Wahlerfolg Benjamin Netanjahu: Das Ende der zwei Staaten
Einer gegen alle, David gegen Goliath: Benjamin Netanjahu setzte im Wahlkampf auf den Angstfaktor - und hatte Erfolg. Mit dem neuen alten Ministerpräsidenten wird Israel sich weiter isolieren, die Zwei-Staaten-Lösung ist praktisch perdu. Ein Kommentar.
In zwei Jahren feiert Israel ein besonderes Jubiläum, den 50. Jahrestag des Sieges im Sechstagekrieg. Alleine stand das kleine Land da, wie David gegen Goliath, während seine Nachbarn – Ägypten, Jordanien, Syrien – ihre Truppen massiert hatten, um die Juden ins Meer zu treiben. Doch es geschah ein Wunder, Israel gewann den Krieg.
Ein halbes Jahrhundert später ist aus Israel eine Hightechnation und eine Atommacht geworden, beim „Global Firepower Index“ liegt das Land, das über eine der modernsten Armeen der Welt verfügt, auf Platz elf, auf Platz acht der Liste der Länder mit den meisten Panzern, die Wirtschaft brummt, das Wachstum ist stabil, die Arbeitslosigkeit niedrig. Mit Ägypten und Jordanien wurden Friedensverträge geschlossen, die syrische Armee zerlegt sich im Bürgerkrieg gerade selbst, die Palästinenser sind zwischen Hamas und Fatah gespalten.
Nur eines ist wie immer: das Gefühl, sich ganz alleine gegen den Rest der Welt behaupten zu müssen, von Feinden umzingelt zu sein, verbunden mit dem Willen, sich nie wieder wie die Schafe zur Schlachtbank führen zu lassen, keine Konzessionen machen zu dürfen. Unabhängig von realer Macht und Ohmacht, gewissermaßen als ein Identitätskern, hat sich die Überzeugung von einer tiefen existentiellen Isolation und Einsamkeit tradiert. „Vom Felsengipfel erblicke ich es, von den Hügeln werde ich es gewahr: Ein Volk, das ganz für sich wohnt, das sich nicht rechnet unter die Völker“, sagt Bileam über das Volk Israel im 4. Buch Moses. Das nehmen viele als Schicksal an. Ob es eines sein muss, fragen nur wenige.
Das Ende der Zwei-Staaten-Lösung
David plus „High Noon“ (mit Gary Cooper in der Hauptrolle): Diese mythologische Melange machte sich Benjamin Netanjahu im Wahlkampf erneut zu nutze. Aus Angst vor der Niederlage startete er eine „Gevalt“-Kampagne, wie es im Jiddischen heißt. Ob Irans Atomprogramm, die Aufrüstung von Hamas und Hisbollah, ein palästinensischer Staat oder die Bedrohung durch den „arabischen Block“: Er selbst sei der einzige, der die Sicherheit Israels in einer apokalyptischen Zeit garantieren könne. Die Botschaft kam an.
Natürlich kam sie auch deshalb an, weil Netanjahu mit seinen Reden gleichzeitig Wahn und Wahres transportiert. Das Regime in Teheran ist ja gefährlich. Hamas und Hisbollah sind Terrororganisationen. Israel ist eine kleine Insel im Sturm militanter islamistischer Milizen. Ein Tor, wer all das leugnen wollte.
Nichts Neues also unter der nahöstlichen Wüstensonne, der alte Ministerpräsident wird wohl der neue sein, und am Ende des Tunnels ist wieder nur ein Tunnel zu sehen. Das bedeutet, dass langsam die Totenglocken für die Zwei-Staaten-Lösung zum Läuten gebracht werden können. Netanjahu hat sich von diesem Konzept ausdrücklich verabschiedet. Und da der 50. Jahrestag des Sieges im Sechstagekrieg auch der 50. Jahrestag der Besatzung ist, der Herrschaft über ein anderes Volk, muss konstatiert werden, dass die Formel „Land gegen Frieden“ weithin an Überzeugungskraft verloren hat. Zwar befürwortet eine Mehrheit der Israelis nach wie vor einen Palästinenserstaat. Aber mit solchen Umfragen verhält es sich wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber sobald nach konkreten Maßnahmen gefragt wird, etwa nach der damit verbundenen Räumung von Siedlungen, verwandelt sich die Mehrheit schnell in eine Minderheit.
Die praktische Politik läuft auf einen „binationalen Staat“ hinaus, in dem die Palästinenser nicht die vollen Bürgerrechte haben und ihnen weder Souveränität noch Selbstbestimmung gewährt werden. Das wiederum wird die internationale Isolierung Israels verfestigen, den emotionalen Abstand zu den USA vergrößern. Und Netanjahu sieht sich am Ende bestätigt: Sehr her, wir stehen tatsächlich ganz alleine gegen den Rest der Welt. Dieser Wahrnehmungskreislauf mag verrückt sein, aber in einer verfahrenen Lage kann das Verrückte durchaus logisch sein.