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Der neue Chefredakteur von „Charlie Hebdo“ Gerard Briard (links) und der Kolumnist Patrick Pelloux (rechts) mit Luz, dem Zeichner der Titelseite des neuen Heftes, während der Pressekonferenz in den Räumen der „Liberation“.
© Reuters

Satirezeitschrift: Das Vermächtnis von "Charlie Hebdo"

Die Überlebenden von „Charlie Hebdo“ stellen ihr neues Heft vor, das in einer Millionenauflage erscheint. Es herrscht die höchste Sicherheitsstufe.

Am Garagentor wird ein „Je suis Charlie“-Graffito mit schwarzer Farbe übermalt. Es soll alles wieder normal wirken in Paris, auch hier in den Redaktionsräumen der Tageszeitung „Libération“, kurz Libé genannt. Doch an der Rue Béranger im Zentrum von Paris herrscht weiterhin der Ausnahmezustand. Das Gebäude wird von der Polizei und Spezialeinheiten überwacht. Oben, unterm Dach des umgebauten Parkhauses, stehen die besten Personenschützer Frankreichs vor dem improvisierten Sitz des Satiremagazins „Charlie Hebdo“. Die kräftigen Männer mit den Scharfschusspistolen am Gürtel haben die neue Mittwochsausgabe anscheinend schon gesehen. Sie lachen über „diesen Propheten mit dem Penisgesicht“.

Die überlebenden Redakteure, selbst Journalisten, haben an der Glastür ein Schild angebracht: „Ab hier keine Journalisten, Merci!“ Im gläsernen Raum sitzen einige von ihnen schweigend vor ihren Bildschirmen. Es ist vollbracht, die Druckmaschinen rattern anderswo. Jetzt, wo die große Sonderausgabe mit drei Millionen Exemplaren in 16 Sprachen fertig produziert ist, fragen sich nun alle, wie es weitergeht. Nach einem Brandanschlag auf „Charlie Hebdo“ im Jahr 2011 waren sie schon mal Gast. Wie lange bleiben sie? Werden sie überhaupt diesmal durchhalten? Doch definitive Antworten gibt es heute noch keine. Mit gesenktem Kopf huschen die „Charlie Hebdo“-Zeichner manchmal durch den Gang.

Normalerweise ist die Auflage bei 20 000

Quentin Girard kümmert sich um die letzte Seite bei Libé. Der junge Journalist sitzt direkt an der Glaswand, die ihn von den Überlebenden trennt. Da sitzen die Menschen, mit denen sich ein ganzes Land nun identifiziert. Es bestehe bei ihm und auch bei den anderen Journalisten schon der Reflex, einen Kaffee zu holen, ein Stück Käse anzubieten, nachzufragen, ob alles okay sei. Aber die Redakteure von „Charlie Hebdo“, einer Zeitung mit einer Auflage von 20 000 Exemplaren in normalen Zeiten, die nun die ganze Weltpresse bewegt, wollen nicht gestört werden.

Um 15 Uhr ist eine offizielle Pressekonferenz angesetzt, der Andrang ist immens. Nur wenige Menschen haben in der schlichten Kantine Platz. Die Personenschützer sind alarmiert. „Was ist, wenn jemand seinen Presseausweis fälscht?“, fragt der eine bei der Vorbesprechung. „Wir werden alle gründlich kontrollieren“, heißt die Antwort. Hier ist nichts normal, hier gilt mindestens dieselbe Sicherheitsstufe wie am Elysée-Palast.

Die Kantine ist bis auf den letzten Fleck besetzt. Viele der anwesenden Journalisten haben sich hingehockt. Luz, der Zeichner der Titelseite, kann nur mit viel Mühe seine Tränen zurückhalten. „Ich habe den Titel gezeichnet, und dann habe ich geheult“, sagt er. Die Redaktion habe darauf geachtet, dass alle, auch diejenigen, die getötet wurden, mit Arbeiten in der neuen Ausgabe vertreten sind. Es sei „ihr Titel“ geworden, es sei ihnen wichtig gewesen, dass sie nur einen Tag nach dem Attentat auf ihre Redaktion wieder zu den Bleistiften griffen. In den nächsten Tagen werden einige schwer verletzte Redakteure aus dem Krankhaus entlassen. Dann soll es wie bisher weitergehen mit „Charlie Hebdo“ – aber wie der Alltag wiederhergestellt werden soll, ist den Redakteuren noch nicht klar.

"Wir glauben an die Intelligenz der Menschen da draußen“

Ob er nun nicht Zweifel oder gar Angst habe, fragt eine Journalistin aus Großbritannien, nachdem Luz die neue Ausgabe in die Kameras gehalten hat. „Nein, wir glauben an die Intelligenz der Menschen da draußen“, lautet Luz’ Antwort. Er habe beim Zeichnen an den Augenblick denken müssen, als er seine Kollegen tot auf dem Boden vorgefunden habe. „Ich habe ihre Ärsche auf dem Boden gesehen, es hätte mein Arsch, es hätten eure Ärsche sein können“, sagt er zu den anwesenden Journalisten. Doch Angst fühle er nicht. „Und ich danke Arnold Schwarzenegger“, ein abrupter Witz zwischendurch. Sein Kollege hatte vorher mitgeteilt, dass Schwarzenegger zehn Abonnements der Zeitschrift bestellt habe. Es sind Witze, die nicht alle lustig finden. Selbst in der linksliberalen „Libération“ wird die Satire von „Charlie Hebdo“ nicht von allen positiv gesehen. „Ich konnte nie über ,Charlie Hebdo‘ lachen“, sagt ein Journalist. Aber wenn er weiterhin sage „Je suis Charlie“, dann meine er damit etwas Größeres als ein paar Karikaturen von Mohammed, die ihn an einen Penis erinnerten.

Luz legt seine Karikatur auf dem neuen Titel anders aus: Es ist ein Mohammed, dem es leidtut, was passiert ist. Mohammed, der gute Mann, der weint. Mohammed, der Prophet. „Je suis Musluman“ – ich bin Muslim, sagt Luz symbolisch. Als würde er auch unbedingt etwas wieder gutmachen wollen.

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