Ceta: Das lange Warten der Kanadier
Während sich die Europäer noch über die Ceta-Konditionen streiten, wächst in Kanada der Frust über die Verhandlungspartner.
Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat den Koffer vermutlich schon gepackt. Er ist bereit, nach Brüssel zu fliegen, wenn er ein Signal erhält, dass Ceta unterschriftsreif ist. Er wartet auf den Anruf von EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Die Nachrichten aus Brüssel wurden am Donnerstagmorgen von der Regierung in Ottawa mit Erleichterung, aber auch mit einer weiter abwartenden Haltung aufgenommen. „Dies ist eine positive Entwicklung, aber es gibt noch genug Arbeit. Vor der Unterzeichnung sind zusätzliche Schritte notwendig“, sagte Alex Lawrence, Sprecher von Handelsministerin Chrystia Freeland. „Kanada ist bereit, dieses wichtige Abkommen zu unterzeichnen, sobald Europa bereit ist.“
Am Mittwochabend hatte die kanadische Regierung die Reise nach Brüssel, zu der sie bereit war, abgesagt. Ottawa hatte auf den Ausgang der Verhandlungen in Brüssel gewartet. Konnte eine Einigung mit den Wallonen doch noch erreicht werden, so dass die feierliche Unterzeichnung von Ceta am Donnerstag, wie sie seit Wochen geplant war, möglich würde? Am Abend teilte der Sprecher Freelands dann mit: „Die kanadische Delegation wird heute Abend nicht nach Europa reisen.“ Wann das nun sein wird, war am Donnerstagmorgen (Ottawa-Zeit) nicht klar. Tusk will Trudeau erst kontaktieren, wenn das Verfahren in Belgien abgeschlossen ist.
Trudeau hatte sich am Mittwoch zuversichtlich geäußert, „dass wir in den kommenden Tagen eine positives Ergebnis für dieses historische Abkommen erreichen werden“. Seine Regierung, die vor einem Jahr ins Amt kam, habe feststellen müssen, dass das Wirtschafts- und Handelsabkommen, das sie von der konservativen Vorgängerregierung übernommen hatte, „in großen Schwierigkeiten“ war. Er nannte dabei die Bedenken der Europäer gegen den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten.
Auch in Kanada gibt es Gegner
Die liberale Regierung Kanadas und die konservative Opposition, die Provinzen und der Unternehmerverband sind für Ceta. Aber das Meinungsbild ist nicht eindeutig. Auch in Kanada gibt es entschiedene Ceta-Kritiker. Für sie ist der Widerstand der Wallonen Ausdruck eines weit verbreiteten Misstrauens in den EU-Staaten und in Kanada gegen den Handelsvertrag. Vor allem lehnen sie die Rechte von Unternehmen ab, Staaten vor Tribunalen außerhalb des bestehenden Justizsystems verklagen zu können.
Die Ergänzungen in Ceta, die in den vergangenen Monaten von Kanada und der EU ausgehandelt wurden, reichen ihnen nicht. Für die kanadische Grünen-Abgeordnete Elizabeth May ist der Mechanismus zur Streitschlichtung, der als „Investment Court System“ (ICS) oder „Investor-State Dispute Settlement“ (ISDS) bezeichnet wird, eine „tickende Zeitbombe“. Im Interesse von Kanadiern und Europäern sollten diese Vorschriften aus Ceta gestrichen werden.
In diesem Punkt bekommen Ceta-Kritiker Rückendeckung von Rechtsexperten wie Michael Geist von der Universität in Ottawa und Gus Van Harten von der Osgoode Hall Law School in Toronto. Van Harten kommt in einem Gutachten zu der Überzeugung, dass die interpretierende Erklärung zu Ceta „wenig dazu beiträgt, zentrale Bedenken zu entschärfen, die aus in Ceta vorgeschlagenen Sonderrechten und Privilegien für ausländische Unternehmen erwachsen“. Er gab aber zu, dass die Erklärung das Recht der EU und Kanadas bekräftigt, Rechtsvorschriften etwa zum Umweltschutz oder im Sozial- und Arbeitsrecht zu erlassen. Aber Ceta könne es für die Regierung riskant machen, bestimmte Gesetze zu erlassen, weil dies potenziell sehr teuer werden könne, wenn das Ceta-Tribunal darüber urteilt, meint Van Harten. Es ist genau der Kritikpunkt, den viele Ceta-Gegner anführen.
Der Ceta-kritische Council of Canadians verweist darauf, dass die Vereinbarung von Brüssel offenbar nochmals bestätigt, dass der Streitschlichtungsmechanismus vorerst nicht in Kraft tritt. „Das heißt, dass er vielleicht niemals Teil von Ceta sein wird. Das wäre großartig“, sagte die Vorsitzende Maude Barlow. Sie verwies auf den nach ihrer Einschätzung weiter wachsenden Widerstand gegen Ceta. Unabhängig von der Einigung in Brüssel „liegt vor Ceta keine leichte Reise“.
Frustration über Europa
Unter Kanadas Ceta-Befürwortern war in den vergangenen Tagen die Frustration über Europa gewachsen. Dass die Europäische Union nicht in der Lage ist, Einigkeit über einen Handelsvertrag mit Kanada zu erreichen, quittierten sie mit zunehmendem Unverständnis. Das Gerangel um Ceta sei „ein Schlag für die Glaubwürdigkeit der EU, die immer noch erschüttert ist von Großbritanniens Entscheidung im Juni, den Staatenblock zu verlassen“, schrieb am Mittwoch die liberal-konservative Tageszeitung „Globe and Mail“. Auch der Mitte-links-orientierte „Toronto Star“ meinte, die Ceta- Probleme seien zwar ein Rückschlag für die Regierung Trudeau. Aber der EU bescherten sie „viel größere Kopfschmerzen, da sie nun Gefahr läuft, als unfähig eingestuft zu werden, ein Arrangement selbst mit einem Land, das so ,nett’ wie Kanada ist, durchzusetzen“.