Ausschuss zum Fall Sebastian Edathy: Das beredte Schweigen des Michael Hartmann
Einen „Affront“ nennt es die CDU. „Überraschend“, sagt die SPD: Der Sozialdemokrat Michael Hartmann, eine zentrale Figur in der Polit-Affäre um Sebastian Edathy, verweigert vor dem Untersuchungsausschuss die Aussage.
Kein Gruß. Kein eifriges Händeschütteln wie noch bei der letzten Befragung im Dezember. Sein Gesicht gezeichnet von den Strapazen der vergangenen Wochen und Monate. In Mainz mag man sich zurzeit fröhlich auf den Karneval einstimmen, für diesen Mainzer aber ist Aschermittwoch: Michael Hartmann. Er lehnt, beinahe regungslos, an seinem Stuhl im Sitzungssaal 3101 im Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages. Hier tagt der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Fall Sebastian Edathy.
Und Michael Hartmann steht im Mittelpunkt – an diesem Donnerstag, aber auch insgesamt. Er soll derjenige sein, der Edathy über mögliche Ermittlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie-Vorwürfen informiert habe. Das sagt Edathy, das sagen weitere Zeugen. Das sagt der Anwalt von Edathy, Christian Noll, der vor Hartmann befragt wurde.
Kurz bevor diese Befragung endet, erreicht um 15.38 Uhr ein fünfseitiges Fax den Ausschuss – Absender die Anwaltskanzlei Eisenberg im Auftrag von Hartmann. Es ist ein Dokument, das den Ausschuss in Aufregung versetzt. Und ihn auf Wochen, wenn nicht gar Monate ausbremsen wird. Denn darin erklären die Anwälte, dass Hartmann seine Aussage verweigern wird, die für den späten Nachmittag geplant war.
Die Abgeordneten müssen sich zu Beratungen zurückziehen. Einen „Affront“ nennt das die CDU. „Überraschend“, sagt die SPD. Die Opposition spricht von einer Diskreditierung des Ausschusses, auch weil Hartmann über seine Anwälte ausrichten lässt, dass er glaubt, ohnehin nicht sachlich befragt zu werden, das Urteil über ihn sei längst gefallen. Tragende Mitglieder seien an Sachaufklärung „gänzlich uninteressiert“.
„Wenn Sie keine Ahnung haben, sind sie hier fehl am Platz.“
Die Abgeordneten wollen Hartmann trotzdem im Ausschuss haben. Sie wollen ihn wenigstens vorführen. Sie wollen sehen, wie weit die Aussageverweigerung geht. Also taucht Hartmann auf. Das Wort aber hat sein Anwalt Stefan König, der sofort erklärt, dass sein Mandant keine Aussage tätigen wird. Die Ausschussvorsitzende Eva Högl (SPD) hakt nach. König schreitet ein. Lauter Widerspruch. König blafft: „Wenn Sie keine Ahnung haben, sind sie hier fehl am Platz.“ Wieder Wortgefechte. Hartmann wird weiter befragt. „Ich nehme mein Aussageverweigerungsrecht in Anspruch“, sagt er immer und immer wieder. Dann unterbrechen die Abgeordneten, um sich zu beraten. Das Ergebnis: Sie wollen wenigstens zwei Fragen stellen: Warum er sich dennoch inhaltlich in der Erklärung einlasse. Und ob er sich zu den Punkten äußern werde. Denn in der Erklärung der Anwälte Hartmanns heißt es, es stehe fest, dass „der Zeuge Edathy vor dem Ausschuss die Unwahrheit gesagt hat“. Aber Hartmann bleibt dabei: keine Aussage.
Warum geht Hartmann diesen Schritt. Auf den ersten Blick hat es formale Gründe. Es laufen jetzt Vorermittlungen gegen Hartmann. Verdacht der Strafvereitelung, falls er Edathy tatsächlich informiert hat. Und es geht auch um den Verdacht der Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Denn dort hat er im Dezember alle Anschuldigungen bestritten. Der Ausschuss wird die Sitzungsprotokolle der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellen. Insofern ist es Hartmanns gutes Recht, sich durch weitere Aussagen nicht selbst zu belasten.
Michael Hartmanns politische Zukunft steht auf dem Spiel
Doch es geht für den SPD-Mann geht es um mehr. Nach seinem Geständnis im Sommer 2014, Chrystal Meth konsumiert zu haben, musste er als innenpolitischer Sprecher zurücktreten. Als Fraktionsmitglied blieb er geduldet. Jetzt steht seine gesamte politische Zukunft auf dem Spiel. Warum hat er nicht gleich die Aussage verweigert? Warum jetzt?
Die entscheidende Frage aber ist: Wer profitiert davon? Hartmann selbst am wenigstens. Seine Aussageverweigerung wirkt wie ein Eingeständnis. Aber seine Partei profitiert. Denn Hartmann kann sie nicht belasten. Die Sozialdemokraten haben die Möglichkeit, sich enttäuscht, verärgert, überrascht zu geben, über die Nicht-Aussage. Sie können es bedauern, nach dem Motto, wir hätten gerne zur Aufklärung beigetragen. Aber neue Gefahr droht erstmal nicht. Sie haben Zeit gewonnen. Vor allem auch, weil der Ausschuss mit der Mehrheit der Koalition beschlossen hat, nun erstmal weitere Zeugen vom Bundeskriminalamt zu vernehmen – und nicht etwa die Parteispitzen, wie es Linke und Grüne gerne gehabt hätten. Am Ende, das wissen die Sozialdemokraten, geht es hier nicht um Hartmann, es geht vor allem um Fraktionschef Thomas Oppermann, der mit Hartmann über Edathy gesprochen hat. Angeblich nur über dessen Gesundheitszustand. Der gesamte Fall Edathy ist eine enorme Belastung für die Glaubwürdigkeit der SPD und da ist es gut, wenn erstmal keine neue Belastung durch Hartmann hinzukommen kann. Zum Mandatsverzicht können sie ihn ohnehin nicht zwingen, aus der Fraktion aber können sie ihn ausschließen. Wirklichen Grund dafür gibt es erstmal nicht - solange die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Der Koalitionspartner, die Union, verhält sich zwar noch einigermaßen ruhig, aber es gibt erste Risse. „Man muss es so sagen: Die Version von Edathy ist bisher die wahrscheinlichste“, sagt Armin Schuster, Obmann der Union. Und in der Tat, der Gewinner des Tages ist auf gar nicht vor Ort: Sebastian Edathy. Er kann sich nun erstmal als größter Aufklärer in dieser verworrenen, schmutzigen und für den gesamten Politikbetrieb belastenden Affäre gerieren. Natürlich ist längst nicht belegt, wie es die Linke sagt, dass Hartmann definitiv Edathy informiert habe. Aber das Gegenteil zu beweisen wird auch immer schwerer. Auch für die SPD. Vielleicht will sie es auch gar nicht. Vielleicht kann sie es auch nicht. Hartmann könnte zur Aufklärung beitragen. Tut es aber an diesem Donnerstag nicht. Er verlässt den Saal, so wie er gekommen ist – ohne Lächeln.