Erneute Polizistenmorde in den USA: Das ganze Land ist getroffen
Erneut erschießt ein Armee-Veteran in den USA drei Polizisten. Wie reagieren Politik und Bürgerrechtler auf den Anschlag in Baton Rouge? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Unter äußerst strengen Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag der viertägige Parteitag der Republikaner in Cleveland begonnen. Am Ende soll Donald Trump zum US-Präsidentschaftskandidaten gekürt werden, doch zunächst stand die Zusammenkunft der Republikaner unter einem ganz anderen Eindruck: die erneuten Polizistenmorde in Baton Rouge, Louisiana.
Was weiß man inzwischen über die Ereignisse vom Sonntagmorgen?
Gegen 8.40 Uhr Ortszeit erreichte ein Notruf die Polizeizentrale in Baton Rouge. Auf einer Straße in der Nähe eines Einkaufszentrums sei ein in Schwarz gekleideter Mann mit einem Gewehr unterwegs, hieß es. Von wem der Anruf kam, ist unklar – laut einigen Berichten könnte der spätere Täter selbst angerufen haben, um die Polizei in eine Falle zu locken. Als die ersten Streifenwagen ankamen, eröffnete der Bewaffnete sofort das Feuer. Drei Polizisten, darunter ein Afroamerikaner, starben, drei weitere wurden verletzt. Der Todesschütze selbst wurde von der Polizei getötet.
Wer war der Täter?
Es handelte sich um den 29 Jahre alten Afroamerikaner Gavin Long, einen ehemaligen Soldaten der US-Marineinfanterie, der fünf Jahre als Datenspezialist – ohne direkte Kampferfahrung – diente und von Juni 2008 bis Januar 2009 im Irak stationiert war. Long kam aus Kansas City und soll in den vergangenen Tagen auch den Schauplatz der Polizistenmorde von Dallas besucht haben. Warum er nach Baton Rouge kam, ist nicht bekannt. In der Stadt am Mississippi war am 5. Juli der Afroamerikaner Alton Sterling von Polizisten erschossen worden.
Was ist über das Motiv des Täters bekannt?
Ähnlich wie der Heckenschütze von Dallas, Micah Johnson, der in Verhandlungen mit den Sicherheitskräften von seinem Hass auf weiße Polizisten gesprochen hatte, wurde Long in Baton Rouge von der Überzeugung getrieben, dass sich Schwarze in den USA mit Gewalt gegen die Diskriminierung durch die weiße Mehrheit wehren müssen. Wie Johnson nahm Long seinen eigenen Tod offenbar in Kauf. In einem YouTube-Video, das nach dem Tod Sterlings Anfang Juli veröffentlicht wurde, aber erst nach dem Blutbad von Baton Rouge die Aufmerksamkeit der Ermittler auf sich zog, spricht Long über die Notwendigkeit, zur Waffe zu greifen. Revolutionen seien immer nur durch den Einsatz von Gewalt erfolgreich gewesen, betont der spätere Mörder in dem Clip. „Du musst dich wehren, du musst Opfer bringen.“ Der Ex-Marine bezog sich ausdrücklich auf den radikalen schwarzen Bürgerrechtler Malcom X und auf Nat Turner, einen Sklaven, der 1831 einen Sklavenaufstand in Virginia anführte, bei dem mehrere Dutzend Weiße starben. Long, der seinen Namen im vergangenen Jahr in Cosmo Setepenra änderte, tötete die drei Polizisten in Baton Rouge an seinem 29. Geburtstag.
Ist es ein Zufall, dass erneut ein US-Kriegsveteran Polizist erschoss?
Zumindest waren beide Täter durch ihre Grundausbildung im Umgang mit Waffen vertraut. Von Micah Johnson in Dallas war bekannt, dass er nach seiner aktiven Zeit in der US-Armee weiter mit Schusswaffen trainierte; er handelte bei den Polizistenmorden so schnell und präzise, dass die Behörden zunächst von mehreren Tätern ausgingen. Ob Long in Baton Rouge ebenfalls ein gut ausgebildeter Schütze war, blieb zunächst offen. Bei beiden Polizistenmorden konnten die Täter wegen der laxen Waffengesetze in den USA ohne größere Probleme an moderne Sturmgewehre kommen. Da in Louisiana das offene Tragen von Waffen erlaubt ist, musste der Täter sein Mordwerkzeug nicht einmal verstecken.
Wie groß ist die Gefahr, dass es afroamerikanische Terrorzellen in den USA gibt?
Diese Befürchtung wird seit einiger Zeit in US-Medien geäußert, doch bisher gibt es keine Hinweise darauf. Sowohl Long als auch Johnson bezeichneten sich vor ihren Anschlägen als Einzeltäter ohne Verbindung zu militanten Gruppen. Von gemäßigteren Organisationen wie der Protestbewegung „Black Lives Matter“, deren Anhänger friedlich gegen die Polizeigewalt protestieren, versprachen sie sich keine Lösung ihrer Probleme.
Genau darin könnte aber eine neue Gefahr liegen: zutiefst frustrierte, militärisch ausgebildete Afroamerikaner, die sich der Gewalt gegen Weiße verschrieben haben und die wie Selbstmordattentäter des „Islamischen Staates“ (IS) oder anderer Terrorgruppen bereit sind, bei ihren Anschlägen zu sterben. Diese Atomisierung der militanten Szene macht die Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden besonders schwierig, denn es gibt keine Organisation, die zerschlagen werden könnte. Da Selbstmordattentäter ohne Rücksicht auf das eigene Leben vorgehen, sind alle 900 000 Polizisten in den USA potenziell großen Gefahren ausgesetzt. Ein Rezept gegen diese neuartige Bedrohung besitzen die Behörden bisher nicht. Der schwarze Polizist Montrell Jackson, der in Baton Rouge starb, hatte kurz vor seinem Tod auf Facebook über seinen schwierigen Alltag berichtet. Wenn er Uniform trage, spüre er „hasserfüllte Blicke“, und in Zivil „halten mich einige für eine Gefahr“.
Wie reagiert die Politik in den USA auf den Anschlag?
Präsident Barack Obama und die Behördenvertreter in Baton Rouge zeigten sich entsetzt über den erneuten Gewaltausbruch. Zugleich äußerten sie die Sorge darüber, dass die scharfen Auseinandersetzungen zwischen Konservativen, die eine Gewaltwelle gegen die Polizei beklagen, und Liberalen, die als Wurzeln des Übels den latenten Rassismus im Land und die chronische Polizeigewalt gegen Minderheiten ansehen, das Land immer weiter polarisieren. Die Versöhnungsappelle haben im Getöse des Präsidentschaftswahlkampfs kaum Chancen, Gehör zu finden.
Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump gab der Obama- Regierung die Schuld an der Eskalation und kritisierte einen Mangel an politischer Führung im Land. Obama habe „keine Ahnung“, wetterte er. Während die USA den Kampf gegen den IS führen wollten, „bringen unsere eigenen Leute unsere Polizisten um“. Trumps demokratische Gegenspielerin Hillary Clinton setzte dagegen auf Versöhnung. Sie nannte die Schüsse von Baton Rouge „einen Angriff auf uns alle“ und rief die Amerikaner auf, zusammenzustehen.
Wie wirken sich die Polizistenmorde auf den Parteitag der Republikaner aus?
Die tödlichen Schüsse verschärfen die ohnehin angespannte Sicherheitslage in Cleveland, Ohio. Sie eröffnen der Republikanischen Partei und ihrem Spitzenkandidaten Donald Trump aber auch eine Gelegenheit, sich den Wählern als die Vertreter von „Law and Order“ zu präsentieren. Das tat Trump bereits nach den Morden an Polizisten in Dallas und Baton Rouge. Er beschrieb die USA als „divided crime scene“, einen nach Hautfarben gespaltenen Tatort. Er stellt sich dabei auf die Seite jener weißen Mehrheit, die die schwarze Protestbewegung „Black Lives Matter“ als radikale Organisation verurteilt, die angeblich eine Mitschuld an der Zuspitzung trage. Über Präsident Obama, der beide Seiten zur Mäßigung aufruft und sowohl die Polizeigewalt als auch die Morde an Polizisten verurteilt, sagte Trump: „Der hat keine Ahnung.“
Das Programm bei der Eröffnung des viertägigen Parteitags wurde stärker auf Innere Sicherheit ausgerichtet. „Make America Safe Again“ ist das Motto des Auftakts am Montag – in Anlehnung an Trumps Wahlkampfspruch „Make America Great Again“. Die Parteitagsregie verbindet die Bedrohung im Inneren mit der Bedrohung von außen – Terroristen aus Syrien sowie die angeblich von der damaligen Außenministerin Clinton mit verschuldeten Angriffe auf US-Diplomaten in Benghasi, Libyen. Und sie lässt als ihre Antwort „Helden“ auftreten, darunter ein US-Marine, der im Ausland kämpfte, und New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani, der mit einer „Null Toleranz“- Strategie die Kriminalitätsrate gesenkt hatte.
Welche Strategie verfolgen die Republikaner noch?
Ein anderer strategisch zentraler Programmpunkt am Montagabend sollte die Rede von Melania Trump werden, der Ehefrau des Präsidentschaftskandidaten (nach Redaktionsschluss). Sie soll weibliche Wähler anziehen. Frauen bevorzugen laut Umfragen bisher die Demokratin Hillary Clinton, Männer Trump. Der so- genannte „Gender Gap“, der Unterschied der Geschlechter im Wahlverhalten, ist 2016 laut Umfragen größer als je zuvor: 24 Prozentpunkte.
Warum ist die Polizei so besorgt um die Sicherheitslage in Cleveland?
Ein Parteitag mit 50 000 Besuchern ist ohnehin ein Großereignis mit hohem Gefährdungspotenzial. Störer und Angreifer können zudem mit großem Medienecho für ihre Anliegen rechnen, da mehrere tausend Journalisten aus den USA und der übrigen Welt darüber berichten. Die Hauptsorge gilt nicht allein einem Terroranschlag, sondern mehr noch bürgerkriegsähnlichen Szenen mit Prügeleien zwischen politisch verfeindeten Gruppen und brennenden Autos und Geschäften. Tausende Demonstranten wollen gegen Donald Trump, die Republikaner und ihr Programm protestieren. Es haben aber auch konservative Gruppen angekündigt, gegen diese Gegendemonstranten protestieren wollen. Am Sonntag zeigten sich allerdings nur etwa hundert überwiegend linke Demonstranten von „Black Lives Matter“, „Code Pink“ und einer propalästinensischen Organisation. Die Zahl der sie begleitenden Journalisten war weitaus größer.
Warum tragen gegenwärtig so viele Bürger in Cleveland Waffen?
Ohios Waffenrecht erschwert zudem die Prävention. Wer eine legale Waffe und einen Waffenschein besitzt, darf sie mit sich führen. Die Polizeigewerkschaft in Cleveland verlangte, das Recht auf Waffentragen vorübergehend einzuschränken. Der republikanische Gouverneur von Ohio, John Kasich, ein unterlegener Konkurrent Trumps um die Präsidentschaftskandidatur, sagt, das sei „rechtlich nicht möglich“. In die Räume des Parteitags dürfen keine Waffen mitgenommen werden. In den Straßen des Zentrums demonstrierten Bürger mit Gewehr auf dem Rücken und Pistole am Gürtel für ihr Grundrecht. An normalen Tagen gibt es solche Szenen in Cleveland nicht.
Wie will Donald Trump Gewalt gegen Polizisten stoppen?
Trump hat keine praktischen Vorschläge dazu gemacht. Allerdings wies er der politischen Gegenseite eine Mitverantwortung dafür zu. „Wie viele Polizisten und Bürger müssen noch sterben wegen der fehlenden Führung in diesem Land? Wir verlangen Recht und Ordnung.“ Offen ist, ob die Polizistenmorde die Chancen Donald Trumps bei der Präsidentschaftswahl verbessern. Bisher scheinen sich in den Reaktionen die gegenläufigen Sichtweisen unterschiedlicher Gruppen zu verhärten: Zwei Drittel der Afroamerikaner sieht die Ursache der Gewalt in anhaltender Diskriminierung. Nur ein Drittel der Weißen sieht das ebenso.