Der „Soli“ wird abgeschafft: Das Ende nach einem Vierteljahrhundert
Das Bundeskabinett bringt nach einigem Ringen das Aus des Solidaritätszuschlags auf den Weg - ab 2021 müssen ihn nur noch Topverdiener und Unternehmen zahlen.
Historische Kabinettssitzungen mitten im Sommer gibt es nicht alle Jahre. Aber mit der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags hat die große Koalition am Mittwoch durchaus Geschichte geschrieben. Der Beschluss hatte einen langen Vorlauf und er war bis zuletzt umstritten. Noch zum Koalitionsausschuss am vorigen Sonntag hin hatte die Union versucht, mit einem Vorschlag von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Regierung näher an die Komplettabschaffung zu manövrieren.
Aber es ist beim Entwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geblieben, der ganz trocken umsetzte, was Union und Sozialdemokraten beschlossen haben: Der „Soli“ wird von 2021 nur noch von zehn Prozent der Steuerpflichtigen gezahlt. Für den großen Rest – Klein- und Mittelverdiener also – fällt er weg, ein Vierteljahrhundert nach seiner dauerhaften Einführung im Jahr 1994. Mit dem Kabinettsbeschluss werden von 2021 an alle Steuerpflichtigen vollständig entlastet, die weniger als etwa 74.000 Euro (Singles) oder 152.000 Euro (Familie mit zwei Kindern) im Jahr verdienen.
Scholz verteidigte die Teilabschaffung gegen jene, die ein komplettes Aus für alle ab 2021 fordern. Es sei fair, dass die nach dem Auslaufen des Solidarpakts Ende 2019 verbliebenen Kosten des Bundes für die Ost-Länder „von denen geschultert werden, die mehr haben als andere“. Der „Soli“ war, zeitweise schon 1991, zur Finanzierung des Aufbaus Ost eingeführt worden. Seit 1995 war er faktisch an die beiden Solidarpakte zugunsten der Ost-Länder gekoppelt. „Die Kosten der Wiedervereinigung sind in weiten Teilen gestemmt“, stellte Scholz am Mittwoch fest – auch eine historische Aussage. Daher sei die Teilabschaffung möglich und gerechtfertigt.
Altmaiers vergebliches Gegenmodell
Altmaier hatte ein Modell vorgeschlagen, nach dem auch die oberen zehn Prozent samt und sonders über einen Freibetrag teilentlastet worden wären – samt einer schrittweisen Komplettabschaffung für alle bis 2025. Die SPD hingegen möchte den verblieben „Soli“ für Topverdiener nach der nächsten Wahl in die Einkommensteuer integrieren, was auf eine höhere Spitzenbelastung hinausläuft. Die Grünen und die Linken unterstützen das.
In der Union und vor allem der FDP aber tut man sich schwer damit – auch wenn über die Einführung einer „Milderungszone“ der größere Teil der verbliebenen Zahler nicht mehr die volle „Soli“-Höhe von 5,5 Prozent der Einkommensteuerlast tragen muss. CSU-Chef Markus Söder sagte, der Zuschlag müsse in „einem zweiten Schritt vollständig abgebaut werden“. Das sei eine Frage der Fairness und der Glaubwürdigkeit. Einen Zeitpunkt nannte Söder nicht. Ob die Union nun versucht – ähnlich wie einst bei der Erbschaftsteuer und zuletzt bei der Grundsteuer –, im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch deutliche Änderungen durchzusetzen, ist unklar.
In der "Milderungszone" liegen Singles bis zu einem Jahresbruttoeinkommen von knapp 110000 Euro oder Familien mit Alleinverdiener und zwei Kindern, die bis zu 221000 Euro Einkommen haben. Wer darüber liegt, muss mit der vollen Belastung rechnen. Die Zahlen geben auch nur eine ungefähre Vorstellung der Einkommensgrenzen, weil steuerliche Abzüge sehr unterschiedlich ausfallen. Wer voll entlastet wird, kann die Summe, die man zusätzlich hat, der Jahresgehaltsabrechnung entnehmen.
Vor dem Koalitionsausschuss war spekuliert worden, dass es ein „Koppelgeschäft“ mit der Grundrente geben könnte, bei der die SPD die im Koalitionsvertrag vereinbarte Bedürftigkeitsprüfung weghaben möchte. Dazu kam es aber am Sonntag nicht, der endgültige Beschluss zur Grundrente wird nun in einer Arbeitsgruppe bis zum Herbst weiterverhandelt. SPD-Fraktionsvize Achim Post stellte am Mittwoch nochmals klar, dass eine Komplettabschaffung des „Soli“ für die SPD nur denkbar sei, „wenn sie mit einer Erhöhung der Reichen- und Einkommensteuer für Topverdiener verbunden ist“. Post rechnete vor, dass Vorstandschefs von Dax-Unternehmen bei völliger Abschaffung im Schnitt um 140.000 Euro im Jahr entlastet würden.
Lindner spricht von "Kleptokratie"
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Teilfortführung des Steuerzuschlags (das Fachwort dafür ist Ergänzungsabgabe) erheben neben Unions-Politikern vor allem die Freien Demokraten. FDP-Chef Christian Lindner verschärfte den Ton nach der Kabinettsentscheidung. „Für uns ist die Politik von Herrn Scholz Teil einer Art Kleptokratie“, sagte er. Es gebe in der SPD kein Verständnis dafür, dass Bürger und Wirtschaft entlastet werden müssten, „damit es zum Beispiel Investitionen gibt“.
Laut Lindner zahlen nicht nur „irgendwelche Manager, Topverdiener, Bundesligaprofis“ den Zuschlag weiter, sondern große Teile des Mittelstands und des Handwerks mit ihren Betrieben, „wo Millionen Menschen beschäftigt sind“. Lindner kündigte eine Klage in Karlsruhe an – Basis ist ein Gutachten des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans- Jürgen Papier, wonach das Erheben des Solidaritätszuschlags schon ab 2020 grundgesetzwidrig ist. Mit Beschwerden von Steuerzahlern gegen die Weiterzahlung des „Soli“ ist in jedem Fall zu rechnen, allerdings zunächst wohl eher vor den Finanzgerichten. Wie schnell diese Verfahren in Karlsruhe landen, ist unklar.
Auch viele kleine Selbständige profitieren
Aus dem Solidaritätszuschlag nahm der Bund 2018 knapp 19 Milliarden Euro ein. Der Großteil davon entfiel auf die von Arbeitnehmern gezahlte Lohnsteuer, nämlich 12,6 Milliarden Euro. Darin sind auch hoch bezahlte Angestellte enthalten. Aus der veranlagten Einkommensteuer, die meist von Selbständigen kommt, nahm der Bund knapp drei Milliarden Euro ein. Die Abgeltungsteuer auf Zinsen, Dividenden oder Veräußerungen erbrachte gut 1,5 Milliarden Euro.
Zudem flossen 1,8 Milliarden über den Zuschlag auf die Körperschaftsteuer in die Staatskasse, also von Unternehmen, die nicht als Personengesellschaft organisiert sind. Ein Blick in die Lohn- und Einkommensteuerstatistik zeigt, dass regelmäßig etwa ein Fünftel der „Soli“-Summe vom obersten Prozent der Steuerpflichtigen bezahlt wurde, also den absoluten Topverdienern. Die obersten zehn Prozent zahlten ungefähr die Hälfte. In dieser Gruppe finden sich viele Handwerker und Mittelständler, also Selbständige mit Personengesellschaften.
Das Finanzministerium weist allerdings darauf hin, dass 88 Prozent der Gewerbetreibenden völlig befreit werden, weitere sieben Prozent werden teilentlastet.
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