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Mit dem Thema "Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR" befasst sich am Mittwoch ein öffentliches Hearing in Leipzig.
© David Ebener/dpa

Sexueller Missbrauch in DDR: Das Kind als mehrfaches Opfer

Weil es ein Politikum war, wurde sexueller Kindesmissbrauch in der DDR stärker tabuisiert als in der Bundesrepublik. Die Betroffenen litten in der Familie - und später im Heim.

Eine umfassende Tabuisierung von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der DDR hat nach Einschätzung von Experten gravierende Folgen bis in die Gegenwart. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs forderte bei einem öffentlichen „Hearing“ am Mittwoch in Leipzig zügig bessere Unterstützung und Anerkennung für die Betroffenen sowie mehr Forschung zu dem Thema. Die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen sagte: „Den Betroffenen fällt es bis heute schwer, über das Erlebte zu sprechen und öffentlichen Institutionen zu vertrauen.“ Gerade auch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen habe es massiven Missbrauch gegeben.

Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) sagte: „Nur weil es den Staat DDR nicht mehr gibt, dürfen wir keinen Schlussstrich ziehen unter das Leid der Betroffenen und die Verantwortlichkeiten.“ Es müsse alles getan werden, um den Opfern „möglichst unbürokratisch“ Hilfen zukommen zu lassen. Sie wisse, dass es noch keine angemessene umfassende Unterstützung gebe und sich Betroffene einen schnelleren Zugang zu Hilfen wünschten, so Barley.

Laut einer Studie, die in Leipzig vorgestellt wurde, ist sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der DDR deutlich stärker tabuisiert worden als in der Bundesrepublik. Christine Bergmann, Mitglied der Unabhängigen Kommission und frühere Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, erklärte in der Messestadt: „Sexueller Kindesmissbrauch war in der DDR ein Politikum.“

Die eingereichten Berichte und vertraulichen Interviews, die die Kommission geführt hat, belegen demnach vor allem eine Mehrfachbetroffenheit von sexueller Gewalt. Kinder, die ein auffälliges Verhalten aufgrund sexuellen Missbrauchs in der Familie entwickelt hatten, wurden demnach in Folge dessen in ein Heim geschickt und waren dort erneut sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Kommission kritisierte, dass für die Betroffenen bislang nur wenige Fachberatungsstellen zur Verfügung stünden und diese personell und finanziell gering ausgestattet seien.

Die Autoren der Expertise haben den Angaben zufolge 250 Missbrauchsfälle gesichtet und davon 150 genauer ausgewertet. Demnach ist für viele Betroffene die Kindheit in der DDR untrennbar mit den staatlichen politisch-ideologischen Strukturen in allen Lebensbereichen verbunden. Das Strafrecht der DDR sei täterzentriert gewesen. Es sei um Bestrafung, Disziplinierung und Wiedereinpassung des Täters in das Kollektiv gegangen - nicht um Aufklärung, Lösungsangebote oder Hilfen insbesondere für die Betroffenen.

Die Diplompsychologin und Co-Autorin der Expertise, Stefanie Knorr, bilanzierte: „Für Betroffene war es regelrecht unmöglich, über ihre Erfahrungen zu sprechen, da es sexuellen Missbrauch in der DDR offiziell nicht gab.“ Professionelle Begleitung und Therapie habe es entsprechend nicht gegeben. „Die sozialistische Persönlichkeit hatte frei von psychischen Auffälligkeiten zu sein. Das hatte tiefgreifende Folgen für die Betroffenen bis weit ins Erwachsenenalter hinein“, so die Mitarbeiterin der Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur „Gegenwind“. (KNA)

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