Brexit und Europawahl: Das Schicksalsjahr für die EU
2019 wird das Schicksal der EU in erster Linie in den Händen der Nationalstaaten liegen. Die Gestaltung der Union gleicht einem Abwehrkampf. Ein Kommentar.
Wie wird die EU am Ende des Jahres 2019 aussehen? Eine mögliche Antwort könnte angesichts des nahenden EU-Austritts Großbritanniens so lauten: Die EU wird kleiner und damit auch ein Stück machtloser. Aber weil niemand mit Sicherheit voraussagen kann, wann der EU-Austritt kommt und ob er überhaupt kommt, steht auch hinter dem Brexit inzwischen ein Fragezeichen. Es ist nur eine von vielen Ungewissheiten im kommenden Europa-Jahr.
Die zweitwichtigste Frage, die sich nach dem Brexit stellt, wird sich indes am 26. Mai eindeutig beantworten lassen. Am Abend nach der Europawahl wird feststehen, ob der Vormarsch der Populisten weitergeht oder zumindest gestoppt ist. Die Europawahl wird allenthalben als Schicksalswahl bezeichnet, weil sich hier zeigen wird, ob der Trend der Erosion der Volksparteien in der Mitte anhält. Dass Rechtsextreme wie die italienische Lega oder die französische Partei „Rassemblement National“ im Europaparlament eine Gestaltungsmehrheit erhalten werden, ist zwar nicht zu erwarten. Aber es wäre keine Überraschung, wenn die Populisten von links und rechts in Straßburg weitere Zugewinne verbuchen und damit stabile Mehrheiten erschweren würden.
Dabei hängen der Brexit und das Erstarken der Populisten auf dem Kontinent zusammen. So wie die Brexiteers in Großbritannien die EU komplett ablehnen, so stellen auch Marine Le Pen in Frankreich oder Jaroslaw Kaczynski in Polen „Brüssel“ in unterschiedlicher Ausprägung infrage. Die Austrittsentscheidung der Briten findet zwar keine Nachahmer, sie liegt aber im Trend einer gewachsenen EU-Skepsis. Spätestens seit in Italien die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung ein Bündnis eingegangen sind, gleicht die Gestaltung der EU einem Abwehrkampf.
Wichtiger als die Personaldebatte ist die inhaltliche Kursbestimmung
Die schwierige Ausgangslage der EU am Anfang dieses Jahres sollte andererseits aber auch keine Zerfallsszenarien befeuern. Wenn man die Situation nüchtern betrachtet, wird man eher zur Prognose kommen: 2019 wird die Gestaltung der EU – und die kann durchaus positiv sein – in erster Linie in den Händen der Nationalstaaten liegen. Zugegeben: Die EU wird sich in den kommenden zwölf Monaten nicht neu erfinden können, geschweige denn über Nacht zur Militärmacht werden, so notwendig dies angesichts der Politik von Donald Trump auch wäre. Aber es ist etwa Deutschland unbenommen, den Verteidigungsetat dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato schneller anzunähern als bisher.
Die Hauptstädte werden in diesem Jahr die EU-Politik voraussichtlich entscheidend prägen, weil der Brüsseler Betrieb überwiegend mit sich selbst beschäftigt sein wird. Vor der Europawahl ruht die europäische Gesetzgebung, und nach der Wahl wird es um Posten gehen. Als Favorit für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gilt der CSU-Mann Manfred Weber.
Wichtiger als eine Personaldebatte wird für die EU aber die inhaltliche Kursbestimmung sein. Das gilt nicht zuletzt für Angela Merkel. Wie stellt sich die Kanzlerin im Detail den Aufbau einer EU-Armee vor? Wie ausgeprägt ist ihr Wille, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei dessen Projekt einer EU-Digitalsteuer zu unterstützen? Ob Merkel nach dem verlorenen Europa-Jahr 2018 tatsächlich noch konkrete Impulse setzen kann – die kommenden Monate werden es zeigen.