Familienministerin Franziska Giffey: „Damit es jedes Kind in Deutschland packt“
Zum Weltkindertag verspricht Familienministerin Franziska Giffey im Interview vollen Einsatz für den Nachwuchs. Bis zum Ende ihrer Amtszeit soll es armen Kindern besser gehen.
Frau Giffey, als Bundesfamilienministerin sind Sie Schirmfrau des Kindertages, der am 1. Juni gefeiert wird. Was bringt so ein Tag den Kindern außer warmen Worten?
Viele Kinder freuen sich sehr auf dieses Ereignis, weil es für sie ein ganz besonderer Tag ist. Manche Schulklassen und Kitagruppen machen Ausflüge oder feiern ein Sommerfest. Aber es geht um mehr. Ich finde es sehr wichtig, dass dieser Tag die Erwachsenen daran erinnert, sich ernsthaft mit den Rechten und Interessen der Kinder auseinanderzusetzen. Der Kindertag ist auch eine Aufforderung an uns, zu hinterfragen, wo wir besser werden müssen im Umgang mit unseren Kindern.
Wenn Sie an diesem Tag Bilanz ziehen: Wie gut geht Deutschland mit seinen Kindern um?
Jenseits aller Kritik wird für Kinder in Deutschland sehr viel getan. Wir haben ein gutes Schul- und Bildungssystem, das die Kinder im Blick hat. Aber klar, es gibt auch noch viel zu tun. Politik muss Probleme lösen. Wir müssen uns vor allem noch besser um die 20 Prozent der Kinder kümmern, denen es nicht so gut geht, die in sozialer und materieller Armut leben oder die sogar Gewalt ausgesetzt sind. Wir dürfen Kinderarmut nicht hinnehmen.
Können Sie solchen Eltern und Kindern am Weltkindertag sagen: Die große Koalition und ich als Familienministerin werden dafür sorgen, dass es euch am Ende der Legislaturperiode bessergeht?
Ich will, dass es vielen Kindern, die jetzt in Armut leben, bis 2021 bessergeht. Das ist mein Ziel. Ich habe es als Bildungsstadträtin und Bezirksbürgermeisterin in Neukölln erlebt, wenn 80 bis 90 Prozent der Kinder in sozial schwierigen und bildungsfernen Verhältnissen leben. Sie zu fördern, ist eine wirklich große Aufgabe.
Wie wollen Sie das hinbekommen?
Jeder Vorschlag und jedes Gesetz des Bundesfamilienministeriums muss einen Beitrag dazu leisten, dass es jedes Kind in Deutschland packt, egal, ob es in einer reichen oder armen Familie lebt. Was ich mir vorgenommen habe, lässt sich in zwei Bereiche aufteilen. Zum einen die materiellen Hilfen, die jede Familie im Portemonnaie spürt, und zum anderen, dass wir starke Institutionen haben. Also gute Kitas, eine starke Kindertagespflege und eine gute Betreuung auch für Kinder im Grundschulalter. All das gehört zu unserem Konzept gegen Kinderarmut.
Was haben Sie bei den materiellen Hilfen schon geändert oder wollen es in den nächsten Jahren ändern?
Wir erhöhen das Kindergeld, wir verbessern den Kinderzuschlag, wir bieten neue Leistungen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets und wir wollen auch Alleinerziehende stärken – der Unterhaltsvorschuss wurde ja nun endlich ausgebaut und kommt jetzt bei den Familien wirklich an.
Die Erhöhung des Kindergeldes kommt wohlhabenden Familien genauso zugute wie armen. Warum ist das nötig.
Ich finde es richtig, dass wir einen Fokus legen auf Kinder, die große Benachteiligungen haben. Aber ich bin auch der Meinung, dass wir etwas für die ganz normale Durchschnittsfamilie tun sollten. Für Eltern, die mehrere Kinder haben, die jeden Tag arbeiten gehen und auch wenn sie ein ganz gutes Einkommen haben, eine zusätzliche Unterstützung gut gebrauchen können. Deshalb ist die Erhöhung des Kindergeldes auch ein Signal in die Mitte der Gesellschaft. 25 Euro mehr im Monat macht sich bei Alleinerziehenden, bei jungen Familien oder Eltern mit vier Kindern schon bemerkbar…
Was ändert sich beim Unterhaltsvorschuss?
Der Staat springt ein, wenn Eltern ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen. Im vergangenen Jahr wurde der Anspruch ausgeweitet, es geht nun nicht mehr nur um Kinder bis zu 12 Jahren, sondern bis zu 18 Jahren. Das ist eine enorme Unterstützung für die Familien. Und dafür haben wir in diesem Jahr auch mehr Mittel eingeplant: 866 Millionen Euro. Das sind 500 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Zwei Sachen habe ich mir vorgenommen: Ich will, dass möglichst viele, die das Recht auf Unterhaltsvorschuss haben, diesen auch in Anspruch nehmen. Und natürlich geht es auch darum, dass wir die Unterhaltspflichtigen - zu über 90% sind es ja die Väter - auch in die Pflicht nehmen und das Geld zurückholen.
Für erwerbstätige Eltern, die geringe Einkommen erzielen, zahlt der Staat einen Kinderzuschlag. Hat der sich bewährt?
Ja. Aber er ist zu kompliziert. Wir müssen das vereinfachen, damit mehr Familien geholfen werden kann. Wer mit Kindern nur ein geringes Einkommen erzielt, bekommt den Kinderzuschlag, damit die Familie nicht in Hartz IV rutscht. Wenn er oder sie nun aber aufgrund der Arbeit etwas mehr verdient, wird der Kinderzuschlag gestrichen. Die Konsequenz: Obwohl die Eltern arbeiten, haben sie dann weniger Geld im Portemonaie. Dann lohnt sich das Arbeiten nicht mehr. Da müssen wir ran.
Wo wollen Sie denn konkret die neuen Grenzen ziehen?
Derzeit erarbeiten wir im Bundesfamilienministerium das Konzept für eine Reform. Damit es diesen harten Schnitt nicht mehr gibt – kaum verdient man etwas mehr, fällt der Kinderzuschlag komplett weg. Es geht um ein schrittweises Abschmelzen, damit immer der Anreiz bleibt, einen Job aufzunehmen. Wir dürfen Menschen nicht nur versorgen, wir müssen sie befähigen.
Viele Menschen beantragen diese Leistung gar nicht, obwohl sie Ihnen zusteht…
Stimmt. Deshalb ist eine Reform ja auch nötig. Wir müssen das ganze Verfahren entbürokratisieren, damit die Leistung für mehr Menschen leichter zugänglich wird. Das Ausfüllen der Anträge ist kompliziert, die Bewilligung ist kompliziert, und wenn sich das Einkommen ändert, wird es noch komplizierter. Übrigens: Wir prüfen gerade, ob der Begriff "Kinderzuschlag" so bleiben soll oder ob wir mit der Reform auch einen neuen Namen brauchen. Die Kombination der Wörter "Kind" und "Zuschlag" finde ich jedenfalls sehr unglücklich.
Jetzt fehlt nur noch das Bildungs- und Teilhabepaket…
Auch das gehen wir in der Bundesregierung an. Mein Kollege, Bundesarbeitsminister Heil, arbeitet gerade daran. Wir wollen dafür sorgen, dass das Mittagessen in der Schule künftig kostenlos an die ausgegeben wird, die es nötig haben. Damit reduzieren wir auch den großen bürokratischen Aufwand.
Was wollen Sie bei den Institutionen verbessern?
Die wichtigsten Ziele sind die Verbesserung der frühkindlichen Bildung und der Ausbau des Ganztagsschulprogramms. Wir bereiten das "Gute Kita-Gesetz" vor, der Name spricht für sich. Wir wollen mehr Qualität und weniger Gebühren für die Eltern, sowohl in den Kitas, als auch in der Kindertagespflege. Und wir bereiten den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder vor, der von 2025 an gelten soll.
Bessere Qualität können Sie nur mit mehr Personal garantieren. Wie wollen Sie das schaffen, wenn jetzt schon 100.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen?
Das ist ein Problem: Ohne mehr Personal machen wir bei der Qualität keine Fortschritte. Der Bund wird deshalb im nächsten Jahr eine Fachkräfteoffensive starten, die das Kita-Gesetz begleiten soll. Dafür werden wir zusätzliches Geld in die Hand nehmen. Wir prüfen auch, ob der Bund sich an den Ausbildungskosten beteiligen kann. Und ich setze mich dafür ein, dass Erzieherinnen und Erzieher besser bezahlt werden. Bei dem Thema müssen alle ran und an einem Strang ziehen: auch die Bundesländer und die Tarifparteien.
Sie haben aber noch andere Instrumente, die Sie am Kindertag vorzeigen wollen…
Richtig. Wir geben in diesem Jahr 400 Millionen Euro für den Bau von Kita-Plätzen aus, das ist eine ordentliche Summe. Wir stellen bis 2020 rund eine Milliarde Euro zur Verfügung, damit Fachkräfte in 7000 speziellen Kitas Sprachförderung anbieten können. Wir unterstützen Unternehmen dabei, familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen oder Firmen-Kitas einzurichten. All das hilft, Kinder in Deutschland stärker zu machen. Wenn jedes Kind seine Talente und sein Potenzial besser entfalten kann, stärken wir damit auch das Land. Das ist mein Anspruch.