Proteste in Rumänien: Das peinliche Schweigen des Martin Schulz
In Rumänien erteilt der sozialdemokratische Ministerpräsident die Lizenz zur Korruption. Anstatt die europäischen Werte zu verteidigen, hält sich sein Parteigenosse Martin Schulz lieber bedeckt.
Die rumänischen Bürger haben es der Welt vorgemacht: Mit Mut und Hartnäckigkeit kann man jenen politischen Kräften erfolgreich entgegentreten, die sich derzeit vielerorts an der Demokratie vergehen. Die täglichen Proteste hunderttausender Menschen haben die Aufweichung des Anti-Korruptionsgesetz durch die Regierung zu Fall gebracht. Während man die Lobeshymne auf die rumänischen Bürger nicht laut genug singen kann, muss man Teilen des europäischen Parteien für ihre Schweigsamkeit ein Armutszeugnis ausstellen.
In Rumänien regiert eine sozial-liberale Koalition. Das Dekret, das Amtsmissbrauch erst ab einer Schadenssumme von 44.000 Euro strafrechtlich relevant macht, wurde von dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Sorin Grindeanu unterschrieben. Ein Sozialdemokrat erteilt die Lizenz zur Korruption. Martin Schulz, der sich über mangelnde öffentliche Äußerungsmöglichkeiten derzeit nicht beklagen kann, schwieg über seinen rumänischen Parteigenossen. Wenn Schulz seine Wahlkampfparolen für mehr Gerechtigkeit ernst meint, darf er Kritik an den kleptokratischen Züge der rumänischen Sozialdemokraten nicht scheuen. Sowieso herrschte Schweigen im sozialdemokratischen Walde. Kein Wort von der Europäischen Sozialdemokratischen Partei, der 32 nationale Parteien wie die SPD und die rumänische PSD angehören. Das gleiche Trauerspiel auf Seiten der Liberalen: Bei einer kurzfristig angesetzten Debatte zu den Protesten in Rumänien im EU-Parlament blieb sogar der liberale Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt, der sich ansonsten regelmäßig für Europa und seine Werte rhetorisch zerreißt, völlig stumm. Stattdessen ließ Verhofstadt eine Vertreterin der rumänischen Liberalen das skandalöse Dekret verteidigen und die Kritiker denunzieren. Die Sozialdemokraten ließen gar EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, ebenfalls Sozialdemokrat, auflaufen als sie seinen Vorschlag für eine Erkundungsmission nach Rumänien für unnötig erklärten. Neben Grünen und Linken, kritisierten immerhin auch die Konservativen die rumänische Regierung. Leider ist deren Kritik wenig glaubwürdig, schalten sie doch regelmäßig gleichermaßen auf stumm, wenn konservative Regierungen wie die von Viktor Orban in Ungarn die Rechtsstaatlichkeit untergraben.
Die Selbstgerechtigkeit der europäischen Sozialdemokraten und Liberalen
Klare Worte kamen stattdessen aus der EU-Kommission: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Vize Timmermans sprachen dem rumänischen Ministerpräsidenten Grindeanu eine deutlich Warnung aus. Das Dekret könne dazu führen, dass ein in diesem Jahr auslaufender Überwachungsmechanismus für das zweitjüngste EU-Mitglied, verlängert wird, hieß es von der Kommissionsspitze. Timmermans warnte zudem, dass das Dekret die Auszahlung von EU-Geldern an Rumänien gefährden könnte. Doch der Vizepräsident schaltete nur Tage zuvor gegen Korruption selbst einige Gänge runter. Als die Proteste in Bukarest oder anderswo schon auf Hochtouren liefen, erklärte Timmermans eine Vergleichsstudie zur Korruptionsbekämpfung in Europa für unnötig. Welch eine Ohrfeige für die Menschen, die gegen Korruption auf die Straße gehen! Sorgfältige Analysen sind zwingend notwendig, um gegen Korruption in einzelnen EU-Mitgliedstaaten vorzugehen. Timmermans weiß um den Druck, der von Rankings ausgehen kann. Schließlich präsentiert er derartige Daten genüsslich, wenn sie seiner EU-Kommission gute Arbeit nachweisen.
Am Umgang mit Korruption und Amtsmissbrauch wird sich in Europa mitentscheiden, ob wir die frappierende Vertrauenskrise in etablierte Parteien und Institutionen überwinden können. In Zeiten grundlegender Zweifel der Bürger an der Politik können wir uns die Selbstgerechtigkeit, die europäische Sozialdemokraten und Liberalen mit Blick auf Rumänien an den Tag legten, nicht leisten. Europäische Parteienfamilien haben sich auf Basis gemeinsamer Werte und Ziele gegründet. Wenn ein Mitglied diese Werte mit Füßen tritt, darf der Rest der Familie nicht schweigen. Im Gegenteil: Die Familie ist genau in einem solchen Fall in der Verantwortung! Das gilt für alle europäischen Parteien.
Wer gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt, muss bestraft werden
Doch was können europäische Parteien tun? Die Parteivorsitzenden der Mutterparteien können ihren nationalen Mitgliedsparteien nicht direkt hineinregieren. Klare Brüche demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien müssen aber eine rote Linie darstellen. Sie dürfen nicht beschwiegen werden. Ein Hilfsmittel für solche Fälle könnte daher sein, eigene Standards für die Mitgliedsparteien zu entwickeln. Europäische Parteien können ihre Mitglieder zu nichts zwingen, müssen aber keine Mitgliedspartei auf ewig tolerieren. Weil der Ausschluss eines Mitglieds immer den Verlust von Fraktionsmitgliedern und politischem Gewicht in nationalen wie im Europäischen Parlament bedeutet, hilft es die Kriterien schon vor konkreten Einzelfällen transparent festzulegen. Je unabhängiger sie überwacht werden, desto unumgänglicher werden harte politische Konsequenzen. Deutsche Parteien haben vom Parteivorstand unabhängige Schiedsgerichte. Unabhängige und handlungsfähige Instanzen brauchen auch die europäischen Parteien. Nur harte Sanktionsmöglichkeiten würden den Menschen helfen, die mutig zur Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaats auf die Straße gehen. Ein Mitgliedsland der Europäischen Union darf sich nicht an der Demokratie vergehen. Eine Mitgliedspartei einer europäischen demokratischen Partei sollte dies genauso wenig tun dürfen. Die Europäischen Parteienverbände müssen ihren Teil der Verantwortung dafür wahrnehmen.
Auch der beim Thema Rumänien so engagierte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans kann seinen Teil zur Rückgewinnung von Vertrauen in die Politik beitragen. Schließlich ist die EU-Kommission eine der Hauptzielscheiben der populistischen Establishment-Gegner. Für 2014 hat die Europäische Kommission einen Antikorruptionsbericht vorgelegt, für 2016 sollte sie dies ebenso tun. Dabei sollte die EU-Kommission nicht nur die Mitgliedsländer untersuchen, sondern auch die Europäischen Institutionen unter die Lupe nehmen. Zudem darf der Bericht nicht einfach in der Schublade verschwinden, sondern die EU-Kommission muss daraus politische Konsequenzen ziehen.
Sven Giegold ist Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament. 2014 kandidierte er wie Martin Schulz für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten.
Sven Giegold