Jugendwahn und Frauenbild: Das Alter ansehen
„Jugend ohne Schönheit hat immer noch Reiz. Schönheit ohne Jugend keinen“, sagte schon Arthur Schopenhauer. Seither ist es für Frauen nicht leichter geworden, ihr Alter zu ertragen. Einige schlagen Krach.
Vor ihr liegen hohe weiße Stiefel auf dem Boden, mit Fransen und spitzem Absatz für den selbstbewussten Auftritt, wie achtlos hingepfeffert. Sie selbst in Paillettenrock und engen schwarzen Strümpfen, die dunklen Locken türmen sich, das alte Gesicht bleich und reglos unter dicken Schichten von Puder, steht vor einem Schminktisch mit Spiegel, in den sie nicht schaut.
Charlotte Collet ist Motiv Nummer eins, und sie wartet auf Anweisungen. Es soll ein Foto gemacht werden.
Die Kulisse dafür ist aufgebaut in der Ecke hinter dem Eingang zu einem großen alten Konzertsaal. An dessen gegenüberliegender Seite erstreckt sich eine breite Bühne.
Man könnte das allegorisch für eine Gesellschaft sehen, die gealterte Frauen ausgrenzt: Ihr Platz ist so weit wie möglich entfernt von dem Ort, an dem das Leben spielt – die Bühne –, und bevor das öffentliche Augenmerk – der Fotoapparat – sie in den Fokus nimmt, musste sie sich stark verschönern.
Charlotte Collet würde das so nie sehen. Alter und Schönheit? Das ist nichts, womit sie sich je beschäftigt hätte, sagt sie später, als Make-up, Puder, Perücke und die falschen Wimpern wieder ab sind. Dafür war gar keine Zeit.
Wie altern Frauen? Offenbar zunehmend im Zorn
Sie kam lange vor den heute 40-, 50- und 60-Jährigen zur Welt, was ihr ein hartes Leben einbrachte, sie aber auch verschonte mit manchen Fragen, die sich heute massiv stellen. Charlotte Collet ist 88 Jahre alt. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, waren ihre Eltern tot und sie hatte ihre Geschwister zu versorgen. Dann bekam sie selber fünf Kinder, ging Geld verdienen, immer war zu kämpfen, dann wurde der Mann krank, pflegebedürftig, inzwischen ist er tot.
„Wie ich aussehe?“, sagt Charlotte Collet und lacht. „Weiß ich nicht. Aber ich hatte fünf hübsche Kinder.“
Wie altern Frauen seither? Wer die wachsende Zahl von Büchern zum Thema sieht, stellt fest: immer seltener in Collet’scher Selbstverständlichkeit. Sondern im Zorn auf eine Gesellschaft, die selbst altert und sich nach Jugend sehnt – und das vor allem an ihnen auslässt.
„Wir wilden weisen Frauen: Von der Kunst des Älterwerdens“ ist gerade neu ins Regal gekommen. Autorin ist Renate Daimler, die die Generation der „Beautiful Old Women“ erfinden will und zuvor schon mit „Lust auf 50“ ein Plädoyer gegen das „Verfallsdatum“ geschrieben hat, das die Gesellschaft den Frauen aufdrücke. Auch neu: „Die verratene Generation – Was wir den Frauen in der Lebensmitte zumuten“ von Kristina Vaillant und Christina Bylow, zwei Autorinnen aus der Babyboomergeneration, die vorrechnen, warum die erste Frauengeneration, die mit besten Ausbildungsabschlüssen in den Beruf startete, einem Alter in Armut entgegenblickt. Weil sie sich doch zwischen Arbeit und Familie entscheiden musste, mit allen Konsequenzen für ihre Rentenansprüche. Aus dem Jahr davor: „Da geht noch was – Mit 65 in die Kurve“, Gedanken der Journalistin Christine Westermann über das Älterwerden. Es gibt Titel wie „Anmutig älter werden“ von der Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek und „In Schönheit altern“ von ihrer Berufskollegin Christine Kaufmann.
Junge Frauen werden sexualisiert - das schlägt später in Abwertung um
Angekündigt für Januar 2015 ist: „Ein bisschen gleich ist nicht genug!: Warum wir von Geschlechtergerechtigkeit noch weit entfernt sind. Ein Weckruf“. Das wieder grundsätzlicher ansetzende Buch kommt von der Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg. Aus dem Klappentext: „Ob Spielzeug, Werbung oder Medien – überall werden Frauen sexualisiert.“ Was in Abwertung umschlägt, wenn die Frauen alt werden.
Das ist als Klage nicht neu. Simone de Beauvoir stellte schon Mitte der 1970er Jahre fest, dass Frauen, weil sie in einer Männerwelt als „erotisches Objekt“ verortet würden, im Alter zwangsläufig in eine immer ungünstigere Lage gerieten. Und lange davor schrieb Arthur Schopenhauer: „Jugend ohne Schönheit hat immer noch Reiz. Schönheit ohne Jugend keinen.“ Heute heißt es dagegen oft, man sei so alt, wie man sich fühle. Das mag für den Einzelnen stimmen, aber ist das auch gesellschaftlicher Konsens?
Das Ansehen von Frauen knüpft sich an ihre biologische Nützlichkeit
Die österreichische Soziologin Elisabeth Hellmich hat die „Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft“ untersucht. Sie stellte fest, dass Frauen jenseits der Wechseljahre aus dem öffentlichen Blick verdrängt würden. Es gebe für sie kaum noch Rollenmuster. Sie können die böse Hexe sein, die liebe Großmutter, die verrückte Alte. Bestenfalls gehen sie als charmante alte Damen durch. Und die Medien würden dies weitertreiben. Aber auch in Politik und Wirtschaft ist nur ein Geschlecht im Alter sichtbar: Oder wo wäre die Frau, die mit 70 Jahren zur Rettung eines verunglückten Flughafenprojekts eingestellt würde? Die mit über 80 den eskalierten Konflikt um einen unterirdischen Bahnhof moderieren soll?
Das Ansehen von Frauen, so beklagen es die vielen Autorinnen, knüpft sich an ihre biologische Nützlichkeit: die Möglichkeit zur Fortpflanzung – die ihr während des Vorhandenseins aber ebenso im Weg steht wie auch später, wenn sie vergangen ist. Erst werden Frauen schlechter bezahlt, weil sie wegen Familiengründung ausfallen könnten, dann rutschen sie als Mütter in Teilzeit- oder Minijobs und später ganz ins Abseits, weil sie alt, unfruchtbar und aus genannten Gründen oft auch arm sind.
Der Kalender zeigt Alter als Selbstverständlichkeit - nicht als Defizit
Der Fototermin an einem Augusttag im ehemaligen DDR-Funkhaus in Berlin ist auch auf all das eine Reaktion. Fotografiert wurde der Kalender 2015 für die Pflegestation Jahnke, der deren Patientinnen mal ganz anders zeigt. Nicht nur gebeutelt von ihrem Alter, das sich vor allem als Defizit darstellt: als Abwesenheit von Jugend, von Frische, Straffheit, Gesundheit. Sondern Alter als gleichberechtigten Teil des Lebens. So haben die Pflegedienstgründer Anni und Hans-Werner Jahnke sich das vorgestellt, als sie die karitative Idee vor 20 Jahren entwickelten (der Kalender wird gegen Spendenzusage abgegeben und die Spenden gehen an gemeinnützige Projekte) – und dann erst mal festgestellt, wie schwierig es ist, die alten Leute zum Mitmachen zu bewegen. Mich alte Schachtel will doch keiner sehen!, hätten die gesagt.
„Frau Collet, können Sie gut stehen in den Strümpfen?“, fragt Esther Haase. Sie ist die Fotografin, eine schmale Frau in pinkfarbenen Turnschuhen. 1994 wurde sie erstmals von den Jahnkes engagiert und blieb ihnen und dem Kalender, obwohl längst eine weltweit gebuchte Modefotografin, seitdem treu. Jetzt bringt sie Charlotte Collet einen Stuhl, hockt sich hin und erklärt ihr das Motiv. Das Kalender-Thema ist Castingshow, und die Aufmachung von Frau Collet soll an Cher erinnern. Ausgerechnet! Wo doch Cher wie keine andere Frau das Aussehen in Vordergrund rückt und radikal vorlebt, dass der alternde Körper ein Feind ist, den es niederzuringen gilt. Nach vielen Operationen sieht sie mit fast 70 aus wie 40.
Sie sehe kein alt oder jung, sagt die Fotografin Esther Haase
Charlotte Collet nickt, und Esther Haase macht Fotos. Klickklickklick. Kurzer Blick in das Display. „Das sieht schon mal super aus!“, ruft sie. Dann soll Frau Collet eine Zigarette nehmen, dann arrogant schauen, dann beifallheischend. Je länger es dauert, desto lockerer wird Charlotte Collet. Am Ende klatscht die ganze Crew. Bild gemacht, Ziel erreicht.
Esther Haase sagt, sie sehe kein alt oder jung, sie sehe ein gelöstes oder ein angespanntes Gesicht, ob jemand gefangen sei in der Situation oder ganz bei sich. Dann sei jeder schön.
Für die Welt der Fotografie ist das keine überraschende Antwort. Warum gilt das nicht im Alltag, wo viel eher nach Jahreszahl und Aussehen geurteilt wird?
Das war schon öfter Gegenstand frustrierter Auflehnung. „Ich bin unsichtbar geworden“, lautete 1984 der Titel einer Aufmachergeschichte des „Spiegels“ über „Die Frau um 40“. Im Heft berichten Frauen, die als Hausfrauen gerade ihre Kinder ausziehen sahen oder im Beruf nicht weiterkamen, über Verlust- und Versagensängste. Erzählen davon, wie sie daran leiden, ihre Attraktivität schwinden zu sehen, dafür die Menopause nahen und Mediziner, die ihnen gegen „Beschwerden“ Tranquilizer und Östrogen-Präparate verschreiben würden. Und auch untereinander, stellt der Bericht fest, seien sie keine Hilfe, da sie sich den geringschätzenden Blick der anderen zu eigen gemacht hätten. Der Bericht zitiert Untersuchungen, nach denen „Frauen in den mittleren Jahren auch von ihren Geschlechtsgenossinnen am negativsten eingestuft werden. Gleichaltrige Männer hingegen besitzen in diesen Lebensjahren die größte Attraktivität.“
Dann kamen die Revolutionäre der 68er und die Feministinnen und stellten allerlei infrage und auf den Kopf. Aber manches auch nicht. Ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt. Eine Frau ist so alt, wie sie sich anfühlt. Das hielt sich.
"Gibt es ein Recht auf Begehrtwerden?" "Natürlich nicht!"
Weniger häufig sind Sprüche wie der von Nina Hagen: „Frauen werden Männern niemals ebenbürtig sein, solange sie nicht mit Glatze und Bierbauch die Straße runterlaufen können und immer noch denken, sie seien schön.“ Er steht vorn im Buch von Bascha Mika, Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ und davor lange bei der „taz“. Es heißt „Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“. Als sie es im Februar im Gespräch mit dem Journalisten und Verleger Jakob Augstein in Berlin vorstellte, ging es am Ende um graue Haare.
Da war die Debatte bei fehlenden Vorbildern für alternde Frauen angekommen, für deren Unauffindbarkeit im Fernsehen beispielsweise. Alte Frauen seien dort selten, und wenn doch, dann eben brünett oder blond, „aber sicher nicht grau“, sagte Bascha Mika, eine gut aussehende 60-Jährige, die selbst künstliches Blond trägt. Sie sprach in das zustimmende Lachen ihres Publikums hinein.
Das Alter setze Frauen einer „perfiden sozialen Geringschätzung“ aus, ist Mikas Überzeugung, es lösche sie als gesellschaftlich interessante Figur aus – ganz so, wie im „Spiegel“ vor 30 Jahren geklagt wurde.
Haarefärben, Graues übertünchen - Alter ist meist nur in den Ansätzen sichtbar
Und die Frauen tun, was sie können, um dem zu entgehen, in dem sie die Altersanzeichen vertuschen. Denn das Fehlen von grauen Haaren gilt nicht nur für Fernsehfrauen, es gilt für viele. 2008 wurde laut Statistik mehr Geld für Tönungs- oder Färbemittel als für Shampoo ausgegeben. Der Umsatz mit diesen Produkten betrug 2011 mehr als 293 Millionen Euro. Der offensichtlichste Hinweis auf den physischen Alterungsprozess wird nahezu flächendeckend übermalt und im Wortsinn nur in Ansätzen sichtbar. Wenn grauhaarige Frauen auftauchen, sind sie in der Regel bereits jenseits der 70.
Aber ob es nicht eher ein privates Problem sei, wollte Augstein von Bascha Mika wissen, wenn ältere Frauen sich übersehen fühlten, vor allem: von Männern übersehen fühlten? Sollten Frauen nicht lieber ihre Prioritäten ändern? „Gibt es ein Recht auf Begehrtwerden?“, fragte Augstein, mit Jahrgang 1967 einer jener Männer, die als „im besten Alter“ gelten und mit steigendem Alter mutmaßlich an Marktwert gewinnen werden. „Natürlich nicht“, antwortete Mika. Die Männer sind aber der Maßstab, weil die westlichen Gesellschaften männerzentriert sind. Was, wenn es andersherum wäre? „Stell dir vor“, gab sie Augstein zurück, „die Leute beachten dich nicht im gesellschaftlichen Raum.“ Wie ihm das wohl auf Dauer gefallen würde? Nicht sonderlich, signalisierte seine Miene. „Was wir begehrenswert finden oder nicht, fällt ja nicht vom Himmel“, sagte Mika noch. Das sei soziale Determinierung. Das seien Spielregeln, die man kennen sollte.
Viele der von ihr interviewten Frauen hätten gestanden, dass sie ihr Alter verleugneten, erzählt Mika. Nicht, weil es ihnen peinlich sei, sondern weil sie Nachteile fürchteten. Ältere Frauen hätten einen sinkenden Marktwert, sie wollten nicht mit nach unten gerissen werden.
Milliardenumsätze in der Schönheitsindustrie und ständig wachsende Ansprüche
Auch deshalb laufen alle bisherigen Versuche, die Gruppe der Menschen im Alter von 50 und mehr positiv zu besetzen, ins Leere. Sie als „Silver Ager“ oder „Best Ager“ anzusprechen und mit Blick auf ihre oft noch dicken Haushaltskassen als interessante Werbegruppe aufzuwerten. Niemand möchte sich einem sinkenden Schiff zurechnen lassen.
Drastischer geht es in „Die verratene Generation“ zu. „Vieles spricht dafür, dass die Verachtung gegenüber der älter werdenden Frau in den europäischen Industrienationen inzwischen ein Ausmaß erreicht hat, das rassistischen Stigmatisierungen in nichts nachsteht“, heißt es da im Kapitel „Zwang zur Sexiness“. Die gesamte Schönheitsindustrie hat sich auf die Älteren geworfen und macht Milliardenumsätze mit dem Versprechen, Alterungsanzeichen zu minimieren. Die nehmen das Angebot massenweise an, was aber nur dazu führt, dass die Ansprüche weiter steigen: Alt aussehen – verboten.
Charlotte Collet hat sich inzwischen zurückverwandelt in sie selbst und steht vor ihrem Wohnhaus im Berliner Norden. Eine alte Dame, die ein Hörgerät braucht und alles, was ansteht, in gebotener Langsamkeit erledigt. Ein Radfahrer kommt angeflitzt. Sie tritt einen Schritt zurück. Schönheitsoperationen? Sie lacht. Nein, unvorstellbar, das.
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