Terror in Istanbul: Das Problem heißt Syrien
Dass die Terrororganisation IS so stark werden konnte, liegt auch am europäischen Versagen. Jetzt wird der Krieg in Syrien auch für die EU immer gefährlicher. Ein Kommentar.
Das Brandenburger Tor leuchtete an diesem Mittwochabend im Rot der türkischen Flagge – ein wichtiges Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen in der Türkei, mit den Opfern des Angriffs auf den Flughafen von Istanbul. Und ein Überfälliges. Allein in Istanbul und Ankara sind in den vergangenen Monaten bei Anschlägen weit mehr als 200 Menschen getötet worden, durch IS- oder durch kurdische Terroristen.
Dass der Terror die Türkei im Griff hat, liegt auch an der Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Lange hat er den IS nicht bekämpft, als gefälliges Mittel, seinen Gegner Baschar al Assad zu schwächen. Über die Jahre haben sich so in der Türkei viele IS-Terrorzellen festgesetzt, die Transitroute von IS-Kämpfern von und nach Europa läuft über die Türkei. Ankaras Krieg gegen die Kurden im Südosten des Landes wiederum sichert nun den kurdischen Terroristen Zulauf.
Klar aber ist auch: Der Terror erschüttert ebenso Europa. Daran wird sich nichts ändern, so lange in Syrien Krieg herrscht und die Terroristen des IS dort ihre Basis und Rückzugsorte haben. Dass sich der Krieg nun schon so lange hinzieht, liegt wiederum zu einem großen Teil an den Europäern selbst, die seit fünf Jahren keinen gemeinsamen Ansatz für Syrien (aber auch für den Jemen oder Libyen) finden können.
Dabei verschärfen sich die Folgen dieses Nicht-Handelns stetig. Und zu den Folgen zählt nicht nur der Terror. Immer mehr Menschen fliehen aus Syrien, sie können auf unbestimmte Zeit nicht in ihre Heimat zurück. Die europäischen Populisten wiederum, die nur zu gerne auf Ängste vor „Islamisierung“ und „Überfremdung“ aufspringen, feiern ihre Wahlerfolge. Wohin das führen kann, hat gerade Ukip-Chef Nigel Farage vorgemacht: Die Angst vor „Immigration“, illustriert mit einem Treck von Flüchtenden, war eines der symbolträchtigsten Wahlplakate des Brexit-Lagers.
Europa zerbricht nicht an Syrien, aber sein Versagen bei dieser Katastrophe direkt vor der Haustür ist eklatant. Wenn weder Frankreich noch Großbritannien oder Deutschland vor dem 23. Juni fähig waren, ein gemeinsames Syrien-Konzept der EU auf die Beine zu stellen – wie soll das jetzt möglich sein?
Jetzt ist Europa erst recht völlig mit sich selbst beschäftigt
Die EU ist jetzt völlig mit sich selbst beschäftigt, bis sich die Brexit-Frage geklärt hat. Derweil weiter auf eine politische Lösung in Syrien zu setzen, wird immer mehr zum Wunschtraum. Der syrische Friedensdialog in Genf ist nicht falsch, nur leider nicht erfolgreich. Erst an diesem Mittwoch haben wieder mehrere syrische Vertreter gegenüber UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ihren Austritt wegen Ergebnislosigkeit angekündigt: Nicht einmal der Schutz der syrischen Zivilbevölkerung werde durch die Gespräche annähernd gesichert.
Wichtig ist deshalb, dass Großbritannien und Frankreich, die zusammen mit den USA in und um Syrien mit Truppen gegen den IS vorgehen, dies weiter tun. Deutschland wiederum sollte einerseits die Türkei stützen, andererseits aber auch klar machen, dass Ankaras Politik gegenüber der kurdischen Bevölkerung falsch ist. Denn beim militärischen Kampf vor Ort gegen den IS sind die Kurden in Syrien die einzigen akzeptablen Verbündeten vor Ort.
Wenn jetzt der Opfer von Istanbul ebenso gedacht wird wie derjenigen von Paris und Brüssel, ist das ein gutes Zeichen. Aus Respekt den Menschen gegenüber. Und weil es zeigt, dass die aufgeklärten Staaten über Europa hinaus verstehen, welche große, gemeinsame Aufgabe sich ihnen stellt.