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Der Franzose Michel Barnier gilt als Favorit für die Juncker-Nachfolge.
© Francois Lenoir/Reuters

Junckers Nachfolge: Das Rennen ist eröffnet

Europas Parteien gehen bei der Europawahl 2019 von einer Wiederholung der Spitzenkandidaten-Prozedur von 2014 aus - doch das Sondierungspapier von Union und SPD geht darauf nicht ein.

Es ist fast fünf Jahre her, dass Martin Schulz ein Buch mit dem Titel „Der gefesselte Riese“ veröffentlichte. Darin forderte der damalige Chef des Europaparlaments mehr Transparenz für den Brüsseler Betrieb und machte nebenbei auch Werbung in eigener Sache. Schon damals liebäugelte Schulz mit einer Spitzenkandidatur bei der Europawahl im folgenden Jahr. Schulz wollte EU-Kommissionspräsident werden, musste sich am Ende aber bei der Europawahl dem Luxemburger Jean-Claude Juncker geschlagen geben. Es war das erste Mal, dass über eine Spitzenkandidatur bei der Europawahl darüber entschieden wurde, wer Kommissionschef wird. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte dem neuen Verfahren nur widerwillig zu.

Im Sondierungspapier taucht die Spitzenkandidaten-Prozedur nicht auf

Wer diese Vorgeschichte kennt, dem fällt auf, was in dem dreiseitigen Europa-Kapitel des Sondierungspapiers von Union und SPD vom vergangenen Freitag fehlt: Ein Bekenntnis zur Spitzenkandidaten-Prozedur, die bei der letzten Europawahl im Hauruck-Verfahren vom EU-Parlament durchgesetzt wurde. Auch vor der Europawahl im kommenden Jahr will die europäische Parteienfamilie der Sozialdemokraten wieder einen Kandidaten oder eine Kandidatin für einen europaweiten Wahlkampf um die Nachfolge des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker auf den Schild heben. Bei den Konservativen von der Europäischen Volkspartei (EVP) ist das Spitzenkandidaten-Verfahren sogar in den Parteistatuten niedergelegt. Das ändert aber nichts daran, dass die Staats- und Regierungschefs theoretisch auch wieder zur alten Prozedur zurückkehren und erst nach der Europawahl eigenständig darüber entscheiden könnten, wer Junckers Nachfolge antritt, der im kommenden Jahr aufhören will.

Die Frage des Verfahrens ist insofern von Belang, als in den europäischen Parteienfamilien bereits in diesem Jahr entscheidende personelle Weichenstellungen mit Blick auf die Europawahl erwartet werden. So wollen Europas Konservative im November in Helsinki darüber entscheiden, wer Junckers Nachfolge antreten soll. Als Favorit gilt der Franzose Michel Barnier, der als Chefunterhändler der EU mit London über den Brexit verhandelt. Bereits bei der letzten Europawahl wäre der 67-jährige Franzose gerne als Spitzenkandidat für die Konservativen angetreten, unterlag aber Juncker bei einer parteiinternen Abstimmung. Falls sich Barnier diesmal innerhalb der EVP durchsetzen kann, dürfte er wohl beste Chancen auf die Juncker-Nachfolge haben. Aus der letzten Europawahl ging die EVP als Sieger hervor, und darauf könnte es auch im kommenden Jahr wieder hinauslaufen.

Macron signalisierte Unterstützung für die Dänin Vestager

Allerdings ist zumindest in Frankreich die Parteienlandschaft seit dem Wahlsieg des Präsidenten Emmanuel Macron stark in Bewegung geraten. Sozialisten und Konservative sind im Nachbarland stark dezimiert. Macron selbst hat bereits durchblicken lassen, dass er sich die liberale Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager aus Dänemark gut für die Juncker-Nachfolge vorstellen kann.

EU-Außenbeauftragte Mogherini gilt bei Sozialdemokraten als Favoritin

Bei Europas Sozialdemokraten wird indes nicht erwartet, dass wieder ein Spitzenkandidat aus Deutschland den Hut in den Ring wirft, wie es 2014 der heutige SPD-Chef Schulz tat. Als chancenreich gilt im Lager der europäischen Sozialdemokraten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Auch Junckers Vize in der Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, wird als möglicher Kandidat genannt. Allerdings lassen die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten europaweit zu wünschen übrig. Damit sie bei der Juncker-Nachfolge zugreifen können, müsste sich an diesem Trend schon gewaltig etwas ändern.

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