Großbritannien: Das Unterhaus streitet um den Brexit-Deal
Großbritanniens Unterhaus hat die Debatte über den EU-Austritt begonnen. Abgeordnete aller Lager suchen nach Gründen, den Deal mit der EU abzulehnen.
Zu Beginn eines fünftägigen Debatten-Marathons über den EU-Austritt hat die Regierung von Premierministerin Theresa May am Dienstag sowohl im Unterhaus wie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rückschläge einstecken müssen. Die Regierungschefin gab sich davon unbeirrt: Ihr mit Brüssel ausgehandelter Deal stelle die richtige Lösung dar. „Die Bürger wollen, dass das Austrittsvotum respektiert wird und wir unser Land wieder zusammenführen.“
Für die Verabschiedung des vor zehn Tagen mit den 27 EU-Partnern vereinbarten Austrittsvertrages sowie der dazugehörigen Zukunftsvereinbarung ist die Zustimmung des Unterhauses nötig. Diese sowie nächste Woche werden die Parlamentarier täglich acht Stunden lang Argumente austauschen, ehe am kommenden Dienstag die Abstimmung vorgesehen ist. Da May einer Minderheitsregierung vorsteht und mehrere Dutzend ihrer eigenen Fraktionsmitglieder Gegenstimmen oder Enthaltungen angekündigt haben, gilt eine Niederlage der Regierung als wahrscheinlich.
Am Dienstagnachmittag stimmten die Abgeordneten auf Antrag sämtlicher sechs Oppositionsparteien zunächst darüber ab, ob die Konservativen sich der Missachtung des Parlaments schuldig gemacht hätten. Das bejahten sie mit einer Mehrheit von 311 gegen 293 Stimmen Hintergrund ist ein Streit um die Vorlage eines internen Rechtsgutachtens der Regierung.
Die Abstimmungsniederlage verdeutlichte abermals, wie schwach die Stellung der Premierministerin im Unterhaus ist. Nach dem Votum der Abgeordneten kündigte ihre Regierung umgehend an, das strittige Dokument am Mittwoch vollständig zu veröffentlichen.
Schon die Debatte selbst galt als beispiellose Demütigung der Regierung. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer erinnerte daran, das Unterhaus habe Mitte November mehrheitlich von der Regierung die Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens verlangt. Darin hat der Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang, Geoffrey Cox, seinen Ministerkollegen das Für und Wider zum Austrittspaket aus juristischer Sicht erklärt.
Streit um rechtliches Gutachten
Solche Gutachten müssten auch weiterhin der Vertraulichkeit unterliegen, argumentierte Cox am Montag bei einer Fragestunde im Unterhaus – die erste Gelegenheit seit mehr als einem Vierteljahrhundert, dass sich ein Generalstaatsanwalt ins Kreuzverhör nehmen ließ. Zusätzlich veröffentlichte die Regierung eine 43-seitige Zusammenfassung des Rechtsgutachtens. Cox habe das Parlament nicht missachtet, „sondern mit dem höchsten Respekt behandelt“, sagte seine Kabinettskollegin Andrea Leadsom am Dienstag.
Bei der wichtigsten Streitfrage lässt der Brexit-Befürworter Cox zudem keinen Zweifel an seiner Meinung: Die sogenannte Auffanglösung für Nordirland, die dem Offenhalten der inneririschen Grenze dient, kann nur im beiderseitigen Einvernehmen zwischen Brüssel und London gekündigt werden. Diese eindeutige Einschränkung britischer Souveränität wollen die Brexit-Ultras nicht hinnehmen. Cox hingegen verweist auf den Kompromisscharakter des Austrittsvertrages: „Es wird Zeit, dass die Leute erwachsen werden.“
Dass die Opposition auf der Veröffentlichung des gesamten Schriftstücks beharrt, liegt daran, dass schwankende Abgeordnete auf beiden Seiten nach Gründen suchen, um den Deal ablehnen zu können. Während sich manche dann ein zweites Referendum wünschen, sehnen andere den Brexit ohne Vereinbarung herbei.
Beim Europäischen Gerichtshof bahnt sich eine neue juristische Niederlage Mays an. Mehrere Parlamentarier wollen gegen Londons Willen sicherstellen, dass das Unterhaus notfalls den EU-Austrittsantrag nach Artikel 50 zurückziehen kann. Dem schloss sich am Dienstag der zuständige Generalanwalt Manuel Campos Sanchez-Bordona an; die große Kammer des Gerichts folgt im Normalfall seinem Vorschlag. Das Urteil wird vor Weihnachten erwartet.