Großbritannien und die EU: David Cameron fordert Unmögliches
Alle wollen die Briten in der Europäischen Union halten – doch deren Premierminister David Cameron fordert unmögliche Dinge.
Der denkbare „Brexit“, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, beschäftigt die Akteure in Europa zusehends. Seit Mitte November wird auf hochrangiger Beamtenebene über die Reformvorschläge verhandelt, die Premier David Cameron vor der Volksabstimmung umgesetzt sehen will. „Dann bin ich bereit, mich mit Leib und Seele dafür einzusetzen, dass Großbritannien Teil einer reformierten Europäischen Union bleibt“, heißt es in einem Schreiben vom 10. November, in dem Cameron vier grundsätzliche Forderungen gegenüber EU-Ratschef Donald Tusk skizziert.
Der hat für Donnerstag eine erste Debatte beim EU-Gipfel angesetzt und in der Vorwoche in einem offenen Brief an die Teilnehmer den Stand der Dinge erläutert. Die Vorgespräche hätten gezeigt, wie „schwierig“ die britischen Wünsche zu erfüllen seien, doch gebe es „großen Willen auf allen Seiten, um Lösungen zu finden“. Der Gipfel soll feststellen, wo bei wem die roten Linien liegen.
Als unproblematisch wird das Anliegen gesehen, die Wettbewerbsfähigkeit stärker in den Fokus zu nehmen. Der Binnenmarkt gilt den Briten, die in der EU eher Freihandelszone denn politische Union sehen, seit jeher als Europas wichtigste Errungenschaft. Ihre Forderung, über bindende Zielmarken die bürokratischen Lasten für Firmen zu reduzieren und Handelsabkommen mit den USA, Japan und China abzuschließen, stehen einem Deal ebenfalls nicht im Weg.
David Cameron will auch die nationalen Parlamente stärken
Unter der Kategorie „machbar“ sortieren EU-Diplomaten eine ganze Reihe weiterer Punkte aus Camerons Katalog ein. Etwa eine Garantie, dass sich Großbritannien nie finanziell an der „Euro-Rettung“ beteiligen muss. Dasselbe gilt für eine Regelung dafür, dass beispielsweise ein in Warschau lebendes Kind eines in Manchester arbeitenden Polen nicht automatisch Kindergeld von der britischen Regierung beziehen muss.
Weiter will Cameron die nationalen Parlamente stärken. Mehrere von ihnen zusammen müssen seiner Ansicht nach Gesetzesvorhaben der EU-Kommission stoppen können.
Hoch umstritten sind vor allem zwei Punkte. Da ist zum einen das künftige Verhältnis von Euro- und Nicht-Euro-Ländern. Schon die Forderung, die EU als Raum mit mehreren Währungen anzuerkennen, hat es in sich. Zwar ist es ein Fakt, dass neben den Briten auch die Dänen nicht verpflichtet sind, der Einheitswährung beizutreten. Der EU-Vertrag schreibt dies langfristig jedoch Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien, Schweden, Tschechien und Ungarn vor – und müsste theoretisch geändert werden.
Noch haariger wird es bei der von Cameron geforderten Garantie, dass „alle Themen, die sich auf alle Mitgliedstaaten auswirken, auch von allen diskutiert und beschlossen werden“. Das wäre sicherlich bei der Vollendung der Bankenunion und bei anderen Zukunftsplänen zur Stabilisierung der Euro-Zone der Fall. „Cameron fordert effektiv ein Veto für den Finanzplatz London“, meint ein Regierungsvertreter Belgiens, „aber wer nicht dem Club angehört, darf auch nicht mitentscheiden.“ Ratschef Tusk berichtet, man arbeite im Sinne der Fairness an einem „Mechanismus, der Nicht-Euro-Staaten erlaubt, Bedenken vorzubringen und gehört zu werden, wenn dieses Prinzip nicht eingehalten wird – ohne dass daraus ein Veto wird“.
Nicht einmal im Ansatz ist dagegen klar, wie Camerons Forderung erfüllt werden könnte, dass in Großbritannien arbeitende EU-Ausländer nicht länger sofort in den Genuss einer staatlichen Lohnaufstockung kommen sollen oder das Recht auf eine Sozialwohnung erwerben. „Für uns ist das ein Pull-Faktor“, sagt ein britischer EU-Diplomat. Bevor Cameron seinen Brief abgeschickt hat, ist er quasi aus allen Hauptstädten davor gewarnt worden, Angestellten aus EU-Staaten diese Sozialleistungen erst nach vier Jahren gewähren zu wollen. Einem EU-Diplomaten zufolge wäre dies „ganz klar diskriminierend“.
Ein striktes Nein kommt auch aus Belgien: „Wer als EU-Bürger am selben Ort dieselbe Arbeit verrichtet, muss in Europa die gleichen Leistungen beziehen.“ Ein Mitarbeiter von Ratschef Tusk nannte es „traurig, dass dies der größte Knackpunkt zu werden droht, weil er gar nichts am Problem des Sozialmissbrauchs ändert“. Es müsse um die Schließung vorhandener Schlupflöcher gehen und nicht um Diskriminierung anderer Europäer.