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Die Kanzlerin, ihr Wirtschaftsminister und die Wirtschaftsweisen Bofinger (links) und Schmidt.
© dpa

Wachstumsprognose der Wirtschaftsweisen: Da war es nur noch ein Prozent

Die Wirtschaftsweisen sagen für 2015 weniger Wachstum voraus als die Regierung. Kanzlerin Angela Merkel reagiert säuerlich. Der haushaltspolitische Spielraum wird kleiner. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Hinter Prognosen steckt immer ein Problem: Man weiß nicht, ob sie eintreten, aber man richtet sein Verhalten danach aus. Das gilt auch für die Politik. Die plant bekanntlich einige Jahre im Voraus, bei den Ausgaben wie bei den Einnahmen. Und im Mittelpunkt des Plans steht eine ganz konkrete Prognose: das voraussichtliche Wachstum. Es kommt zwar immer ein bisschen anders als man denkt, und manchmal kommt es sogar ganz anders. Aber die Tendenz stimmt meistens. Und in der Tendenz liegt die Prognose der fünf Wirtschaftsweisen, die für 2015 nur noch ein Wachstum von 1,0 Prozent in Deutschland vorhersagen. Alle Prognosen der letzten Wochen hatten eine Richtung: nach unten. Dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, so heißen die Weisen offiziell, nur wenige Wochen nach der offiziellen Wachstumsprognose der Bundesregierung (1,3 Prozent für 2015) noch einmal darunter liegt, lässt sich nicht ganz so lässig beiseite wischen, wie die Kanzlerin das heute morgen getan hat. Denn die Differenz von 0,3 Prozentpunkten sieht zwar nicht dramatisch aus, aber sie ist signifikant. Sie zeigt, dass das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland, in Europa und der Welt gerade deutlicher schwächelt, als man noch im Sommer geahnt hatte, als die aktuellen Krisen (Ukraine, Syrien etc.) schon schwelten. Und offenkundig sind die Nachwirkungen der weltweiten Finanzkrise doch gravierender als gedacht. Auch die OECD spricht in einem Überblick vom Mittwoch von einer stärker nachlassenden Wachstumsdynamik in Deutschland.

Ist die Steuerschätzung zu optimistisch?

Also wird die Regierung ihr Verhalten wohl bald den neuerlichen Prognosesenkung anpassen. Auf Wachstumsprognosen baut die Steuerschätzung auf, die erst in der vorigen Woche vorgestellt wurde. Sie basiert auf der Regierungsprognose. Wenn die Sachverständigen richtiger liegen, kommt auf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen in den Ländern (und auch auf die Verantwortlichen in den Kommunen) ein Problem zu: Die Steuereinnahmen werden zwar 2015 wachsen, aber geringer als geschätzt. Der Spielraum, der vor einem halben Jahr noch komfortabel aussah, wird nochmals kleiner. Das Ziel der Schwarzen Null, das die schwarz-rote Koalition im Bund leitet, kommt noch ein wenig stärker in Gefahr. Zwar kann die weniger optimistische Vorausschau den Hütern der öffentlichen Kassen auch helfen: Dort, wo die Haushalte derzeit verhandelt werden, können die Prognosezahlen dämpfend wirken. Wenn aber auch die Weisen falsch liegen sollten, und das Wachstum sinkt im kommenden Jahr noch unter die Einprozentmarke, dann dürften sich einige haushaltspolitische Träume im Verlauf des Jahres in Luft auflösen.

Niedrige Zinsen, kalte Progression

Merkels leicht säuerliche Reaktion auf die Vorlage des Berichts der Wirtschaftsweisen dürfte noch einen Grund haben: Sie haben deutlich gesagt, dass die derzeit trotz allem gute Haushaltslage des Staates vor allem zwei Gründe hat: die niedrigen Zinsen und der Effekt der kalten Progression, also die Nichtanpassung des Steuertarifs an die Teuerung (zu Lasten der Steuerzahler). Der eine Effekt aber wird so nicht bleiben, denn die Zinsen werden irgendwann wieder steigen. Und der andere Effekt darf so nicht bleiben. Die jahrelange Untätigkeit bei der kalten Progression wird langsam peinlich.

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