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Bundesinnenminister Horst Seehofer steht stellvertretend für das inhaltsleere Querulantentum der CSU.
© Ralph Orlowski/REUTERS

Wahlkampf in Bayern: Das Markenprofil der CSU ist kaputt

Warum die CSU bei der Landtagswahl viel verlieren wird. Die Zeitenwende des Parteienstaates erreicht nun auch Bayern. Ein Gastbeitrag.

Die konfliktorientierte Wortschöpfung Horst Seehofers von der Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ wirkt eher wie eine Bewerbung um den Titel „Vater des Querulantentums“. Missvergnügen bestimmt die Szene. Gespannt blickt man in diesen Wochen auf Bayern. Ein Wahl-Drama zeichnet sich ab. Bei den Landtagswahlen in Bayern im Oktober 2018 wird die CSU ihre absolute Mehrheit verlieren. Ein buntes Spektrum kleinerer Parteien wird in das Parlament einziehen. Es ist mehr als die übliche Abfolge der diversen Arten von Machtspielen, die wir kennen in Europa, in Deutschland, in Bayern. Es ist die Vollendung der Zeitenwende des Parteienstaates – nun auch in Bayern. Was steckt an historischer Bedeutsamkeit dahinter?

Der Parteienstaat in Deutschland war seit Gründung der Bundesrepublik 1949 von außergewöhnlicher Stabilität geprägt. Zwei große Volksparteien (CDU/CSU und SPD) dominierten. Eine kleine Partei (FDP) wirkte bei der Frage nach der Regierungsbildung oft mit. Die Veränderung der Koalitionsarithmetik bedeutete Regierungswechsel. Eine drastische Mehrheit von Stammwählern prägte die Wählerlandschaft. Es dauerte fast fünfzig Jahre – nämlich bis 1998 – bis erstmals das Wahlergebnis einen Regierungswechsel erzwang. Erst dann, in den Jahren danach schrumpfte diese alte, von Stammwählern geprägte Gewissheit. Die Volksparteien verloren spürbar an Anhängern. Eine Debatte begann, ob CDU/CSU und insbesondere die SPD noch die Kriterien einer Volkspartei erfüllten. Neben der kleinen liberalen Partei FDP hatten sich weitere Parteien erfolgreich auf den Weg ins Parlament gemacht – die Grünen, die Linke, und zuletzt die AfD.

Nur in Bayern schien der klassische Parteienstaat weiterzuexistieren. Abgesehen von kurzen Ausnahmen besaß die CSU die absolute Mehrheit. Unter Edmund Stoiber gelang es ihr sogar, eine Zweidrittel-Mehrheit zu erzielen. Die Stammwähler waren über Jahrzehnte der Katholik, der ländliche Bürger, der stolze, zufriedene Bayer, der bodenständige Aufsteiger, der traditionsbewusste Kulturträger. Diese Wahlarchitektur ist inzwischen abgelöst durch ein fluides Stimmungsmilieu, dessen Auf und Ab relativ schnell wechselt. Dieses Stimmungsmilieu wird seit einigen Jahren von der CSU intensiv bedient, im Positiven wie im Negativen.

Kombination aus querulatorischen Oberflächenprofil und tiefer gesellschaftlicher Konfusion führt zum Niedergang der Partei

Im Kern ist das Problem der Generationenwechsel in der Führung der Partei. Einen Einbruch beim Wähler gab es geradezu modellhaft, als Edmund Stoiber abgedrängt wurde. Seine Nachfolger verloren prompt die Mehrheit. Im Zuge des Generationenwechsels von Seehofer zu Söder wurden dem Bürger über Jahre hinweg Machtspiele dargeboten. Seehofer verlängerte das Schauspiel, indem er zur Ablenkung diverse Kronprinzen und Kronprinzessinnen einführte. Es gab keinen Tag ohne eine neue Schlagzeile aus diesem Laboratorium der Macht. Der querulatorische Machtkampf wurde zum Markenprofil der CSU. Man könnte dies auch als markante Ansehensverwundung bezeichnen. Schmerzhafte Austritte hat die CSU zu verzeichnen, darunter etliche besonders engagierte Katholiken. Diese Austritte betrafen und betreffen das historische Rückgrat der CSU.

Kann dies nun alles schnell bis zur Wahl in wenigen Wochen mit ein paar markigen Sprüchen in Vergessenheit geraten? Nein. Zum einen wissen wir, dass markante Markenprofile sich nur langsam ändern lassen. Andere Parteien werden davon profitieren: die Grünen, die AfD, die Freien Wähler, die FDP und vielleicht auch noch die Linke und die neue „Mut“-Partei. Zum anderen steckt hinter dem Phänomen des Niedergangs der CSU eine sehr grundsätzliche Problematik: Die kulturelle Grundierung der Demokratie – auch in Bayern – hat sich tiefgreifend verändert. Unser Zeitalter, das Zeitalter der Digitalisierung, ist gekennzeichnet von einem Höchstgeschwindigkeits-Datenfluss. Die meist kontextlosen Daten, die uns ohne die bisherige Hilfe unserer alten Symbolwelt zur Verfügung stehen, kreieren eine neue Kompliziertheit unserer Welt, die wir kaum begreifen können. Das Zeitalter der Komplexität ist ein Zeitalter der Konfusion. Die Kombination des querulatorischen Oberflächenprofils mit tiefer gesellschaftlicher Konfusion macht den Niedergang der CSU aus.

Ist die CSU noch zu retten? Ein „Ja“ ist nur möglich, wenn die CSU eine neue Qualität intellektueller Anstrengungen entwickelt und praktiziert.

Worum geht es dabei? Der CSU lassen sich zum möglichen Zukunftserfolg etliche elementare Erkenntnisse ins Stammbuch schreiben: Die höchst komplexen Sachverhalte der modernen Welt bedürfen der Ordnung, der Selektion, einer verständlichen Symbolik. Sie bedürfen des Orientierungswissens. Ohne solche Filter sind Komplexitäten nicht in Formen zu übertragen, die Handeln ermöglichen. Permanente Komplexitätsreduzierung steht an, individuell wie gesellschaftlich. Es bedarf dazu der Bilder, die den Zusammenhang der sekündlich wechselnden informativen Details erfassen lassen. Über Jahrzehnte hat die Republik ihre Handlungskraft aus solchen Orientierungen bezogen, die zudem in die Interpretationsordnung großer weltpolitischer Konflikte eingewoben waren.

Die CSU braucht ein Zukunftsnarrativ

Politik, die orientieren will, braucht ein Narrativ. Sie muss die Gegenwart ihrer Vorgeschichte erfahrbar, verstehbar und gestaltbar machen. Und sie muss das Zukunftsnarrativ bieten, das den Gestaltungsrahmen der kommenden Zeit greifbar und formbar macht. Die Absenz eines solchen doppelten Narratives ist auch bei der CSU von großer Bedeutung für ihr politisch-kulturelles Existenzprofil. Ein die Gesellschaft bindendes Konfliktmuster, ein Pro und Contra, wird nicht sichtbar.

Halten wir fest: Jede Gesellschaft – auch die bayrische Gesellschaft – lebt von dem elementaren Bestand ihres Orientierungswissens. Nur mit einem solchen Bestand wird die politische Entwicklung kalkulierbar. Wir orientieren unser Handeln an dem vermuteten Verhalten des anderen. Jede Gesellschaft lebt insofern von einem Vorschuss an historisch und politisch abgesichertem Vertrauen. Das gilt auch für Bayern. Wo dieses Vertrauen fehlt und wo dieses Vertrauen daher in Misstrauen umschlagen muss, dort büßen die politischen und sozialen Beziehungen ihre Kalkulierbarkeit ein.

Zusammenfassend kann man sagen: Die CSU leidet aktuell unter ihrem querulatorischen Markenprofil, das sich nicht in den wenigen Wochen bis zur Wahl verändern wird. Selbst im gegenwärtigen fluiden Stimmungsmilieu ist dies nicht möglich. Langfristig kann sich die CSU neue Stärke erarbeiten, falls ihr die Entwicklung und überzeugende Vermittlung eines großen Zukunftsnarrativs gelingt.

Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München und Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg)

Werner Weidenfeld

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