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Vorläufig in Sicherheit. Rund 35 000 Menschen haben sich wie dieser Vater in Juba im ganzen Land auf die Standorte der Blauhelmtruppe Unmiss geflüchtet. Allein in Juba sind bei den Kämpfen seit Sonntag mehrere hundert Menschen gestorben.
© REUTERS

Krise im Südsudan: „Da ist ein neuer Bürgerkrieg in Gange“

Im Südsudan ist kein schnelles Ende der Krise zu erwarten. US-Präsident Obama warnt vor einem neuen Bürgerkrieg und schickt einen Sondergesandten in die Region. Berlin fliegt derweil Deutsche Bürger aus.

Im Südsudan ist kein schnelles Ende der Krise zu erwarten. Kenner der Region zeigten sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Freitag einig, dass die Situation dramatisch sei. Der ehemalige UN-Diplomat Peter Schumann sagt sogar:  „Da ist ein neuer Bürgerkrieg im Gang.“ Klaus-Dieter Tietz, bis 2012 an der UN-Polizeimission im Land beteiligt, sieht eine „Riesentragödie“. US-Präsident Barack Obama hatte zuvor erklärt: „Der Südsudan steht am Abgrund.“

Mit einer Gedenkfeier will die internationale Friedenstruppe im Südsudan Abschied von den in dem Krisenland getöteten UN-Blauhelmsoldaten nehmen. Nach der Veranstaltung am Samstagmorgen auf dem Flughafen der Hauptstadt Juba sollten die Leichname der beiden Inder in ihre Heimat gebracht werden, teilte die UN-Mission UNMISS am Freitagabend mit. Die beiden Blauhelme waren bei einem Angriff auf eine UN-Basis in der Provinz Jonglei getötet worden. Dabei kamen zudem mindestens 20 Zivilisten ums Leben.

Hintergrund der vor rund einer Woche ausgebrochenen Unruhen in dem Land ist ein Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem im Juli entlassenen Stellvertreter Riek Machar. International wird befürchtet, dass sich die Kämpfe zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen zu einem Bürgerkrieg ausweiten. Kiir gehört der Volksgruppe der Dinka an, die die Regierungspartei und frühere Rebellentruppe SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) dominieren. Machar ist ein Lou Nuer.

Angesichts der anhaltenden Kämpfe hatte US-Präsident Barack Obama die Konfliktparteien zu Verhandlungen aufgerufen. Das Land stehe am Abgrund, warnte er. US-Außenminister John Kerry kündigte an, den Sondergesandten für Sudan und Südsudan, Donald Booth, in die Region zu schicken. Der Diplomat sollte noch am Freitag (Ortszeit) aufbrechen und zwischen den verfeindeten Lagern vermitteln. Die Gewalt müsse ein Ende finden, forderte Kerry. Angriffe auf Zivilisten müssten umgehend eingestellt werden.

Derweil holen westliche Länder ihr Personal aus der Hauptstadt Juba zurück. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte: „Die Zustände im Südsudan sind so, dass wir sofortige Hilfsmaßnahmen ergreifen mussten, um dort lebende deutsche Staatsangehörige auszufliegen.“ Am Abend ist auch der deutsche Botschafter ausgeflogen, nur 16 Bundeswehrsoldaten der Unmiss-Mission bleiben zurück.

Im Gegensatz zum Auswärtigen Amt haben die meisten Hilfsorganisationen vor, in dem ostafrikanischen Land auszuharren. Pete Buth, Südsudan-Koordinator von Ärzte ohne Grenzen, berichtet, dass alle Projekte weiterlaufen. Selbst in der notorisch instabilen Provinz Jonglei betreiben die Ärzte weiterhin eine Klinik. Die Welthungerhilfe hat ihr ausländisches Personal etwas früher in den Weihnachtsurlaub geschickt. Nach Informationen der Welthungerhilfe haben die unmittelbaren Kämpfe in der Hauptstadt zwar aufgehört. Aber vor allem Angehörige des Nuer-Volkes haben sich zu Zehntausenden auf das Gelände der UN-Blauhelmtruppe Unmiss geflüchtet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet von ethnisch motivierten Morden von Soldaten an Angehörigen der Nuer und der Dinka. Präsident Salva Kiir ist Dinka, sein Rivale Riek Machar ist Nuer.

UN befürchtet weitere Tote bei Kampf um Posten in Akobo

Am Donnerstagabend haben Kämpfer der Lou-Nuer einen UN-Posten in Akobo überrannt und die beiden indische Blauhelme getötet sowie einen schwer verletzt. Die UN befüchten, dass die mehr als 30 Dinka, die sich auf das Unmiss-Gelände in Akobo geflüchtet haben, nicht überlebt haben. Die Hauptstadt von Jonglei, Bor, ist derweil an den zum wiederholten Mal desertierten General Peter Gadet gefallen. Er hat im Verlauf des langen Bürgrkriegs eine schillernde Rolle gespielt und war samt der achten Division, die er befehligt, nach dem Friedensschluss mit der sudanesischen Regierung in Khartum in die Armee (SPLA) integriert worden. Allerdings gehörte er zu einer Gruppe ehemaliger Warlords, die das zentrale Kommando von Salva Kiir nie akzeptiert haben. Der im Juli als Vizepräsident geschasste Riek Machar, der bei den Präsidentschaftswahlen 2015 gegen Salva Kiir antreten will, hat in einem Interview angedeutet, er und Gadet seien gerade verbündet. Allerdings sind politische und militärische Bündnisse im Südsudan von Pragmatismus geprägt und selten dauerhaft, sagt der Herausgeber des Internetmagazins „The Niles“, Roman Deckert.

Zur politischen Krise schwieg Außenminister Steinmeier, was der Südsudan-Experte Peter Schumann beunruhigend findet. Er fürchtet, dass der Fall mit der Rückholaktion für die Berliner Außenpolitik bis nach den Feiertagen „erledigt“ sein könnte. Auch Omid Nouripour, den die grüne Bundestagsfraktion gerade zu ihrem außenpolitischen Sprecher gemacht hat, warnt davor, die Krise laufen zu lassen. Er sagt: „Die politische Dimension darf über den Evakuierungen nicht vergessen werden.“

Annette Weber, Afrikaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), wirft Kiir und Machar vor, dass sie „nicht politisch reagiert“ hätten. Nachdem Kiir im Sommer die gesamte Regierung und vor allem seinen Rivalen Machar entlassen hätte, habe er nur noch mit Präsidentschaftsdekreten regiert und zudem die demokratischen Gremien in der Regierungspartei SPML aufgelöst. Und nun hätten beide „auf militärische Eskalation gesetzt“, sagt Weber. Sie hält es für keine gute Idee der Afrikanischen Union, den Präsidenten des Nachbarlands Uganda, Yoweri Museveni, zum Vermittler ernannt zu haben. Er gilt im Südsudan als enger Bündnisgenosse von Salva Kiir – und hat am Freitag offenbar auf Bitten Kiirs Truppen nach Juba einfliegen lassen. „Salva Kiir hat die Kontrolle über die Armee verloren“, sagt Peter Schumann. Nun sei der Konflikt über die Schwelle hinaus, hinter der er durch Deeskalationsstrategien noch hätte gelöst werden können, stellt Annette Weber fest. (mit dpa)

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