NSU-Morde: Das Netzwerk des braunen Terrors
Die drei Neonazis der NSU mordeten mehr als ein Jahrzehnt unbehelligt. 30 Personen, so schätzen Experten, hatten Kontakt zur Zelle. Behörden fürchten nun potenzielle Nachahmer.
Der braune Terrorfeldzug, ausgedehnt auf fast 14 Jahre, erscheint immer noch unfassbar. Auch fast vier Monate nach dem schaurigen Finale der Bande „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ fällt es schwer zu begreifen, wie es möglich war, dass die drei Rechtsextremen unbehelligt und so lange töten, sprengen und rauben konnten. Zehn Menschen hat die Terrorgruppe ermordet, zwei Anschläge verübt und mindestens 14 Geldinstitute überfallen. „Es ist völlig irre, was da passiert ist“, sagt ein Sicherheitsexperte, „und niemand konnte das stoppen.“ Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und die Polizeien mehrerer Länder kommen allerdings bei den umfangreichen Ermittlungen voran.
Möglicherweise kann Generalbundesanwalt Harald Range schon im Herbst die erste Anklage erheben. Sie würde sich vermutlich gegen Beate Zschäpe richten, die einzige Überlebende des NSU. Die toten Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fand die Polizei am 4. November im thüringischen Eisenach in einem brennenden Wohnmobil. Außer Zschäpe haben Bundesanwaltschaft und Polizei zwölf weitere Beschuldigte im Visier. Davon sitzen sechs Personen in Untersuchungshaft: Neben Zschäpe sind das fünf mutmaßliche Unterstützer, die der rechten Szene angehörten oder noch immer zu ihr zählen. Außerdem haben die Schweizer Behörden im Februar einen Mann festgenommen, der möglicherweise die Ceska-Pistole illegal weitergab, die Mundlos und Böhnhardt bei den Morden an den neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft eingesetzt haben.
20 Schusswaffen hat die Polizei bei den drei Neonazis entdeckt. Acht, darunter eine Maschinenpistole sowie die Dienstwaffe der 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter, fanden sich in dem Wohnmobil. Zwölf weitere lagen im sächsischen Zwickau in der Ruine des Hauses, in dem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gewohnt hatten. Nach dem Tod der Männer hatte Zschäpe, die über das Internet vom Showdown in Eisenach erfahren hatte, noch am 4. November 2011 die Wohnräume angezündet. Die Ermittler sind sicher, dass sie Spuren beseitigen wollte. Das ist Zschäpe kaum gelungen, auch der Brand des Wohnmobils hat die Ermittlungen nicht gravierend gehemmt. Die Polizei konnte an beiden Tatorten insgesamt 5000 Asservate sicherstellen, ein Drittel ist bislang ausgewertet.
Bei sieben Waffen haben die Ermittler die Herkunft festgestellt. Aus ermittlungstaktischen Gründen nennen die Experten nur sparsam Details. Wie groß das Spektrum der Waffenbeschaffer und sonstigen Unterstützer war, ist unklar. Fachleute schätzen, bis zu 30 Personen, meist aus der rechten Szene, hätten direkt oder indirekt mit der Terrorzelle zu tun gehabt. Die meisten der zehn Morde hat die Gruppe offenbar alleine vorbereitet. Mundlos und Böhnhardt, vielleicht in einigen Fällen auch Zschäpe, sollen intensiv Tatorte und Opfer ausgespäht haben. Hilfe bei den fünf Morden in Bayern bekamen die drei möglicherweise aus dem Milieu der Neonazi-Kameradschaft „Fränkische Aktionsfront“, die im Jahr 2004 vom damaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) verboten wurde.
Sorge bereiten den Sicherheitsbehörden potenzielle Nachahmer des NSU. Im Umfeld der „Kameradschaft Aachener Land“ wurden die Terroristen gefeiert – als Vorbilder für den bewaffneten Kampf.
Frank Jansen