Hinweis des Berliner Landgerichts: Das steckt hinter der Verwirrung um die Mietpreisbremse
Auch nach dem Einspruch des Berliner Landgerichts gilt die Mietpreisbremse weiter - sagen Experten. Sicher ist das aber nicht: Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Zu wenig Wohnungen und steigende Mieten in den Metropolen – die Wohnungsnot in Deutschland ist zum großen Thema im Bundestagswahlkampf geworden. Für mehr Regulierungen durch die Verschärfung der Mietpreisbremse spricht sich SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt das ab: An Wohnungen fehle es, nicht an Regulierungen, deshalb werde die CDU den Neubau ankurbeln durch Steuergeschenke, billiges Bauland und Baukindergeld. In diesen Richtungsstreit platzte am Dienstag ein Hinweis des Berliner Landgerichts, wonach die Mietpreisbremse verfassungswidrig sei.
Die Mietpreisbremse behandelt nicht alle Vermieter gleich, ist daher verfassungswidrig. Gilt sie nicht mehr?
Doch, das Gesetz gilt weiterhin und verbietet Vermietern von freien Wohnungen, mehr als das sonst vor Ort Übliche zu nehmen. Festgelegt ist das im Mietspiegel, und die Mietpreisbremse lässt dazu noch einen Aufschlag von zehn Prozent zu. Ausgenommen von dieser „Kappungsgrenze“ sind Wohnungen, die vor Einführung des Gesetzes im Jahr 2015 schon für mehr Geld vermietet waren als die Mietpreisbremse zulässt. Auch aufwendig modernisierte Wohnungen sind von den Mietobergrenzen ausgenommen. Wer also sehr viel mehr Miete für seine neue Wohnung zahlt, kann am Mietspiegel prüfen, was ortsüblich ist. Liegt die Miete deutlich drüber, kann ein Mieterverein oder Fachanwalt möglicherweise den geringeren gesetzlichen Mietzins durchsetzen.
Warum ist die Aufregung trotzdem so groß, wenn ein einzelnes Gericht nur einen Hinweis gegeben hat?
Weil die Vermieter nun einen Hebel haben, um die Mietpreisbremse zu blockieren – und das werden sie auch tun. Davon sind jedenfalls Fachanwälte für Mietrecht wie Andreas Griebel von der Kanzlei Rödl überzeugt: „Ich gehe fest davon aus, dass andere Parteien erneut Klage erheben werden, um eine höhere Neumiete jenseits der Mietpreisbremse durchzusetzen oder zu viel geleistete Miete zurückzuverlangen.“ Davon hat das Landgericht im aktuellen Fall abgesehen, weil in dem konkreten Streit die Forderung der höheren Miete auch aus anderen Gründen berechtigt war.
Wann wird das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zur Mietpreisbremse sprechen?
Das kann dauern. Ein neuer Mietstreit müsste erneut vom Amtsgericht über das Landgericht bis zum obersten Gericht durchgereicht werden. Und nicht alle Kammern des Landgerichts bezweifeln, dass das Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Im März hatte eine andere Kammer das noch verneint. Fachanwalt Griebel meint: „Ein Richter vermietet möglicherweise selbst eine Wohnung, während der andere viel Miete zahlt“ – auch so etwas schwinge bei einem Urteil mit. Dem widerspricht Berlins Gerichtssprecherin Annette Gabriel scharf: „Jeder Richter entscheidet unabhängig vom persönlichen Hintergrund objektiv den Sachverhalt mit der gebotenen Neutralität.“
Wie begründet das Berliner Landgericht, dass die Mietpreisbremse gegen das Grundgesetz verstößt?
Die Mietpreisbremse führe zu einer „Ungleichbehandlung von Vermietern“. Das verstoße gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, wonach „wesentlich Gleiches gleich zu behandeln“ sei. Ausnahmen seien zwar möglich, aber diese müssten gut begründet sein. Eben das habe der Gesetzgeber versäumt. Er habe „einkommensschwache Haushalte und Durchschnittsverdiener“ schützen wollen. Doch es gebe überhaupt „kein Anhaltspunkt dafür“, dass Haushalte aus diesen Zielgruppen in München besser gestellt sind als in Berlin. Trotzdem dürften Vermieter in München 11,28 Euro pro Quadratmeter Miete von Bedürftigen verlangen, in Berlin (West) dagegen nur 7,14 Euro. Die Vermieter würden also ohne triftigen Grund ungleich behandelt.
Wird das Gesetz nun einfach ignoriert?
Verführt die Ablehnung der Mietpreisbremse Vermieter nun dazu, das Gesetz einfach zu ignorieren?
„So läuft es in der Praxis leider immer schon“, sagt Fachanwalt Griebel. Für eine tolle Wohnung zahlten Mieter oft mehr, als die Mietpreisbremse zulässt. Kaum jemand überprüfe kurz nach Abschluss des Vertrags, ob die Miete seiner neuen Wohnung angemessen ist. Griebel warnt trotzdem: „Wenn ein Mieter streitbar ist, eine Rechtsschutzversicherung hat, gewinnt er einen solchen Rechtsstreit leicht.“ Und dann muss der Vermieter das zuviel verlangte Geld zurückzahlen. Kurzum, die Kappungsgrenzen stehen im Gesetz, das Gesetz ist nicht verfassungswidrig – und bis zu einer Klärung vor dem obersten Gericht kann es lange dauern.
Ein Rückschlag ist der Hinweis für Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Was erwidert die Linken-Politikerin, die seit einem Jahr für schärfere Regulierungen des Wohnungsmarktes kämpft?
„Wir folgen den Äußerungen des Landgerichts nicht. Das Urteil hat aus meiner Sicht aktuell keine Konsequenz, birgt aber Konfliktpotenzial für die Zukunft“, sagt Katrin Lompscher. Denn die Feststellung des Landgerichts könne Vermieter „auf Ideen bringen“ und zur Missachtung der unverändert geltenden Mietobergrenzen anstacheln. Dass das Landgericht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz argumentiere, nennt Lompscher „bedenklich“.
Denn damit attackiere es zugleich das Vergleichsmietensystem. Dieses sei aber fest verankert im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das System besagt, einfach ausgedrückt, dass die Durchschnittsmieten in einer Region den Spielraum für Mieterhöhungen in derselben festlegen. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, wenn das Landgerichts die Mieten in München und Berlin vergleiche, um die Mietpreisbremse zu attackieren.
Will Berlin alles belassen, wie es ist?
Nein. „Bei der Mietpreisbremse besteht tatsächlich Nachbesserungsbedarf, ungeachtet des Hinweises“, sagt Lompscher. Dazu habe das Land Berlin eine Bundesratsinitiative gestartet. Ziel sei die Abschaffung des Schutzes überhöhter Mieten im Bestand: Zurzeit dürfen Vermieter trotz Mietpreisbremse überhöhte Mieten fordern, wenn diese bereits vor Einführung des Gesetzes bezahlt wurden.
Diese Ausnahme begründete das Bundesjustizministerium mit dem „Rückwirkungsverbot“, wonach Gesetze nicht zuvor Zulässiges im Nachhinein für unrechtmäßig erklären dürfen. Außerdem will die Gesetzesinitiative, dass bei Neuvermietung einer Wohnung die dafür zuvor gezahlte Miete ungefragt offen gelegt wird. Bisher müssen Mieter den Vermieter dazu auffordern. Viele tun das nicht, aus Angst, das Verhältnis zu belasten.
Was sagen Experten über die Auswirkungen des Hinweises vom Landgericht?
„Über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen entscheidet nach unserem Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht. Die Mietpreisbremse gilt damit weiterhin“, sagt Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). So beurteilen das fast alle Experten, vom Landgericht bis zu Vermieter-Verbänden. Letztere sehen ihre Bedenken aber bestätigt und der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft fordert ein „Ende der Mietpreisbremse“, also deren Abschaffung.
Am Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt. Welche Konzepte haben die Parteien beim Thema Mietpreisbremse?
Sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen, wird die Mietpreisbremse bleiben, aber eher in ihrer bisherigen eher wirkungslosen Form. SPD-Spitzenkandidat Schulz bekräftigte nach dem Urteil zwar, er halte an seinen Plänen fest und wolle das Gesetz verschärfen. Mit diesem Vorhaben scheiterte aber schon der jetzige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD): Einen entsprechenden Entwurf soll Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) kassiert haben.
Ob sich Schulz gegen Merkel durchsetzt, die die Mietpreisbremse ablehnt, hängt vom Abschneiden der SPD bei der Wahl ab: Zurzeit sieht es nicht gut aus. In einer Jamaika-Koalition wird die Mietpreisbremse keine große Zukunft haben. Grünen-Politikerin Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, nennt die Einlassungen des Landgerichtes „obskur“. Sie will die Mietpreisbremse verschärfen. Dagegen fordert die FDP deren Abschaffung und darf dabei mit der Unterstützung der CDU rechnen.