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Der Brandenburger Europaabgeordnete Christian Ehler.
© promo

Impfschutz für die EU: „Das ist der Gipfel der Heuchelei“

Der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler hält nichts von der Forderung, einen Untersuchungsausschuss zur Bestellung der Impfdosen auf EU-Ebene einzurichten.

Der EU-Kommission wird vorgeworfen, bei der Bestellung des Impfstoffs bei der Mainzer Firma Biontech zu zögerlich gehandelt zu haben. Im Interview erinnert Christian Ehler (CDU) daran, dass sich die Brüsseler Verhandlungen mit Biontech und dem US-Partner Pfizer zuletzt wegen der Haftungsfragen schwierig gestalteten. Im Gespräch mit dem Koordinator im Forschungs- und Industrieausschuss des Europaparlaments geht es außerdem um die Rolle des französischen Konzerns Sanofi beim Abschluss der Verträge mit den Impfstoff-Herstellern, Bedenken der süd- und osteuropäischen Mitgliedstaaten und langwierige Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene.

Herr Ehler, hat die EU-Kommission bei der Beschaffung von Impfstoffen zu zögerlich gehandelt? 

Nein. Es war richtig, dass die Kommission zu einer Art Portfolio-Strategie gegriffen hat, bei der gleich mit mehreren Anbietern verhandelt wurde. Alles andere wäre ein Roulettespiel gewesen. Noch im August sah es ja so aus, dass das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca bei der Entwicklung des Impfstoffs am schnellsten sein würde – und nicht die Mainzer Firma Biontech mit dem US-Partner Pfizer, die am Ende vorn lagen. Mit Biontech und Pfizer kam es im November zum Abschluss. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Verhandlungen mit Pfizer am Ende richtig hart waren, weil der amerikanische Gesellschafter quasi einen Haftungsausschluss verlangt hat. Wenn sich die EU darauf eingelassen hätte, wäre wohl der Impfstoff von breiten Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert worden.  

Vor allem Süd- und Osteuropäer setzten lange auf den Impfstoff von AstraZeneca.
Vor allem Süd- und Osteuropäer setzten lange auf den Impfstoff von AstraZeneca.
© REUTERS

Wie schätzen Sie die Rolle Frankreichs bei den Verhandlungen mit den insgesamt sechs Firmen ein, mit denen es zu Vertragsabschlüssen kam? Paris hat offenbar darauf gedrängt, dass auch der französische Hersteller Sanofi nicht zu kurz kommt. 

Zunächst einmal: Unter den sechs Unternehmen, mit denen die EU zum Abschluss kam, wurden die Dosen relativ gleichmäßig verteilt. Dazu gehört auch Sanofi. Die Franzosen haben in der Tat sehr robust darauf geschaut, dass ein französischer Hersteller zum Zuge kommen kann. Aber abgesehen von Frankreich gab es auch bei den übrigen Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Interessen, welche die Entscheidungen nicht einfacher gemacht haben. Vor allem die Süd- und Osteuropäer haben mehr als andere auf den Preis der Vakzine und die Logistik geschaut, die für die jeweiligen Impfstoffe vorgehalten werden muss. Dies sprach während der Verhandlungen etwa für den Vektorimpfstoff von AstraZeneca, der wesentlich preisgünstiger ist als jene mRNA-Impfstoffe, die nun als erste zugelassen wurden.  

Trotz der Marktmacht der EU bedurfte es Ende vergangenen Jahres einer Intervention von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, um den Preis für das Vakzin des Anbieters Pfizer/Biontech zu drücken. Was besagt das für die Effizienz der EU-Kommission? 

Genau gesagt, war es die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die verhandelt hat. Man muss nüchtern sagen: Deutschland als größter Mitgliedstaat in der EU hat ein Verhandlungsgewicht, das im Vergleich zur EU-Kommission zu deutlich günstigeren Konditionen geführt hat.  

Andererseits: Ist der Prozess der Bestellung auf EU-Ebene zu schwerfällig, weil nicht nur die Kommission involviert ist, sondern auch eine Steuerungsgruppe, der Vertreter sämtlicher EU-Mitgliedstaaten angehören? 

Viele Prozesse auf EU-Ebene sollten eigentlich schneller ablaufen. Aber man sollte nicht vergessen, dass ohne eine Einbindung aller Mitgliedstaaten die Impfkampagne wohl kaum bei der Bevölkerung in der gesamten Gemeinschaft akzeptiert würde. In Italien herrschte im Frühjahr des vergangenen Jahres eine große Wut auf finanziell besser gestellte Mitgliedstaaten, insbesondere auf Deutschland. Vor der Impfkampagne war deshalb klar, dass sich die EU nationale Alleingänge wie seinerzeit bei der Versorgung mit Atemschutzmasken kein zweites Mal würde erlauben können. In Italien gab es über 1000 Tote unter den Ärzten und beim Pflegepersonal, weil keine Schutzausrüstung zur Verfügung stand und weil ein Verteilungskampf über das Material in Europa ausgebrochen war. 

Sollte die EU-Kommission mehr Transparenz walten lassen und die Verträge mit den Impfstoffherstellern zumindest für das Europaparlament zugänglich machen? 

Ich erinnere mich, dass im Europaparlament vor allem die Sozialisten und die Grünen seinerzeit die Frage aufgeworfen haben, ob die EU für die Impfstoffbeschaffung wirklich Gelder in einer derartigen Größenordnung ausgeben soll. Davon ist jetzt auf einmal keine Rede mehr. Was die Frage der Transparenz anbelangt, so muss ich sagen, dass ich als Koordinator im Forschungs- und Industrieausschuss auf Nachfrage von der Kommission stets gut informiert wurde. Wer nähere Informationen über die Verhandlungen erhalten wollte, konnte sie auch bekommen.  

Aus der FDP im Europaparlament gibt es bereits die Forderung, notfalls einen Untersuchungsausschuss einzurichten, falls die Kommission nicht genügend Transparenz angesichts der Verhandlungen mit den Herstellern walten lässt. 

Das ist der Gipfel der Heuchelei. Bei der Bekämpfung der Pandemie geht es nicht um Parteipolitik, sondern um eine epochale Herausforderung. Jeder vernünftige Mensch wusste doch, dass es bei der Bestellung des Impfstoffs nicht ohne eine Portfolio-Strategie gehen würde. Man musste sich darauf einstellen, dass nicht alle Impfstoffkandidaten in der dritten Phase der klinischen Versuche gleich abschneiden würden.  

Welche Rolle kann die EU bei der Eindämmung der Pandemie und den Impfungen in ihrer Nachbarschaft spielen – etwa in den Ländern des westlichen Balkans und Staaten wie der Ukraine?  

Die EU hat von Anfang an klar gemacht, dass in Afrika oder in den Ländern östlich der Gemeinschaft eine Lösung gefunden werden muss. Dergleichen hat man in den USA und in China nicht gehört. Über die Programme zur Heranführung weiterer Staaten an die EU gibt es bereits die Möglichkeit, dass wir medizinisch und logistisch Hilfestellung leisten. Wenn es einen Vektorimpfstoff gibt, der einfacher eingesetzt werden kann, dann müssen die Europäer ihrer Verantwortung in ihrer geografischen Umgebung auch gerecht werden. Letztendlich müssen wir uns auch überlegen, ob wir auch finanzielle Hilfe leisten. Aber die Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen.  

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