„Herr Unger, was ist wichtiger: Klopapier oder Nudeln?“: Das denkt Deutschlands oberster Katastrophenschützer über das Hamstern
Der Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt Tipps, was man immer zu Hause haben sollte. Die Lebensmittelversorgung sieht er nicht in Gefahr.
Christoph Unger ist seit 2004 Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Die Behörde ist eigentlich für den Schutz der Bevölkerung im Krieg zuständig. Aktuell informiert das Amt aber auch in der Corona-Krise mit seinem Warnsystem die Bevölkerung. Unger ist Mitglied des Krisenstabs des Innenministeriums zur Eindämmung des Coronavirus. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft arbeitete Unger zunächst am Verwaltungsgericht Braunschweig. Später war er mehrere Jahre als Referent und Leiter des Ministerbüros im Innenministerium Niedersachsen tätig, bevor er dort in den Bereich Katastrophenschutz wechselte.
Herr Unger, was ist wichtiger: Klopapier oder Nudeln?
Beides ist wichtig für die Vorratshaltung, aber in den gebotenen Mengen.
Seit das Coronavirus sich in Deutschland ausbreitet, sind die Supermarktregale oft leer. Ist es sinnvoll, einen Notvorrat anzulegen?
Wir empfehlen den Menschen seit vielen Jahren, auch unabhängig von Corona, sich einen Vorrat anzulegen, der für zehn Tage reicht. Es können immer Situationen eintreten, in denen es gut ist, wenn man in der Speisekammer oder im Keller Vorräte hat. Etwa wenn es einen großen Stromausfall gibt, so wie im letzten Jahr in Berlin-Köpenick. Das bedeutet aber nicht, dass man 50 Kilogramm Mehl oder 25 Pakete Klopapier horten sollte.
Sie halten Hamsterkäufe in der jetzigen Situation für übertrieben?
Vorratshaltung ist gut, Hamstern ist unsinnig. Im Moment sollte man vor allem darauf achten, soziale Kontakte zu reduzieren. Das heißt: Lieber alle paar Tage einen größeren Einkauf machen als jeden Tag in den Supermarkt zu gehen. Denn dort trifft man jedes Mal auch Menschen.
Müssen wir uns Sorgen machen, dass es bald keine Lebensmittel mehr geben wird?
Nein. Definitiv nein.
Wer liefert denn frische Lebensmittel an die Händler, wenn Lkw-Fahrer ausfallen oder es stundenlange Staus an den Grenzen gibt?
Es kann sein, dass es aufgrund von Ausfällen zu längeren Wartezeiten und möglicherweise zu kurzfristigen Engpässen bei bestimmten Waren kommt. Grundsätzlich ist die Lebensmittelversorgung jedoch nicht gefährdet. Da sind sich alle einig, die damit befasst sind – die Landwirtschaftsministerin, Behörden und Verbände, Vertreter der Lebensmittelwirtschaft.
In Zeiten des Kalten Krieges hat der Bund eine Nahrungsmittelreserve angelegt, auch heute werden noch knapp 800 000 Tonnen Lebensmittel in ganz Deutschland in geheimen Lagern aufbewahrt, pro Bürger sind es etwas zehn Kilo. Werden wir diese Vorräte in der Corona-Krise irgendwann antasten müssen?
Nein. Nochmal: Die alltägliche Lebensmittelversorgung ist gesichert. Natürlich kann es mal vorkommen, dass es keine Backhefe oder kein Mehl gibt. Doch es gibt im Moment keine Planung, die staatlichen Nahrungsmittelreserven in irgendeiner Form anzutasten.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt – auch ohne Pandemie – einen Notvorrat an lebenswichtigen Dingen zu Hause zu haben. Was gehört dazu?
Das Wichtigste ist Wasser. Wobei die Wasserversorgung in der Corona-Krise kein Thema ist, auch die Stromversorgung ist nicht gefährdet. Grundsätzlich sollte man haltbare Lebensmittel vorrätig haben, und zwar solche, die man auch regelmäßig selbst isst. Auf unserer Internetseite haben wir eine konkrete Liste mit Empfehlungen. Dort stehen auch Fischkonserven, die ich ehrlich gesagt selbst nicht mag, deshalb würde ich persönlich sie auch nicht einlagern. Wichtig ist, dass eine gewisse Breite vorhanden ist, von Obst- und Gemüsekonserven bis hin zu Salz.
Und Klopapier.
Ja, auch Hygieneartikel sollte man vorrätig haben.
Und in diesen Tagen auch fiebersenkende Schmerzmittel, falls man wegen des Coronavirus zu Hause in Quarantäne bleiben muss?
Man sollte die Medikamente im Haus haben, die man regelmäßig braucht. Schmerztabletten sind natürlich auch sinnvoll.
Viele Ärzte und Krankenhäuser haben im Moment Probleme, an Schutzkleidung oder Atemschutzmasken zu kommen. Müssen wir wieder stärker darüber nachdenken, bestimmte Dinge auch hierzulande zu produzieren und staatlich vorzuhalten?
Seit einigen Jahren hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe einen Vorrat an bestimmten Medikamenten und Sanitätsmaterial angelegt, den wir auch ausweiten wollen. Da wir für den Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall zuständig sind und nicht für Pandemiebekämpfung, sind wir bei unseren Materialien allerdings stärker auf Verletzungen ausgerichtet. Sicher wird eine der Erfahrungen aus der Corona-Krise sein, dass wir uns besser für den Fall einer Pandemie oder einer Epidemie ausstatten müssen. Aber es wird ja auch schon jetzt nachgesteuert: Der Krisenstab des Bundesinnenministeriums, in dem auch wir vertreten sind, hat sehr frühzeitig beschlossen, die nationale Produktion hochzufahren, nicht nur bei Schutzkleidung, sondern auch bei Beatmungsgeräten. Solche Hersteller im Land zu haben, ist in so einer Krisensituation enorm wichtig.
In Ihrer Behörde gibt es ein Referat zum psychosozialen Krisenmanagement, das Empfehlungen für Ausnahmesituationen gibt: Was sollten Eltern beachten, die jetzt wochenlang mit den Kindern zu Hause sind?
Eltern sollten versuchen zu erklären, was gerade passiert. Die Kinder merken ja, dass wir Erwachsene besorgt sind. Die Kinder sind vielleicht auch selbst verängstigt durch manche Fernsehbilder oder weil ein Mensch im Schutzanzug an die Wohnungstür kommt, um einen Abstrich für den Corona-Test zu nehmen. In solchen Zeiten ist es wichtig, dass Eltern sich intensiv um ihre Kinder kümmern, mit ihnen reden, für sie da sind als Vertrauens- und Bezugspersonen.
Und wie beschäftigt man die Kinder den ganzen Tag?
Auch wenn man vielleicht nicht mehr in den Wald oder auf den Spielplatz gehen kann, sollte man Kinder motivieren, sich zu bewegen und in der Wohnung rumzutoben. Grundsätzlich sollte man den Tag strukturieren, an vertrauten Dingen festhalten. Gleichzeitig sollte man Abwechslung schaffen. Und man sollte versuchen für die Kinder und sich selbst Corona-Pausen zu machen. Es hilft nichts, sich den ganzen Tag nur mit den neuesten Entwicklungen in der Corona-Krise zu beschäftigen. Man muss auch Abstand gewinnen. Also lieber gemeinsam etwas spielen als noch die nächste Sondersendung gucken.
Haben Sie auch Tipps für Erwachsene, wie man häusliche Quarantäne übersteht?
Auch hier gilt, dass man den Tag strukturieren und sich nicht zu sehr treiben lassen sollte. Wichtig ist, mit Freunden und der Familie in Verbindung zu bleiben, übers Telefon oder soziale Medien. Wer depressiv werden könnte, sollte die Telefonseelsorge und andere Anlaufstellen nutzen. Und nicht zuletzt kann jeder einzelne sich in seiner Wohnung auch ein bisschen sportlich betätigen. Mein Fitnessstudio bietet virtuelle Kurse an, es gibt Tanzstudios, die so etwas machen. Wenn man aktiv sein will, gibt es eine ganze Menge Möglichkeiten. Aber klar ist: Unter dem Strich ist das für uns alle eine ätzende Situation.
Bayern hat den Katastrophenfall ausgerufen. Was bedeutet das eigentlich?
Unser Grundgesetz unterscheidet beim Bevölkerungsschutz zwischen Zivilschutz und Katastrophenschutz. Für den Zivilschutz, also den Schutz der Bevölkerung im Krieg, ist der Bund zuständig, also auch meine Behörde oder das Technische Hilfswerk. Die 16 Bundesländer mit ihren 400 Katastrophenschutzbehörden sind zuständig für alle anderen Krisen und Katastrophen. Ein Land kann den Katastrophenfall ausrufen, wenn ein großer, mit alltäglicher Gefahrenabwehr nicht mehr zu bewältigender Schaden droht oder schon eingetreten ist – und wenn es zur Bewältigung dieser Lage einer einheitlichen Leitung bedarf.
Was bedeutet das konkret?
Nicht mehr jeder einzelne Landrat entscheidet, was zu tun ist. Es wird eine besondere Organisation aufgebaut, die dem Ministerpräsidenten oder dem Innenminister eines Landes untersteht. Entscheidungen können schneller und einheitlicher getroffen werden, es wird nicht mehr lange in unterschiedlichen Gremien diskutiert.
Befindet sich inzwischen nicht ganz Deutschland im Katastrophenzustand?
Es ist Sache der Länder, den Katastrophenfall zu erklären. Aber natürlich ist die Ausbreitung des Coronavirus ein Thema für die ganze Republik. Und auch wenn der Bund bisher in vielen Dingen nur Empfehlungen geben kann: In den Ländern haben alle erkannt, dass wir nach einheitlichen Standards vorgehen sollten.
Kann Deutschland mit seiner föderalen Struktur denn schnell genug auf die Krise reagieren?
Es würde in der aktuellen Lage überhaupt keinen Sinn machen, über verfassungsrechtlich vorgegebene Strukturen zu diskutieren. Wir haben alle Hände voll zu tun, die Lage zu bewältigen. Sicher werden wir unsere Lehren aus dieser Krise ziehen. Aber wir sollten nicht jetzt eine Diskussion lostreten, ob die föderale Struktur funktioniert oder nicht.
Bayern hat Ausgangsbeschränkungen verhängt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. An diesem Sonntag berät die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, ob bundesweite Ausgangssperren notwendig sind. Halten Sie solche Einschränkungen für sinnvoll?
Ich bin kein Fachmann in Pandemiebekämpfung. Für mich als Juristen ist es wichtig, dass die Maßnahmen, die der Staat trifft, immer verhältnismäßig sein müssen. Ich finde es vernünftig, auf Sicht zu fahren und zu gucken, welche Wirkung die getroffenen Maßnahmen haben. Denn es geht ja immer auch um Einschränkung von Grundrechten. Wenn die Infektionskurve nicht abflacht, können weitere Maßnahmen notwendig werden. Das hat ja auch die Kanzlerin gesagt.
Im Jahr 2012 hat die Bundesregierung das Szenario eines Pandemiefalls durchspielen lassen, ausgelöst durch ein fiktives Virus. Die damalige Risikoanalyse ging davon aus, dass die Pandemie über einen sehr langen Zeitraum anhält, „mit immens hohen Opferzahlen und gravierenden Auswirkungen“ auf den Menschen. Müssen wir uns darauf einstellen, dass das Coronavirus uns über mehrere Jahre zu schaffen machen wird?
Die Risikoanalyse von 2012 basiert auf einem hypothetischen Szenario. Die aktuelle Lage ist jedoch für alle Beteiligten neu. Es gibt zwar theoretische Darstellungen der Abläufe, die auf uns zukommen könnten. Bei der Frage, was wir aktuell zu erwarten haben, richten aber auch wir unsere Blicke auf die medizinischen Fachleute.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa sprechen davon, dass wir uns in einem Krieg befinden.
Ich glaube, das liegt daran, dass viele medizinische Begriffe militärisch geprägt sind. Mediziner sagen auch, sie wollen Corona besiegen. Rein verfassungsrechtlich befinden wir uns natürlich nicht in einem Krieg.
Im Internet und den sozialen Netzwerken kursieren jede Menge Falschmeldungen zum Coronavirus. Wie kann eine Behörde wie die Ihre dem begegnen?
Durch Transparenz und klare Botschaften. Nur so schaffen wir es, einigermaßen im Griff zu behalten, was in sozialen Netzen passiert. Wir verbreiten Informationen und Tipps auf verschiedenen Kanälen, zum Beispiel auf Twitter. Wir werden in den nächsten Tagen auch unser Warnsystem intensiver nutzen, um die Menschen schneller und besser zu erreichen. Dazu muss man sich nur eine App herunterladen. Wir verstehen uns in der aktuellen Situation auch als vertrauenswürdiges Sprachrohr der Bundesregierung.
Wie kann man in diesen Zeiten möglichst viele Menschen erreichen?
In der Krise bekommen auch altehrwürdige Institutionen wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine sehr wichtige Rolle. Auch Zeitungen haben eine enorme Bedeutung. Die Menschen orientieren sich daran.
Dass die Bundeskanzlerin sich in einer Fernsehansprache an die Bürger gewandt hat, war ungewöhnlich. Wie können Sie darüber hinaus den Menschen deutlich machen, wie ernst die Lage ist?
Ich bin sicher: Viele haben den Ernst der Lage verstanden. Die große Masse der Bevölkerung verhält sich vernünftig und sehr sozial. Es gibt viele Beispiele, wo Nachbarn sich untereinander helfen. Das ist doch auch ein positives Signal. Ich sehe das als Licht am Ende des Tunnels.