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Verschwörungstheoretiker bei einem Protest in Austin, Texas
© REUTERS/Nuri Vallbona
Update

Trump nennt Demonstranten „großartige Menschen“: Das steckt hinter den US-Protesten gegen Corona-Auflagen

In mehreren amerikanischen Bundesstaaten demonstrieren Menschen gegen die Corona-Auflagen – befeuert vom US-Präsidenten und Verschwörungstheoretikern.

Manche tragen rote Trump-Kappen und -T-Shirts, viele halten amerikanische Flaggen, andere „Freiheit statt Angst“- und „Ich muss arbeiten!“-Schilder oder Kopien der Verfassung hoch. Dutzende Pickup-Trucks umkreisen immer wieder das State Capitol im Küstenstädtchen Annapolis, dem Landesparlament von Maryland. Sie hupen und brüllen sich ihre Wut aus dem Leib.

Im texanischen Austin rufen eng beieinander stehende Demonstranten „Schmeiß Fauci raus!“, was sich auf Anthony Fauci bezieht, den Top-Virologen in der Coronavirus-Taskforce von US-Präsident Donald Trump. In Concord, der Hauptstadt des Bundesstaats New Hampshire, versammeln sich rund 400 Demonstranten, darunter Bewaffnete in paramilitärischen Uniformen und mit vermummten Gesichtern, vor dem Kapitol.

Die Fernsehbilder zeigen ein Land in Aufruhr, oder zumindest Teile davon.

Menschen in New Jersey, Texas, Maryland, aber auch in Indiana, Nevada, Wisconsin, Kentucky, in Kalifornien, Michigan und Ohio begehrten in den vergangenen Tagen gegen die strengen Ausgangsbeschränkungen auf, die in mehr als 90 Prozent aller Bundesstaaten verhängt wurden. Mit diesen soll die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt und den überlasteten Krankenhäusern mehr Zeit gegeben werden, mit der Krise fertig zu werden.

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Die Demonstranten empfinden dies zunehmend als Tyrannei und Einschränkung ihrer Freiheitsrechte, sie sprechen von einer Überreaktion und fürchten um ihre Jobs – letzteres ist angesichts von 22 Millionen Arbeitslosen in nur vier Wochen und vielen Geschäften, deren Existenz bedroht ist, durchaus nachvollziehbar.

"Infowars"-Gründer Alex Jones war bei den Protesten in Austin

Andererseits ist der Protest häufig nicht nur spontaner Volkszorn, sondern aus rechten Kreisen befeuert und in Teilen finanziert. So wurden die Demonstrationen in Austin von der für Verschwörungstheorien bekannten Internetseite „Infowars“ organisiert.

Deren Gründer Alex Jones, der auch bei den Protesten gesehen wurde, nennt das Virus wahlweise einen „Hoax“, eine Erfindung der Medien, oder einen von Chinas Kommunistischer Partei durchgeführten Angriff mit Biowaffen.

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Jones nutzte seine Seite beispielsweise auch dafür, zu behaupten, dass der Amoklauf an der Grundschule Sandy Hook im Jahr 2012 ein „Hoax“ war oder von der Regierung inszeniert wurde, um den Amerikanern ihre Waffen wegzunehmen.

Organisiert von der rechten Internetseite „Infowars“ demonstrieren am Samstag Hunderte im texanischen Austin gegen die Ausgangsbeschränkungen.
Organisiert von der rechten Internetseite „Infowars“ demonstrieren am Samstag Hunderte im texanischen Austin gegen die Ausgangsbeschränkungen.
© Nuri Vallbona/REUTERS

Empörung löste auch der umstrittene Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Stephen Moore aus, der die Demonstranten mit einer amerikanischen Bürgerrechtsikone verglich. „Ich nenne diese Menschen die Rosa Parks’ unserer Zeit – sie stehen gegen Ungerechtigkeit und den Verlust ihrer Freiheitsrechte auf“, sagte Moore der „Washington Post“ vor wenigen Tagen.

"Befreit Virginia!", twittert der Präsident

Ein absurder Vergleich: Rosa Parks weigerte sich in Zeiten der Rassentrennung in einem Bus in Montgomery (Alabama), ihren Platz für einen weißen Mann freizugeben und wurde daraufhin festgenommen.

Die Demonstranten können sich aber auch von alleroberster Stelle legitimiert fühlen. So hatte Präsident Trump am Freitag auf Twitter sie sogar dazu aufgerufen. „Befreit Minnesota!“ und „Befreit Michigan!“, twitterte er, und: „Befreit Virginia, und rettet euren großartigen zweiten Verfassungszusatz. Er ist bedroht!“ Der zweite Zusatz zur US-Verfassung garantiert das Recht auf Waffentragen.

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In allen drei von Trump genannten Bundesstaaten hatte es da bereits Demonstrationen gegeben – und in allen drei Staaten haben die Demokraten die Mehrheit.

US-Präsident Donald Trump verteidigte die Proteste. „Das sind großartige Menschen“, sagte Trump am Sonntagabend (Ortszeit) bei seiner täglichen Pressekonferenz im Weißen Haus mit Blick auf die Demonstranten. „Sie haben Lagerkoller.“ Diese Menschen wollten „ihr Leben zurück“. Er fügte lobend hinzu: „Ich habe noch nie so viele amerikanische Flaggen bei Protesten gesehen.“

Das Thema Waffenrecht mobilisiert Trumps Basis

Schon am Samstag erklärte Trump bei seinem täglichen Corona-Briefing, manche Staaten würden bei den Vorsichtsmaßnahmen übertreiben. „Ich glaube wirklich, dass sie unvernünftig sind“, sagte er mit Blick auf die demokratischen Gouverneure von Michigan und Virginia, Gretchen Whitmer und Ralph Northam. „Es gibt viel Protest da draußen. Manche Gouverneure haben sich meiner Ansicht nach mitreißen lassen.“

Dabei hatte Whitmer nichts anderes getan, als den von Trumps eigener Regierung herausgegebenen Richtlinien zu Geschäftsschließungen und „Social Distancing“ zu folgen. Und Northam hatte vor mehr als einer Woche ein schärferes Waffengesetz unterzeichnet, das nichts mit dem Coronavirus zu tun hat.  

Aber das Waffenrecht ist eines der Themen, mit denen sich die republikanische Basis mobilisieren lässt. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, mit Blick auf die Wahl im November Stimmung zu machen.

Zwei Drittel der Amerikaner fürchten eine zu frühe Lockerung der Maßnahmen

Allerdings sind die Demonstranten zwar laut und werden auf allen Sendern gezeigt. Aber sie sind offenbar nicht in der Mehrheit. Einer Studie des Washingtoner Pew-Instituts zufolge sind 66 Prozent der Amerikaner in Sorge, dass die Beschränkungen zu früh wieder aufgehoben werden. Nur 32 Prozent sagen, dies geschehe nicht schnell genug.

Die USA sind das Land mit der höchsten Zahl nachgewiesener Corona-Infektionen und Todesfälle weltweit: Die Zahl der Infizierten stieg am Samstag auf 734.000, mehr als 38.800 Menschen starben. Präsident Trump hat am Donnerstag neue Richtlinien erlassen, nach denen die Gouverneure selbst entscheiden können, wann sie Schutzauflagen lockern.

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