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Nach wütenden Protesten und einer Intervention von Staatschef Erdogan hat die AKP einen Gesetzentwurf zu Sexualstraftaten an Minderjährigen zurückgezogen.
© Reuters/Umit Bektas

Beitrittsgespräche mit der Türkei: Das EU-Parlament baut Druck auf

Die Abgeordneten in Straßburg debattieren über Beziehungen zur Türkei. Sie wollen die Beitrittsgespräche mit dem Land auf Eis legen.

Die großen Fraktionen im europäischen Parlament haben sich am Dienstag dafür ausgesprochen, die Beitrittsgespräche mit der Türkei vorübergehend auszusetzen. Am Donnerstag soll eine entsprechende Resolution verabschiedet werden. Diese ist allerdings nicht bindend für die EU-Kommission. Die Konservativen, die zunächst für einen Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei plädiert hatten, wollen sich ebenfalls der Forderung nach einer Unterbrechung des Beitrittsprozesses anschließen. „Wir achten die Türkei, doch wir können nicht tatenlos zusehen, wie sie sich von der Demokratie entfernt“, sagte ihr Fraktionsvorsitzender Manfred Weber.
Am Dienstag erließ die türkische Justiz Haftbefehl gegen den Vorsitzenden der syrischen Kurdenpartei Demokratische Union (PYD). Im Zuge eines am Dienstag veröffentlichten Dekrets wurden außerdem erneut 15.396 Staatsbedienstete entlassen. Insgesamt wurden seit dem niedergeschlagenen Putschversuch vor vier Monaten bereits mehr als hunderttausend mutmaßliche Regierungsgegner in Armee, Polizei, Justiz und Bildung festgenommen oder entlassen. 375 Vereine müssen ihre Arbeit einstellen, darunter Menschenrechtsgruppen. Sieben Regionalzeitungen, ein regionales Magazin und ein Lokalradiosender dürfen nicht mehr publizieren.

Rechte und Liberale wollen Abbruch des Beitrittsprozesses

Auch die Ankündigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, wird in Brüssel scharf kritisiert. Die Fraktion der rechtsgerichteten Europäischen Konservativen und Reformer, zu der auch die Deutschen Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke gehören, sprachen sich angesichts dieser Entwicklungen dezidiert für den endgültigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen aus. Doch auch Abgeordnete der Liberalen bezeichneten die Beitrittsperspektive der Türkei als „Illusion“. Eine Wiederaufnahme der Gespräche nach der nun geforderten Unterbrechung müsse an klare Bedingungen geknüpft werden, sagte der Belgier Guy Verhofstadt. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte im Straßburger Parlament zuvor gewarnt, beide Partner würden verlieren, wenn der Beitrittsprozess an ein Ende käme. „Die EU würde sich der Möglichkeit berauben, Einfluss auf Reformen in der Türkei zu nehmen.“

Grüne und Linke wollen Dialog fortsetzen

Die Grünen-Abgeordnete und frühere Chefin der deutschen Sektion von Amnesty International, Barbara Lochbihler, sagte dem Tagesspiegel, ihre Fraktion habe sich eine Entscheidung zum Umgang mit der Türkei nicht leicht gemacht. Auch die Grünen wollen die Verhandlungen auf Eis legen. „Wir sind in Kontakt mit vielen Menschen in der Türkei, die sich eine enge Anbindung an die EU wünschen. Doch selbst diese Personen fordern nun das Einfrieren der Beitrittsgespräche, um ein klares Signal an die türkische Regierung auszusenden.“ Für die Sozialdemokraten forderte Gianni Pittella, die Tür für einen Dialog mit der Türkei müsse offen bleiben. „Wir müssen Präsident Erdogan sagen: Dreh um!“, sagte Pittella. Das Vorgehen der türkischen Regierung gegen Oppositionelle, Medien und Staatsbedienstete sei durch nichts zu rechtfertigen. Deshalb sollten die Beitrittsgespräche vorübergehend suspendiert werden. Eine solche Entscheidung könnte sich negativ auf das Flüchtlingsabkommen der Union mit der Türkei auswirken. Angesichts der aktuellen Entwicklungen wird die Kritik an dem Deal allerdings ohnehin immer lauter. „Das Abkommen verstößt nicht nur gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, es macht die Türkei auch faktisch zu einem sicheren Drittstaat, denn nur dorthin kann man Flüchtlinge zurückschicken“, erklärte Grünen-Politikerin Lochbihler. Doch die Türkei sei kein solcher Staat. Ähnlich äußerten sich Vertreter der Vereinigten Europäischen Linken.

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