans-Georg von der Marwitz. Der Wald speichere rund 127 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxid, also umgerechnet etwa 14 Prozent des CO2-Ausstoßes der deutschen Volkswirtschaft. Ein Teil der Einnahmen aus dem seit diesem Jahr eingeführten CO2-Preis müsse in den klimastabilen Wald zurückfließen, sagte er.

Eine Forderung, der Ministerin Klöckner offen gegenüber steht. Die Leistung, die der Wald für alle erbringe, müsse anerkannt werden, sagte die CDU-Politikerin. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeite derzeit an einem System für ein solche Honorierung. Der Wald könne wieder der „beste Mitstreiter werden im Kampf gegen den Klimawandel“.

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