Die nächste Verkehrswende beginnt: Das eigene Auto ist eine vorübergehende Erscheinung
Es braucht weniger Autogipfel und mehr Umdenken. Denn der Glaube an das Auto ist überholt, zeitgemäße Mobilität funktioniert anders. Ein Kommentar.
Voraussagen zur Mobilität der Zukunft können schnell in die Geschichtsbücher eingehen. Aber auf welcher Seite der Geschichte? Kaiser Wilhelm II. wird für die Zeit um die Jahrhundertwende das Zitat zugeschrieben: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“
Gut hundert Jahre später steht die nächste Verkehrswende an. Und wieder könnte so mancher mit seinen Einschätzungen im Nachhinein schräg dastehen. Diesmal aber, weil die Akteure zu sehr an das Auto glauben. Und neue Erscheinungen allzu gerne als vorübergehend schmähen wollen.
Dieser Gefahr sind sie ausgesetzt, die Teilnehmer des zu Ende gegangenen Treffens im Kanzleramt. Als „Autogipfel“ war es erneut auf genau diese eine Form der Fortbewegung zugeschnitten. Der Fokus mag sich von den Verbrennern zu Elektroautos verschoben haben. Doch das Mantra der Autobosse klingt bekannt: höhere Kaufprämien, Steuererleichterungen, staatliche Förderungen. Er ist das oberste Credo, der Glaube an das Auto.
Ja, es arbeiten mehr als 800.000 Menschen in Deutschland bei Autoherstellern oder deren Zulieferern. Sie müssen um ihre Jobs bangen, wenn wie jetzt in den Autohäusern – und zwar weltweit – Flaute herrscht: Um die fünf Prozent weniger Wagen haben VW und Mercedes in diesem Jahr bisher verkauft.
Daimler, erst vor Tagen zum Rückruf von 60.000 Diesel-Geländewagen verdonnert, hat schon eine Gewinnwarnung herausgegeben. Sie wird auch die Zulieferer treffen. Da ist es zu begrüßen, dass dieser Autogipfel erstmals die gesamte Wertschöpfungskette der für Deutschland so wichtigen Industrie in den Blick nimmt.
Neue Konkurrenz für Autokonzerne
Doch um genau diese Arbeitsplätze zu retten, und damit Deutschland eben nicht in puncto technologische Weltmarktführerschaft abgehängt wird, müssten Daimler, BMW und VW ehrlich sein. Auch zu sich selbst: Sie sind nicht (länger) in der Autobranche unterwegs. Die Hersteller konkurrieren gegen Wettbewerber in der Mobilitätsbranche: Da gibt es zum Beispiel das Sammeltaxi Lift, den Elektroroller Emmy, die Deutsche Bahn.
Das Privatauto kann das Rennen verlieren. Vor allem bei Jüngeren. Deren Verhalten ändert sich rasant. Mit dem Smartphone statt des Autoschlüssels nutzen sie, was ihnen nutzt – von der S-Bahn über das Leihfahrrad und den Tretroller bis zum Scooter und wenn nötig auch mal das Auto. Denn Mobilität bedeutet Bewegung, nicht Besitz.
Statt wiederkehrender Auto-Gipfel bräuchte Deutschland also einen echten Mobilitätspakt. Dieser sollte sich nicht so sehr auf den Austausch von Verbrennungs- durch Elektromotoren fokussieren, sondern den Blick weiten. Denn sowohl die Elektromobilität als auch das autonome Fahren klammern sich immer noch an das Grundkonzept des Autos, das sich in den Städten staut und beim Parken Fläche raubt.
Erste Ansätze sind erkennbar
Nachhaltige und zeitgemäße Mobilität indes ist platzsparend, passgenau und vernetzt. Sie holt die wichtigsten Start-ups mit an den Tisch, verkürzt die Fahrplantakte des öffentlichen Nahverkehrs und – vor allem – bindet die Landkreise an die Städte an.
Erste Ansätze sind ja erkennbar, wenn sich jetzt sogar die Union in einem neuen Positionspapier für einen besseren Mix von Mobilitätsangeboten stark macht und durch eine intelligente Infrastruktur, die unterschiedlichen Verkehrsträger miteinander koppeln will.
Dafür aber gilt für alle Mobilitätsteilnehmer der Kurve bekommen. Das Auto hat Deutschland vom Land der Dichter und Denker zum Land der Lenker gemacht. So schreibt es der Chefredakteur des Philosophie-Magazins „Hohe Luft“, Thomas Vašek, in seinem neuen Buch. Die, die jetzt noch am liebsten einen SUV lenken wollen – wie Psychologen herausgefunden haben –, folgen dem Motto: „Mein Auto ist meine Festung.“ Das ist aber auch so ein Satz, der es ins Geschichtsbuch schaffen könnte. Nur wieder auf die falsche Seite.