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Viele Toiletten sind neuerdings variantengerecht ausgeschildert.
© Fatina Keilani

"Divers": Das dritte Geschlecht - jetzt auch im Gesetz verankert

Es gibt „Varianten“ der Geschlechter – künftig nimmt das Gesetz erstmals Rücksicht auf sie. Doch was genau wird sich künftig ändern?

Lange kannte das deutsche Personenstandsrecht nur Mann und Frau, demnächst wird es etwas Neues kennenlernen. Wird die Geburt eines Neugeborenen beurkundet, kann statt „weiblich“ oder „männlich“ eine dritte Bezeichnung angegeben werden, „divers“. Einen entsprechenden Gesetzentwurf der Regierung hat der Bundestag jetzt verabschiedet, gegen die Stimmen der AfD und bei Enthaltung der übrigen Opposition.

Menschen, bei denen sich das Geschlecht nicht klar zuordnen lässt, bekommen damit erstmals eine eigene Kategorie und rechtliche Anerkennung. Der Gesetzgeber spricht von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ und bezieht sich dabei auf medizinische Diagnosen. Die Regelung soll auch auf die spätere Entwicklung Rücksicht nehmen. Ein als „divers“ markiertes Kind kann später die Zuordnung durch Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern oder sogar ganz streichen lassen. Das soll schon, mit Einwilligung der Eltern, ab dem 14. Lebensjahr möglich sein; wenn diese sich weigern, entscheiden die Familiengerichte. Zugleich darf man den Vornamen ändern.

Umstritten blieb bis zum Schluss der Bezug zu medizinischen Diagnosen. Dass eine „Variante“ vorliegt, sollen Betroffene mit einem Attest beweisen müssen. Dieser Punkt war im Gesetzgebungsverfahren bis zum Schluss umstritten. Manche forderten, eine bloße eidesstattliche Versicherung genügen zu lassen oder sogar ganz von derartigen Prüfungen abzusehen. Die Koalition fand einen Kompromiss: Die Attestpflicht bleibt prinzipiell bestehen, entfällt aber bei Personen, die sich medizinisch behandeln ließen, jedoch über keine ärztliche Bescheinigung verfügen und ein entsprechender Nachweis mittels einer Untersuchung unzumutbar wäre. Dies müssen Betroffene allerdings eidesstattlich versichern. Kritiker bemängeln zudem, dass Transsexuelle nicht erfasst seien.

Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot

Dass es nun ein „drittes Geschlecht“ gibt, ist keine politische Entscheidung. Vielmehr hat es das Bundesverfassungsgericht mit einem Beschluss vom Oktober 2017 eingefordert und eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt. Das Gericht stellt die geschlechtliche Identität in den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und zählt dazu ausdrücklich Fälle, „die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“. Der Zuordnung zu einem Geschlecht komme für die individuelle Identität eine herausragende Bedeutung zu, hieß es, sie nehme eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen werde.

Zwar musste man sich bis dahin nicht zwangsweise einem der Geschlechter zuordnen lassen. Doch die bislang allein mögliche Kategorie „fehlende Angabe“ genüge nicht. „Hierdurch ist die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet“, urteilten die Richter und stellten zugleich einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot fest.

Das Ergebnis einer Klage

Geklagt hatte eine intersexuelle Person, die beim Standesamt zunächst noch als Mädchen eingetragen war. Weil die pubertätstypischen Entwicklungen ausblieben, wurde das Kind untersucht. Es gab zwar Eierstöcke, aber sie waren funktionslos. Statt des bei Jungen üblichen Geschlechtschromosoms XY und bei Mädchen XX verfügte das Kind nur über ein X. Der Defekt ist als Turner-Syndrom bekannt, meist enden die Schwangerschaften mit Fehlgeburten. Die Ärzte verordneten Östrogen, erst später erkannte der Jugendliche, dass er mit Testosteron glücklicher wurde. Er ließ sich einen Bart wachsen und betonte seine Männlichkeit. Mit Unterstützung von Interessengruppen zog er durch die gerichtlichen Instanzen.

Indentifikation muss sein

Zu einem Geschlecht zu gehören, ist im Alltag und rechtlich relevant. Pass und Gesundheitskarte enthalten Geschlechtsangaben, die Geburtsurkunde ist für Anmeldungen und Abschlüsse im Bildungsgang oder in der der Berufslaufbahn erforderlich. Trotzdem hat das Verfassungsgericht klargestellt, dass eine Festlegung aus rechtlicher Sicht nicht verlangt sei. Zudem ergibt sich aus dem Beschluss auch nicht, dass entsprechende Feststellungen zwingend eine biologische Grundlage haben müssen. Ausschlaggebend sei vielmehr das „eigene Empfinden“ der Geschlechtlichkeit. Kritiker sehen darin eine Ablösung von naturwissenschaftlichen Voraussetzungen der Geschlechtsbestimmung. Studien zufolge ordnen sich die meisten Betroffenen in Alltag und Lebenswirklichkeit dennoch einem der beiden Geschlechter zu.

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