zum Hauptinhalt
Bis hinauf zur Kanzlerin reicht die Wirecard-Affäre.
© Kay Nietfeld/dpa

Das Regierungs-Schlamassel in der Wirecard-Affäre: Da muss ein Untersuchungsausschuss ran

Wie konnte es passieren, dass ein betrügerisches Unternehmen sogar die Kanzlerin für sich einspannen konnte? Das muss detailliert geklärt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Man muss sich das einmal vorstellen: Die deutsche Regierungschefin hat sich vor knapp einem Jahr in China bei einer offiziellen Besuchsreise für ein Unternehmen verwendet, von dem man nun weiß, dass es insolvent ist, und von dem man annehmen muss, dass es von Betrügern geführt wurde. Der Chef der Firma sitzt in Untersuchungshaft, ein Vorstandsmitglied ist auf der Flucht.

Beim Zahlungsdienstleister Wirecard wurden mutmaßlich Bilanzen gefälscht, jahrelang, und es wurde offenbar eine Erfolgsstory in die Welt gesetzt, die die tatsächlichen Verhältnisse verschleiern sollte. Nach den bisherigen Erkenntnissen muss man davon ausgehen, dass die Wirecard-Führung fast nach einer Art Schneeballsystem vorgegangen ist: Mutmaßlich nicht existierende Umsätze und Gewinne konnten vorgegaukelt werden, weil ein rasantes Wachstum nicht zuletzt in Asien vorgeführt wurde.

Den Marktzugang in China über den Kauf der Firma Allscore kann man so auch als Versuch sehen, diese falsche Wachstumsstory fortzuschreiben, um eine weitere Verschleierungsmöglichkeit hinzuzufügen, mit Scheinumsätzen und erfundenen Kunden. Jedenfalls steht der Verdacht im Raum, dass Wirecard auf diese Weise arbeitete.

Und nun weiß man, dass Angela Merkel „das Thema der Übernahme von Allscore durch Wirecard bei ihrer Chinareise angesprochen“ hat, wie ein Regierungssprecher es formuliert. Das war im September, im November ging der Kauf der Mehrheit des Unternehmens durch Wirecard über die Bühne.

Guttenberg setzte sich bei Merkel für Wirecard ein

Eingefädelt hatten das Tun der Kanzlerin der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und der frühere Geheimdienstbeauftragte im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche. Beide hatten sich bei Merkel direkt oder indirekt für Wirecard und dessen China-Ambitionen eingesetzt.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Und nun saß Merkel da in China, stellt man sich mal so vor, und erwähnt irgendwie und irgendwo in diesen Gesprächen, dass Deutschland es gerne sähe, dass Wirecard auch in China Fuß fasst. Oder lässt das erwähnen. Wie auch immer. Das Kanzleramt hat übrigens hernach „weitere Flankierung“ zugesagt. Und man stelle sich jetzt noch vor, die Gegenseite in Peking hatte schon genauere Kenntnisse über Wirecard.

Wie ist sie da hineingeraten?

Dass Merkel selbst zum Zeitpunkt der Reise, wie es weiter heißt, „keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard“ gehabt habe, ist glaubhaft. Sonst hätte sie sich ja nicht einspannen lassen. Aber wie sie da hineingeraten ist, wie es dem Wirecard-Management gelingen konnte, Spitzen der Regierung bis hinauf zur Chefin in die mutmaßliche Betrugsnummer zu verstricken, das möchte man schon genauer erfahren.

So wie man auch konkreter wissen möchte, was zuvor im Bundesfinanzministerium in Sache Wirecard lief. Und dass man bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mal genauer hinsehen sollte, ergibt sich ohnehin aus den Nachrichten der vergangenen Tage.

Aktenzugang muss sein

All das zusammengenommen spricht für einen Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Verwicklung von Bundeskanzleramt, Bundesministerien und Bundesbehörden in das Betrugssystem der Firma Wirecard.

Um nicht missverstanden zu werden: Verstrickung heißt nicht Mittun. Es gibt bisher keinerlei Verdachtsmomente, dass irgendwer in der Regierung, nicht Merkel, nicht Olaf Scholz, nicht die hohen Beamten, niemand, der mit Wirecard zu tun hatte, tatsächlich die ganzen Dimensionen und Abgründe der sich nun offenbarenden Betrugsaffäre kannte oder kennen konnte.

Aber Aufklärung muss sein, und ohne Aktenzugang und ohne die Möglichkeit, Betroffene quasi zu verhören, wird das nicht gehen. Eigentlich braucht es da keine weiteren Sondersitzungen des Finanzausschusses mehr. Ein Untersuchungsausschuss muss her.

[Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Immerhin gab es seit Jahren Anlass, bei Wirecard zumindest vorsichtig zu sein. Zu viele Zweifel umgaben das Unternehmen. Und das konnten auch die Spitzen der Regierung wissen.

Im Übrigen kann ein Untersuchungsausschuss für die Reformgesetzgebung, die vor allem der Finanzminister seit einigen Wochen ankündigt, nur hilfreich sein. Je mehr wie wissen, umso besser. Demokratie lebt von Vertrauen und damit von Transparenz.

Zur Startseite