Ursula von der Leyen: "Das G36 hat keine Zukunft"
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellt sich der Kritik am umstrittenen Sturmgewehr G36. Die Opposition droht ihr nun sogar mit einem Untersuchungsausschuss.
„Zwei Fragen!“, sagt der Presseoffizier. Dabei gäbe es sehr viel mehr Fragen an eine Verteidigungsministerin, die gerade das Aus für das Standardgewehr ihrer Soldaten verkündet hat. Aber Ursula von der Leyen weiß, dass jedes ihrer Worte noch mehr auf die Goldwaage gelegt wird als sonst. Drei Stunden lang hat der Verteidigungsausschuss die Ministerin ins Kreuzverhör genommen darüber, wie es angeht, dass seit Jahren immer wieder Zweifel am Sturmgewehr G36 laut geworden sind, aber jetzt erst eine Untersuchung feststellt, dass es für Einsätze nach dem Afghanistan-Muster eigentlich nicht tauge. Die Antworten fanden alle außer den Unionsvertretern unbefriedigend. Leyens Konsequenz allerdings stimmen alle zu: „Das Sturmgewehr G36 hat in seiner heutigen Konstruktion keine Zukunft mehr in der Bundeswehr.“
Ursula von der Leyen will ihrem Vorgänger keine Vorwürfe machen
Die Schlussfolgerung lag auf der Hand, seit das Ergebnis einer umfassenden Untersuchung von Bundeswehr- und externen Experten vor drei Wochen auf den Tisch der Ministerin kam. Zweifel am G36 – der Standardwaffe der Bundeswehr seit 20 Jahren, aktuell 167 000-fach im Einsatz vom Wachdienst bis zur Afghanistan-Patrouille – gab es spätestens seit 2012. Damals hatte das Wehrtechnische Institut der Bundeswehr in Meppen festgestellt, dass der Gewehrlauf nach heftigem Feuer so heiß wird, dass die Waffe nicht mehr genau schießt.
Seit damals streiten Experten, der Hersteller Heckler & Koch, der Bundesrechnungshof und Militärs darüber, ob das stimmt, woran es liegt – am Gewehr mit seinem hohen Anteil an Kunststoffteilen, an der Munition, an der Bedienung – und ob es überhaupt ein Problem ist. Schließlich war das „leichte Sturmgewehr“ G36 nie für Dauerfeuer bestimmt. Wer bei Soldaten im Einsatz nachfragte, hörte übrigens nie Beschwerden.
Leyen versucht, öffentlich alles zu vermeiden, was so aussieht, als werfe sie ihrem Vorgänger Versäumnisse vor. Es habe über Jahre „widersprüchliche“ Vorlagen gegeben, da sei es ganz richtig von Thomas de Maizière gewesen, weitere Prüfungen anzuordnen. Erst die letzte Untersuchung habe alles zusammengeführt und erwiesen, dass das „Gesamtsystem“ für das Trefferproblem verantwortlich sei – eine Kombination aus Waffe, Munition, Schussfolge und Klima.
Was wird nun aus dem Sturmgewehr?
Intern ist die Ministerin nicht ganz so zurückhaltend. Da sei ein „potenzielles Organisationsversagen“ zu prüfen, zitiert ein Abgeordneter Leyen im Ausschuss. Für die Opposition steht das jetzt schon außer Frage. Das Ministerium, schimpft der Linke Jan van Aken, stehe „als komplette Trümmertruppe“ da. Und an der Spitze, von de Maizière bis Leyen, immer die gleiche Masche: noch mal prüfen.
Aken hat der Ministerin einen Fragenkatalog mitgegeben, Grünen- Obfrau Agnieszka Brugger den zweiten, der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold den dritten. Die Opposition droht unverhohlen mit einem Untersuchungsausschuss, sollten die Antworten unbefriedigend ausfallen. Bei der Union halten sie das nur für ein taktisches Vorspiel. Schließlich ist die Versuchung groß, gleich zwei Minister peinlich zu befragen, die in der CDU als Nachfolger Angela Merkels firmieren.
Der Sozialdemokrat Arnold droht verhohlener. „Wir müssen uns auch über die Vergangenheit unterhalten“, sagt er. „Wer ist der Verantwortliche für die Mängel im Prozess?“ Und dann erzählt Arnold wie beiläufig die Geschichte von Georg Leber. Der Sozialdemokrat war einst als Verteidigungsminister wegen einer Abhöraffäre zurückgetreten, obwohl er von der Sache nichts gewusst hatte – trotzdem, sagt Arnold, habe sich Leber der politischen Verantwortung gestellt.
Was inmitten all dieser Polit-Spiele nun mit dem Sturmgewehr wird – Nachbesserung, Ersatz, wenn ja durch was –, ist noch unklar. Spezialtruppen und Soldaten in bestimmten Einsätzen, verspricht Leyen, sollen sofort neu ausgestattet werden. Vom G36-Hersteller Heckler & Koch übrigens hört man am Mittwoch nichts. Die Waffenschmiede hat tagelang gewütet und den Prüfern von Ahnungslosigkeit bis bösem Willen so ungefähr alles unterstellt. Bei den Schießtests hat sich freilich ein Gewehr bewährt. Im Bericht heißt es nur „Gewehr A“. Dahinter verberge sich aber, sagt ein Abgeordneter, schwäbische Wertarbeit – Hersteller: Heckler & Koch.