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Vor der Bundestagsdebatte über vorgeburtliche Gen-Tests demonstrierten Gegner in Berlin.
© imago images / epd

Bundestag debattiert über vorgeburtliche Tests: Das Recht auf Wissen – und auf Nichtwissen

Der Bundestag diskutiert, ob vorgeburtliche Bluttests auf Trisomie von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Abgeordnete fürchten mehr Druck auf Eltern.

Als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ihr das Mikro abstellt, ist die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer noch nicht fertig. Doch die letzten Sätze ihrer Rede sind nicht mehr zu hören. Der Bundestag debattiert an diesem Donnerstagmorgen über die Frage, ob vorgeburtliche genetische Bluttests von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Mit diesen Tests können Abweichungen im Erbgut des Kindes nachgewiesen werden, darunter Trisomie 21, das so genannte Down-Syndrom. Der Bundestag hat zu dem Thema eine „Orientierungsdebatte“ angesetzt, eine Entscheidung müssen die Abgeordneten nicht treffen.

Das Für und Wider der pränatalen Tests könne „offen über Fraktionsgrenzen hinweg“ diskutiert werden, sagt Schäuble. Möglichst viele Abgeordnete – insgesamt sind es 38 – sollen in den zwei Stunden zu Wort kommen, deshalb hat jeder nur drei Minuten Zeit. Doch für die ethischen Grundfragen, die von diesem Thema berührt werden, ist das viel zu wenig.

Corinna Rüffer, die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen, hätte wohl mehr Zeit gebraucht. Viele Abgeordnete wissen, dass sie zu diesem Thema einen sehr persönlichen Bezug hat, auch wenn sie das an diesem Tag mit keinem Wort anspricht: Rüffer hat selbst ein Kind mit Down-Syndrom.

Vor ihr haben mehrere andere Abgeordnete dafür plädiert, dass der Bluttest zumindest für Risikoschwangere von der Krankenkasse bezahlt wird, weil die Fruchtwasseruntersuchung für das ungeborene Kind gefährlich sein kann. Die Kosten dieser Untersuchung werden allerdings unter bestimmten Voraussetzungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Es wäre weder rational noch ethisch und medizinisch vertretbar, wenn die Regeln für den Bluttest strenger gestaltet würden als für riskantere Untersuchungen, argumentiert die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke (CDU). Andere Abgeordnete betonen, die Frage, ob eine Frau den Bluttest machen kann, dürfe nicht von ihren finanziellen Möglichkeiten abhängen.

Doch die Grünen-Politikerin Rüffer warnt davor, das Thema allein auf eine soziale Frage zu begrenzen. „Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die wir gerade noch steuern können.“ Andere Tests seien bereits kurz vor der Zulassung. Den Trisomie-Test lehnt sie ab: „Der Test dient nicht dazu, Menschen zu heilen, weil das Down-Syndrom keine Krankheit ist.“ Letztlich diene er der „Selektion“. Die Abgeordnete kritisiert auch, dass die Debatte über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt würde, und spricht mehrere Menschen mit Down-Syndrom namentlich an. Auf den Besuchertribünen verfolgen derweil Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom und ihre Eltern die Debatte. Einige von ihnen tragen weiße Westen mit der Aufschrift: „Von wegen down!“

Es müsse ein „Recht auf Nichtwissen“ geben

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt, auch sie Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom, spricht sich dafür aus, dem vorgeburtlichen Wissen Grenzen zu setzen: Es müsse auch ein „Recht auf Nichtwissen“ geben. Andere bringen die Befürchtung zum Ausdruck, dass durch einen von den Kassen bezahlten pränatalen Bluttest der Druck auf die Eltern steigen könnte, diesen auch in Anspruch zu nehmen.

Als jedoch Katrin Helling-Plahr ans Rednerpult tritt, ändert sich noch einmal die Perspektive auf dieses schwierige Thema. Denn die FDP-Abgeordnete ist schwanger und berichtet in einer sehr persönlichen Rede, warum sie den Bluttest gemacht hat. In der ersten Schwangerschaft hat es Komplikationen gegeben, außerdem litt sie an einer Vorerkrankung. „Vielleicht können Sie nachvollziehen, dass ich in der Schwangerschaft große Ängste hatte, mir Sorgen um mein Kind gemacht habe.“ Der Test ergab keinerlei Auffälligkeiten. Er gebe den Eltern Sicherheit, sagt Helling-Plahr. Sie plädiert dafür, vorgeburtliche Bluttests bei Risikoschwangeren als Kassenleistung zuzulassen – wie eine Mehrheit der Redner aus allen Fraktionen. Es ist eine nachdenkliche Debatte, in der nur einmal Unruhe aufkommt, als der AfD-Abgeordnete Axel Gehrke Grünen und SPD vorwirft, sie suggerierten, Frauen könnten „sorglos bis zum neunten Monat abtreiben“.

Mit schwierigen ethischen Fragen befasst sich René Röspel seit Jahren. „Selten war ich bei einer Frage innerlich so zerrissen“, sagt der SPD-Abgeordnete in der Debatte. Zwar schütze der Test den Fötus vor einer invasiven Untersuchung. Doch wenn die Bluttests Kassenleistung würden, wenn sie zur Regel würden, „werden mehr Menschen mit Down-Syndrom abgetrieben“. Wie andere Redner mahnt Röspel mehr Inklusion an: „Jeder Mensch mit Behinderung ist einer von uns und ist willkommen.“

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