Machtverschiebung am Golf: Das Comeback der schiitischen Vormacht Iran
Die arabische Welt ist marode, leblos und politisch erstarrt. Im Nahen Osten gewinnen dafür andere Staaten an strategischer Bedeutung. Ein Kommentar.
Als ihre Welt noch in Ordnung war – der Ölpreis hoch, die Waffenbestellungen opulent und der Iran fest verschraubt in der Achse des Bösen – fühlten sich die Golf-Herrscher in Washington stets hochwillkommen. Demonstrativ genossen sie ihre Rolle als exklusive Verbündete. Ihre regionalpolitischen Ansichten wurden im Weißen Haus weitgehend geteilt und ihre Rüstungswünsche stets wohlwollend bedient. Seit sich jedoch bei den Atomgesprächen mit der Islamischen Republik Iran eine historische Einigung abzeichnet, gehen zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Staaten die Wogen hoch. Noch nie in den vergangenen Jahrzehnten war die Stimmung so grollend und angespannt.
Der saudische König Salman ließ Barack Obamas Einladung zu einem Gipfeltreffen nach Camp David kurzfristig platzen. Bahrains Monarch reiste lieber zu einer Pferdeschau nach Großbritannien. Die Herrscher von Oman und den Emiraten dagegen sind schwer krank. Und so erschien Mitte der vergangenen Woche auf dem waldigen Feriensitz des amerikanischen Präsidenten nur das ungleiche Duo aus Qatars 34-jährigem Nachwuchs-Emir und seinem steinalten 85-jährigen Herrscherkollegen aus Kuwait.
Massenwettkämpfe im Koranzitieren
Kurzfristig ist der provokante Kollektivboykott der Golf- Herrscher für das Weiße Haus ein diplomatischer Affront. Langfristig jedoch wird er vor allem dem strategischen Gewicht der notorisch zerstrittenen arabischen Öl-Staaten schaden. Denn mit der Türkei, Iran und Israel sind im Nahen und Mittleren Osten alle stabilen Nationen mittlerweile nicht-arabisch – und damit gesetzte Partner der internationalen Gemeinschaft. Mit Israel verbindet die USA seit den sechziger Jahren eine besondere Allianz. Die Türkei ist als einziges muslimisches Land Mitglied in der Nato. Und der Iran ist wegen seiner Bevölkerungszahl, seiner Bodenschätze sowie seiner gut ausgebildeten und fähigen Bürger eine Nation, die sich nur mit sehr hohen politischen Kosten auf Dauer ignorieren lässt.
Die arabische Welt dagegen ist marode, leblos und politisch erstarrt. Ihre Eliten kümmern sich einzig um ihren Machterhalt. Und ihre Herrscher wissen genau, dass sie dem zivilgesellschaftlichen Potenzial der nicht-arabischen Konkurrenz nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen haben. Massenwettkämpfe im Koranzitieren oder klimatisierte Luxus-Shopping-Malls machen noch keine entwickelte Gesellschaft aus. Der Libanon hat seit über einem Jahr keinen Präsidenten mehr. Die Golfstaaten lassen von einem 20-Millionen- Heer rechtloser Migranten die Arbeit machen, während zwanzig bis dreißig Prozent der eigenen jungen Leute ohne Berufsaussichten herumlungern.
Ägyptens Militärregime hält sich nur durch rigorose Unterdrückung aller Andersdenkenden an der Macht, wie gerade das Todesurteil gegen den ehemaligen Präsidenten Mursi zeigt. Ein Drittel der Bevölkerung Algeriens will nach Umfragen nur noch eins – weg aus ihrer Heimat. In Syrien, Irak, Libyen und Jemen toben Bürgerkriege und machen die Region zum Schauplatz des größten Flüchtlingsdramas seit dem Zweiten Weltkrieg. Das „Islamische Kalifat“ hat sich im Herzen des Fruchtbaren Halbmonds fest etabliert und herrscht mittlerweile über zehn Millionen Leute. Und seine Terrorfilialen machen sich in immer mehr arabischen Staaten breit.
Comeback der schiitischen Vormacht Iran
Während der vergangenen drei Jahrzehnte haben die Vereinigten Staaten und Europa vor allem auf die sunnitisch dominierten Mächte in der Region gesetzt. Mit dem internationalen Comeback der schiitischen Vormacht Iran jedoch wird sich schon bald eine neue strategische Dynamik entwickeln. So könnte die westliche Welt mit Teheran bisher undenkbare Kooperationen eingehen, wenn dies den wechselseitigen Interessen dient. Auf irakischem Boden im Krieg gegen den „Islamischen Staat“ existiert bereits eine taktisch-militärische Arbeitsteilung.
Auch im Blick auf die kürzlich reaktivierten Ambitionen von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei, das Assad-Regime doch militärisch zu stürzen, gehen die USA regionalpolitisch auf Distanz. Denn Washington befürchtet, von einem chaotischen Zusammenbruch der Diktatur werden vor allem die Extremisten profitieren, während der alawitischen Minderheit Assads der Genozid droht. Im Jemen wiederum verstehen sich die von den Saudis als Handlanger Irans verfemten Huthis als kompromisslose Gegner der Al-Qaida-Terroristen – durchaus im Sinne Amerikas.
Und so werden die westlichen Mächte wohl künftig nicht mehr so unbesehen wie bisher die strategischen Sichtweisen der Öl-Herrscher auf der Arabischen Halbinsel akzeptieren. Auch könnten sie mit mehr Nachdruck Antworten einfordern zu Themen wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Terrorfinanzierung und radikale Islamistenmission. Und sie könnten die selbstgefällige arabische Sicht, für alle Probleme in der Region das Ausland im Allgemeinen und den Iran im Besonderen zum Sündenbock zu stempeln, mit deutlich energischerem Pochen auf innere Reformen kontern. Denn einen Großteil der gegenwärtigen Misere haben sich die arabischen Führungen selber zuzuschreiben – ihrem repressiven Autoritarismus, ihrem mangelhaften sozialen Bewusstsein und ihrer korrupten Regierungspraxis.