Wahl in Großbritannien: David Cameron gewinnt an politischem Gewicht
Bis zur Wahl war David Cameron ein politisches Leichtgewicht. Nun da er seine Machtposition gestärkt hat, könnte er vom Getriebenen zum Gestalter werden. Ein Kommentar.
Als konservativer Regierungschef mitten in einem Wirtschaftsaufschwung im Amt bestätigt zu werden, dabei den liberalen Koalitionspartner aufzureiben, die sozialdemokratische Opposition zu blamieren und die Europakritiker aus dem Parlament herauszuhalten, ist keine Kunst. Die Deutschen haben ja schließlich auch Merkel und nicht Steinbrück, Rösler oder Lucke gewählt.
Der britische Premier gewinnt überraschend an politischem Gewicht
Das Erstaunliche an David Camerons Wahlsieg ist, dass er, der anders als Merkel ein schnöseliger Eton-Absolvent ist, dazu noch seinem Land eine schmerzvolle und umstrittene Sparpolitik verschrieben hatte und im Wahlkampf den Namen seines Lieblingsfußballvereins verwechselt hat. David Cameron war bis zur Wahl ein Leichtgewicht, auch in den Augen von Angela Merkel, der trotz der ausgezeichneten Wirtschaftslage von einem kläglich uncharismatischen Gegner wie Ed Miliband in die Enge getrieben werden kann. Mit seinem Wahlsieg gewinnt der britische Premier überraschend an politischem Gewicht.
David Cameron hat nie die große Erzählung geliefert, sondern sich von Erfolg zu Erfolg gehangelt. Bisher wirkte er wie ein Getriebener, wie ein Taktierer zwischen Reich und Arm, zwischen links und rechts, zwischen Brüssel und London. Doch so hat er sich erstaunlich erfolgreich den Fliehkräften, denen das Vereinigte Königreich derzeit ausgesetzt ist, entzogen: Er hat das Schottland-Referendum gewonnen, das Europa-Thema verschoben, eine Koalitionsregierung überstanden – und durch eine absolute Mehrheit sogar die Debatte um die Legitimität des britischen Wahlsystems beendet.
Die Fliehkräfte sind nicht verschwunden
Die Zersplitterung, von der vor der Wahl die Rede war, ist nicht eingetreten, die politischen Kräfte wurden durch sie vielmehr gebündelt. Doch die Fliehkräfte sind nicht verschwunden: Die überwältigenden Gewinne der schottischen Nationalisten zeigen, dass die Frage, wie ein zeitgemäßes Verhältnis zwischen der Zentralregierung in London und dem Rest des Landes aussehen könnte, noch lange nicht beantwortet ist.
David Cameron will über eine Reform der EU sprechen
Cameron hat seinen politischen Spielraum über die Jahre Schritt für Schritt vergrößert. Er hat nun eine knappe, aber eigene Mehrheit, und eine Opposition, die mit sich selbst beschäftigt ist. Wie groß dieser Spielraum – auch innerparteilich – ist, dürfte spätestens beim EU-Referendum deutlich werden, das Cameron den Briten für 2017 versprochen hat. Vorher will er mit den übrigen EU-Ländern über eine Reform der Union sprechen.
Der Widerstand in Brüssel gegen die Londoner Pläne ist groß
Der Widerstand in Brüssel gegen dieses britische Vorhaben ist groß, doch die anhaltende Euro-Krise hat die Machtbalance verändert. Wie könnte sich die EU auch glaubwürdig gegen eine Reformdebatte stellen, wenn selbst der Präsident des EU-Parlaments "tief besorgt" ist und glaubt, "dass uns der Laden um die Ohren fliegen kann". Das Angebot, über die politische Zukunft der Europäischen Union zu reden, ist, auch wenn es aus London kommt, im Interesse der Union. Wer schließlich alles tut, um einen "Grexit" zu verhindern, sollte zum viel dramatischeren "Brexit" nicht schweigen.
Der Premier muss seinen Spielraum jetzt nutzen
Camerons Referendumsankündigung wirkte wie der Schritt eines in Panik Geratenen; jetzt, da er seine Machtposition gestärkt hat, könnte er vom Getriebenen zum Gestalter werden. Kann er diesen Spielraum nicht nutzen, dürfte auch er bald Opfer jener Fliehkräfte werden, die Großbritannien am Donnerstag kräftig durchgerüttelt haben.